In Kasachstan stellen Deutsche und Koreaner – ehemalige Russlanddeutsche und Korö Saram – eine achtenswerte Diaspora. Die Koreaner scheinen sich im neuen Kasachstan besser zu orientieren als die Deutschen.

Tausende Kilometer trennen die koreanische Halbinsel in Ostasien von Mitteleuropa. Gleichwohl gibt es zwischen Korea und Deutschland, die Nennung an dieser Stelle für Kulturräume und nicht fortwährend existente uniforme Staaten, unzählige Ähnlichkeiten. Das Erbe des 2. Weltkrieges mit seinen Systemgegensätzen bekamen beide durch abgenötigte nationale Teilung zu spüren. Hier und dort gelang mit Mühe der Wandel von einer autokratischen zu einer pluralistischen Gesellschaft; zumindest in Landesteilen. Auch den verfassungsrechtlichen Willen nach Einigung in Frieden und Freiheit kennen respektive kannten die Verfassungen der demokratisch verfassten Landesteile Koreas und Deutschlands. In der Bundesrepublik und der Republik Korea gelang ein ansehnlicher Aufbauprozess.

Wirtschaftswunderzeiten” und das „Wunder am Han” lassen grüßen. Falls auf der koreanischen Halbinsel ein friedlicher Umbruch gelingen sollte und so die Wiedervereinigung auch hier Geschichte würde, dann könnte Korea aus Erfahrungen der Deutschen Einigung lernen – im Positiven wie im Negativen. Bei herannahenden Sportereignissen wie den Asienspielen und den Olympischen Spielen 2008 wird Korea immerhin mit einer Auswahl an den Start gehen.

Deutschstämmige und Korö Saram als Diaspora in Zentralasien

Zwischen den skizzierten Gemeinsamkeiten und dem gefüllten Veranstaltungskalender des Koreajahrs 2005 in Deutschland gerät ein Berührungspunkt in Zentralasien, ebenso verortet im geschichtlichen Kontext des letzten Jahrhunderts, in Vergessenheit. In Kasachstan, einem GUS-Staat im vormaligen sowjetischen Orient, stellen sowohl Deutsche als auch Koreaner – ehemalige Russlanddeutsche und Korö Saram – eine beachtliche Diaspora dar. Sie sind anerkannte ethnische Minderheiten. Kulturzentren beider Länder sind vor Ort. Im kasachischen Nationalmuseum Almatys findet der Besucher Schaukästen mit deutschen und koreanischen Kulturgütern. Dies unmittelbar gegenüber und umgeben von Artefakten anderer Minoritäten. Der Ausstellungsraum soll die ethnische Vielfalt Kasachstans nachzeichnen. Die deutsch- und koreanischstämmige Minorität haben jeweils eine offiziell anerkannte Minderheitenzeitung, und sie unterhalten jeweilig kulturelle Dachorganisationen zur selbstverwalteten Erneuerung und Jugendarbeit. Der Staatsrundfunk strahlt Sendungen auf Deutsch und Koreanisch aus. Nahezu analog zum zweistufigen supraethnischen Identifikationsansatz der Sowjetzeit, bildlich gesprochen der „fünften Linie” im alten Sowjetpass, kann man sich auch heute freiwillig in seinem Pass der Republik Kasachstan seine Nationalität als Koreaner oder Deutscher vermerken lassen. Beide Minoritäten verbindet, dass sie sich durch die Verschleppung im Zuge der sowjetischen Bevölkerungspolitik nun im komplexen multiethnischen Milieu Kasachstans als ethnische Minderheit neu orientieren müssen.

Die Existenz der koreanischen und der deutschen Diaspora in Zentralasien hat denselben Hintergrund: Die Verbannungs- und Bevölkerungspolitik des Kremls seit der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution bis unter Stalin. Ihre Bestrafungsideologie brachte etwa zwei Millionen Menschen aus dem Kerngebiet des Zarenreichs nach Zentralasien und hier vorrangig in die Kasachische SSR. Die koreanische Minderheit aus der Primorjeregion bei Wladiwostok, die Deutschen der ehemaligen Wolgarepublik um Saratow, Kriegsgefangene oder vermeintliche Kollaborateure beider Nationalitäten fanden sich unversehens als Zwangsarbeiter in der kasachischen Steppe oder einer Gulag-Stadt wie Karaganda wieder. Die Koreaner waren sogar die ersten, die 1937 die großskalige Deportation erleiden mussten. Durch freiwillige Immigration waren beide Volksgruppen von alters her kaum in Zentralasien vertreten.

Willkür und Drangsal der geteilten Vergangenheit

Damit teilen Deutschstämmige und Koreaner in Kasachstan gebrochene Biographien, Degradierung und erfahrene politische Willkür. Die Autorin Ulla Lachauer schilderte in der Wochenzeitung „Die Zeit“ unter dem Titel „Unsere Landsleute aus Karaganda“ die Geschichte der russlanddeutschen Aussiedlerin Mina, die eigentlich auf Wunsch ihres koreanischen Vaters ursprünglich mal Minna getauft wurde. Nur Minna war ihm damals zu Deutsch gewesen. Mina wurde nun 2004 zur Miss Niedersachsen gekürt und ist ein Spiegelbild deutsch-koreanischer Berührungspunkte in Kasachstan.

Nach dem Tod Stalins wurde Deutschstämmigen und Korö Saram die offizielle Rehabilitierung zuteil. Ihr geteiltes Schicksal als kollektiv verurteilte Völker der Sowjetunion fand zumindest de jure ein Ende. Ab nun konnten sich beide in begrenztem Umfang in das Partei- und Kadersystem der UdSSR integrieren. Mancher empfing gar höchste Weihen als „Held der Arbeit”. In den späten Jahren der Sowjetunion entwickelte sich die Kasachische SSR zum jeweiligen Zentrum des koreanischen und deutschen Kulturlebens mit Theatern oder Hochschuleinrichtungen. Einst lebten rund eine Million Deutschstämmige in Kasachstan. Nach Rückwanderungswellen der 1990er Jahre sind nun noch knapp 250.000 bis 300.000, ein bis zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, verblieben. Die Integration der Aussiedler in Deutschland gestaltete sich für beide Seiten mühseliger als erwartet. Die lange Zeit im sowjetischen Orient war eben nicht spurlos an den Deutschstämmigen und ihrer Mentalität vorbeigegangen. Die bundesdeutsche „Integrationpolitik”, geprägt durch unspezifische Förderprogramme und Ghettoisierung, wirkte eher wie eine Desintegrationspolitik.
Die Zahl der Koreaner in Kasachstan liegt seit Mitte des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger konstant bei 100.000. Damit sind beide Minderheiten quantitativ nun nahezu fast gleich auf. Auch wenn es für die Koreaner zur Aussiedlung von offizieller Seite keine Unterstützung gibt, fällt auf, dass es unter ihnen ohnehin kein ausgeprägtes Abwanderungsverlangen gibt. Ihre demographische Situation ist nicht, wie bei den Kasachstandeutschen, von Überalterung geprägt. Die qualitativ vollzogene Integration im neuen Kasachstan, damit korreliert der Bleibewille, ist besser gelungen als bei den Kasachstandeutschen. Von den Koreanern sehen 21 Prozent sich nicht mehr vorrangig als ethnische Minorität, sondern als Staatsbürger Kasachstans. Bei den Kasachstandeutschen sind es nur 12 Prozent. Mehr Korö Saram als Deutschstämmige sind neben dem Russischen der immer wichtiger werdenden Turksprache Kasachisch mächtig.

Zwei Realitäten: Integrierte Koreaner – emigrierende Deutsche

Wichtiger als der Blick zurück ist der Blick nach vorn auf eine mögliche gemeinsame Zukunft von Koreanern und Deutschen in Kasachstan. Minderheitenpolitik, Interessenvertretung und Integration erlangen hierbei besondere Bedeutung. Minderheitenpolitik bedeutet vorrangig effektive Selbstorganisation. Hierbei könnten Koreaner und Deutsche in Kasachstan kooperieren. Auch auf offizieller Seite in Berlin und Seoul könnte man ebenso zusammenarbeiten, denn auf beiden Seiten ist die Lage der eigenen Diaspora ein Thema auf der Agenda bei Treffen mit Offiziellen Kasachstans. Gerade für die Kasachstandeutschen in Zentralasien liegt es aber vor allem nahe, von ihren koreanischen „Leidensgenossen” einiges zu lernen. Die Korö Saram haben sich rasch und effektiv organisiert, sich schneller an den Systemwandel angepasst und sich in das wirtschaftliche und soziale Leben integriert – wie viele koreanische Gemeinden weltweit, die die besondere Fähigkeit besitzen, sich schnell an neue ökonomische und soziokulturelle Bedingungen anpassen zu können. Die Koreaner scheinen den Titularnationalismus des neuen turk-muslimischen Kasachstans und seine „Leitkultur” eher zu akzeptieren als die Deutschkasachen. Viele koreanische Firmen, hier ist die Betonung ihrer Herkunft aus der Republik Korea fast überflüssig, machen gute Geschäfte in Kasachstan. Für deutsche Firmen ist Kasachstan meist noch ein weißer Fleck auf der Landkarte im Firmenhauptquartier. Gute Umsätze in Kasachstan machen nicht nur koreanische Großkonzerne, sondern auch viele kleine Firmen und koreanisch-kasachische Joint Ventures. Gleichfalls betreiben Kasachstankoreaner zahllose kleine Restaurants und Geschäfte vor Ort. Mit ihrer besser vollzogenen Integration im neuen und sich verändernden Kasachstan geht ein wirklicher Austausch der Kulturen in beide Richtungen einher. Der aktuelle Austausch zwischen Deutschland und Kasachstan verläuft eher einseitig. Wenige deutsche Unternehmer zeigen ein Interesse für Kasachstan und vor allem für die wenig integrierten Kasachstandeutschen mit geringem Bleibewillen.

Koreanisch-deutsche Kooperation lohnt – auch in Zentralasien

Kooperation lohnt – das haben Deutsche und Koreaner eigentlich schon lange erkannt. Seit Jahren bestehen freundschaftliche Beziehungen. Auf vielen Ebenen herrscht heute zwischen beiden Ländern ein reger Austausch. Seoul und Berlin kooperieren fast wie Städtepartner. Erfahrungsaustausch und Kooperation zwischen Deutschkasachen und den kasachischen Korö Saram würde auch lohnen. Hier schlummern in Zentralasien, trotz Tuchfühlung und zahlreicher Berührungspunkte, noch ungenutzte Potentiale der deutsch-koreanischen Beziehungen. Zumal hier gerade auf deutscher Seite der Lerneffekt hoch sein könnte.

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Der Beitrag basiert unter anderem auf einem Beitrag zum Aufsatzwettbewerb „Dynamic Korea 2005“ der Presse- und Kulturabteilung der Republik Korea. Eine erwähnenswert tief greifende aktuelle Studie zum Thema dieses Beitrages: „Homeland conceptions and ethnic integration among Kazakhstan’s Germans and Koreans” von Alexander C. Diener, Edwin Mellen Press, New York 2004.

23/12/05

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