Almaty ist voller schicker Cafés, Bars und Restaurants. Die Almatyner gehen gerne aus und lassen es sich gut gehen. Das war aber nicht immer so. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 gab es kaum Möglichkeiten dazu. Allerdings haben nur wenige Orte die Zeit überdauert, wo die Bevölkerung bereits früher Bier getrunken hat und auch heute noch einkehren kann. Ich habe mich auf die Suche nach ihnen begeben.

Meinen kleinen Spaziergang habe ich in einem Schaschlikcafé begonnen. Eine rundliche Dame plärrt viel zu laut russische Schlager und Chansons durch ihr Mikrofon, die Plätze sind beinahe voll besetzt. Dieses Restaurant war noch vor einigen Jahren als „Kreis“ bekannt. Direkt vor der Türe endete die Straßenbahnlinie; hier befand sich eine Wendeschleife. Beides hat nicht überlebt und auch im Café selbst ist längst ein neues Jahrhundert angebrochen. Kitschige Fotografien aus Venedig hängen heute an den weiß gestrichenen Wänden.

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Ich schlendere weiter, mein nächstes Ziel ist eine Bar, die noch immer den Namen „Dekanat“ trägt. Gleich mehrere Universitäten liegen im Umkreis und insbesondere unter sowjetischen Studenten hatte dieser Ort einen hohen Stellenwert. „Ins Dekanat zum Biertrinken“ wurde unter ihnen zum geflügelten Wort und noch bis heute haben die Menschen gute Erinnerungen an das Dekanat. Jetzt hängen hier allerdings zahlreiche Fußballschals an der Wand und auf großen Fernsehern kann man mehrmals in der Woche die großen Fußballspiele der Welt live verfolgen. An diesem Abend sitzen nur drei Männer in einer Ecke. Sie haben ihre Mountainbikes dabei und waren wohl zum Fahrradfahren in den Bergen. Ansonsten bleibt es ruhig.

Ganz morbide und schaurig interessant wird es auf der dritten und letzten Station meines Ausflugs in die gastronomische Vergangenheit Almatys. Ich ziehe ein Stück weiter und finde mich in einer anderen Kneipe wieder. Schwere Holzbänke stehen hier, die Einrichtung ist spärlich, Energiesparlampen erzeugen ein schummriges Licht. Ich bin im „Leichenhäuschen“. Dieser ebenfalls bis heute legendäre Name kommt von der Tatsache, dass sich in direkter Nachbarschaft nicht nur eine medizinische Hochschule, sondern tatsächlich auch ein Leichenhaus befindet. Hier ist man sich seiner Geschichte offensichtlich bewusst. Es scheint fast, als wäre nie etwas an der Einrichtung verändert worden. Auch ein Krug Schymkenter Bier oder ein Spieß Lammschaschlik kosten hier kaum mehr als in den 1980er Jahren. Medizinstudenten kommen wohl kaum noch, sie gehen sicher lieber in die neuen, hippen Bars im Stadtzentrum. Das Publikum im Leichenhäuschen stammt noch aus der alten Generation. Vielleicht kam ja der ein oder andere bereits vor 30 Jahren hierher. Mir kommt es wirklich wie eine Zeitreise in die Vergangenheit vor.

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Viele andere Cafés und Bars, die beliebte Treffpunkte in den Tagen der Sowjetunion waren, existieren längst nicht mehr. Besonders bekannt waren der „Eiswürfel“, ein kleines Parkcafé, welches vor einigen Jahren abgebrannt ist. Auch die Restaurants „Theater“, „Alma-Ata“ oder „Akku“ sind längst verschwunden. Man erzählt sich, dass man seinerzeit im Sommercafé „Akku“ vor Zigarettenrauch seine eigene Hand nicht mehr gesehen hat, so viele Gäste waren anwesend. Auch dieses Café ist den Flammen schon vor über 20 Jahren zum Opfer gefallen.

Die Zeiten ändern sich, die Welt wandelt sich und auch die Städte verändern ihr Aussehen. Das „Leichenhäuschen“ und das „Dekanat“ kennen die älteren Almatyner aber bis heute und verbinden diese Orte mit ausgelassenen Abenden in ihrer Jugendzeit. Heute erscheinen diese Cafés wie aus der Zeit zu fallen, aber ich finde es spannend, diese Orte zu sehen und mir vorzustellen, wie es dort vor 30 Jahren ausgesehen haben mag.

Philipp Dippl

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