Man hört ja viel über unsere Jugendlichen. Selten Positives. Besonders aus den Großstädten. Besonders aus Berlin. Besonders aus den randstädtischen Stadtteilen Berlins. Aber weil es unsere Jugend nicht leicht hat mit ihrer Zukunft und unserer Umwelt, sieht man der Jugend gerne nach, dass sie sich nicht immer so handzahm verhält. Doch das ist falsch.

Ich hatte dienstlich in einer Berliner Schule in Randstadtlage zu tun und war voller Nachsicht und Verständnis darauf eingestellt, der etwas schwierigen Jugend zu begegnen, die es ja so schwer habe. Doch es war alles ganz anders. Die erste Enttäuschung erlebte ich im Schulbistro. Ich hatte mich schon so auf die ungesunden, leckeren Dinge gefreut, die es immer an meinem Schulkiosk zu kaufen gab und die meinem Verständnis nach an jeden Schulkiosk gehören: Schaumkussbrötchen, Frikadellenbrötchen, Schokoriegel, Chips und so was alles. Nicht nur, dass es in dem Bistro der Berliner Schule keines der genannten Dinge, stattdessen aber sehr nahrhafte, gehaltvolle und appetitlich zubereitete Häppchen gab, sondern die Schüler fischten Apfelschnitze, Paprikastreifen und Vollkornbrote mit Salat aus ihren Butterbrotdosen und bissen mit einer Selbstverständlichkeit hinein, als täten sie das gern und jeden Tag. Was die Ernährung angeht, kann ich mir von der Jugend noch eine dicke Scheibe abschneiden.

Zweitens ging ich davon aus, dass jeder dritte Schüler in der einen Hand mit einer Waffe, in der anderen mit einer Spraydose bewaffnet herumläuft, um die vorletzte freie Fläche mit rebellischen Slogans vollzusprayen und Mitschülern ihr Taschengeld abzupressen. Natürlich ist das übertrieben, und doch war ich überrascht, als die Schüler schüchtern fragten, ob sie die verteilten Texte mit einem bunten Stift markieren dürften und mal aufs Klo gehen dürften. Ihren Klassenlehrer begrüßten sie im Chor mit einem Guuuuteeen Mooorgeeen, Herr H.! Die einzige Rauferei, die sich während meines Aufenthaltes abgespielt hat, erfolgte zwischen zwei Jungs, die sich kichernd stupsten. Ja, wo sind sie denn, die gewaltbereiten Schüler, die ihre Lehrer gerne mal kopfunter aus dem Fenster hängen?

Und dann die Ausdrucksweise der jungen Menschen, Wahnsinn! Längst vergessene Begriffe aus der hochtrabenden Literatur benutzten sie, ohne mit der Wimper zu zucken, um komplexe Sachverhalte aus der Energiepolitik wissenschaftlich fundiert darzustellen. Wo ist sie, die angebliche Jugendsprache, in der diverse Satzteile kategorisch weggelassen würden? Und zu Recht monierten die Schüler, dass der Schulleiter bei der Präsentation eingeschlafen ist, ein politischer Gast mit seinem iPhone gespielt hat und sich zwei Politiker heimlich davongestohlen haben. Da fragt sich: Wer muss hier wen zu Respekt und Anstand erziehen?
Sicher, die anderen Jugendlichen, die aus der Presse, die mit der einen Hand schaumkussbrötchenessend und mit der anderen graffitisprayend, in unvollständigen Sätzen die Lehrer bedrohen, gibt es sicherlich auch. Irgendwo. Aber in der Berliner Schule, die ich leibhaftig besucht habe, war davon kein einziger weit und breit aufzufinden. Wir müssen nicht unsere Jugend ändern, sondern unser Bild von ihr.

Julia Siebert

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