Der Ethnologe Jesko Schmoller lebt seit Sommer 2006 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent. Dieser Tage geht seine Dozententätigkeit am Juristischen Institut zu Ende. In seinem 15., und vorerst letzten, Bericht aus der Mahalla, dem traditionellen Wohnviertel der Usbeken, blickt er wehmütig auf seinen alltäglichen Weg zur Arbeit zurück. /Foto: Jesko Schmoller /

Öffentliche Transportmittel haben für mich etwas Faszinierendes. Eine Schar von Menschen sitzt oder steht auf dem Weg zu den verschiedensten Zielorten für ein paar Minuten beieinander. Man teilt einen sehr begrenzten Raum mit meist völlig Fremden. Und schaut dabei gedankenverloren irgendwo hin, als wäre dieses Beieinanderstehen beziehungsweise – sitzen mit Fremden ganz natürlich. Anderen Passagieren in die Augen guckt man eher nicht, obwohl dieser kurze Kontakt mit einem unbekannten Menschen auf dem Weg zu einem unbekannten Arbeitsplatz oder sonstigen Ort so etwas Einmaliges hat. Einen Wimpernschlag später strebt man bereits wieder auseinander, immer dem eigenen Ziel zu. Ein paar Erinnerungen nach dem intensiven Gebrauch öffentlicher Verkehrsmittel in Taschkent: „Der Moment, wenn der morgendliche Bus vor dem Kantstein der Haltestelle zum Stehen kommt. Die Türen öffnen sich, und aus dem völlig überfüllten Inneren purzeln einem drei Schulkinder entgegen. Wenn man jetzt nicht schnell und ohne Rücksicht auf Verluste einsteigt, springen mindestens zwei flinke Großmütter in die Lücke. Skrupel kennen die keine“.

Die Fahrweise der Busfahrer. Selbst in einem PKW würde ich nicht so halsbrecherisch durch die Stadt brettern. Aber hier scheint die Devise zu gelten, der Passagier, der sich nicht richtig festhält und in der Folge die Knochen bricht, hat selbst Schuld. Gasgeben in der Kurve ist Standard.

Die schwarzen Hände der Fahrkartenverkäuferin. Den ganzen Tag über kassiert sie schmutzige Geldscheine ein und teilt saubere Fahrscheine aus. Ansonsten ist sie eine Überlebenskünstlerin und hält sich in besonders kritischen Kurven geschickt an anderen Passagieren fest.

Die Sicherheitskontrollen auf den Bahnhöfen. Liegt es an meinem Bart, der anscheinend westlichen Kleidung oder daran, dass ich auffälligerweise immer ein Buch mit mir herumtrage? Grundsätzlich werde ich nach meinen Papieren gefragt. Ich kann tun, was ich will: Professionell auftreten, gelangweilt umherschauen oder den Gesichtsausdruck eines harmlosen großen Kindes aufsetzen. Langsam fange ich selber an zu glauben, ein Krimineller zu sein.

Die gleißend helle Morgensonne, die einen dazu zwingt, die Augen zu schließen, wenn man an der Maxim-Gorki-Straße mit der Metro aus dem Tunnel herausschießt. Ihre Strahlen liegen warm auf dem Gesicht und für ein paar Augenblicke kehrt die Müdigkeit zurück. „Ganz sicher wirst du all das erreichen, was du dir vorgenommen hast“, versichern mir die Sonnenstrahlen. Also weiter, immer dem eigenen Ziel entgegen. Aber ich werde es vermissen, durch Taschkents Straßen zu fahren.

Von Jesko Schmoller

21/12/07

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