Die Internationale Tourismusbörse (ITB) versammelt im Messezentrum Berlin im März jährlich Reiseveranstalter, Hotels, Fluglinien und andere touristische Dienstleister aus aller Welt. Kasachstan als Aussteller ist seit mehr als zehn Jahren dabei. Am Stand des Landes kann man gut erkennen, wie sich die Prioritäten hinsichtlich des Tourismus in den letzten Jahren verschoben haben.

Für Kontinuität sorgt seit Jahren die Zusammensetzung der Delegation. Ein Mix von Tourismusfunktionären aus der Zentrale und den Gebietsverwaltungen einerseits und Reiseveranstaltern und Hotels andererseits, für das Kolorit sind außerdem Künstler verantwortlich – Musiker und Tänzerinnen, Juweliere, Teppichkünstler, Filzdesigner. Der Anteil der ersten Gruppe überwiegt traditionell. Die Funktionäre sollen strategische Gespräche mit Partnern aus aller Welt führen, Verträge über Zusammenarbeit unterschreiben, über den Stand und dessen Arbeit wachen. Die Messegäste allerdings kommen nicht wegen ihnen, sondern wegen des Kolorits und des Angebotes der Reiseveranstalter.

Die wilden Jahre sind vorbei

Die ersten Jahre am Stand von Kasachstan waren wild. Der Stand hatte ein provisorisches Aussehen, erinnerte ein bisschen an ein Nomadenlager. Die Stimmung war prächtig, vor allem am 8. März, dem Internationalen Frauentag, der jedes Jahr auf der Messe zelebriert wird. Es wurde gefeiert, und die Nachmittage waren dem Shopping vorbehalten. Am Wochenende war der Stand fast leer – die meisten Mitglieder der Delegation waren nach Paris oder in andere Tourismusmetropolen gefahren. Die neue Freiheit musste ausgekostet werden. Tourismus hat immer zwei Seiten, hier überwog der sogenannte Outbound-Tourismus. Die übriggebliebenen Pioniere des Inbound-Tourismus holten sich ihr Publikum in aller Stille direkt von der Messe nach Kasachstan. Reisende, die damals das Land besuchten, waren überwältigt von seiner Wildheit. Erschütternd miese Straßen, auf die sich nur die Mutigsten wagten, dafür aber an den Zielorten grenzenlose Natur, völlig unverbaut und ohne Schranken. Ein Eldorado für Abenteuerhungrige, Aussteiger, Survival-Freaks, zu haben für relativ wenig Geld. Inzwischen muss man sehr weit fahren, um das noch zu erleben. Und low budget-Tourismus in Kasachstan ist fast unmöglich geworden. Die wilden Jahre sind vorbei.
Als die weltweite Immobilienhysterie nach Kasachstan schwappte, bekam das Stiefkind Tourismus einen lukrativen Glanz. Die nicht nur hier vorherrschende „Mentalität“ der wundersamen Verquickung von Politik und Wirtschaft führte dazu, dass Filetstücke in der Natur plötzlich abgeriegelt waren. Immer häufiger kam es vor, dass man mit einer Reisegruppe vor einer Schranke stand, am Eingang eines idyllischen Bergtales, wo man noch im Vorjahr unbekümmert entlanggewandert war. Landstücke von der Größe einen deutschen Bundeslandes entpuppten sich plötzlich als privates Jagdgebiet, ehemalige Sanatorien erwachten nach jahrelanger „Sanierung“ plötzlich in einem neuen Dasein als Residenzen reicher Personen. Die Preise für einen Aufenthalt in diesen Erholungsparadiesen, so sie denn überhaupt für die Öffentlichkeit zugänglich sind, haben eine gewisse Touristenauslese zur Folge: Hier ist die haute-volée unter sich. Die „Immobilienkrise“ von 2008 ging spurlos an diesen Wohlstandsoasen vorbei.

Zufällig oder nicht – parallel dazu wurde der Tourismus in den Rang einer Chefsache erhoben. In der Staatspolitik wurde mit der verkündeten Diversifizierung der Wirtschaft auch der Tourismus zum zukunftsträchtigen Wirtschaftszweig erklärt. In- und ausländische Consultants erarbeiteten Masterpläne für die Entwicklung von Tourismusclustern. Beim Aufbau einer landesweiten Tourismusstruktur orientiert man sich an zentralisierten Modellen. Auch auf der Messe ist der Paradigmenwechsel sichtbar. Der gesichtslose wilde Stand wurde durch einen prächtigen Pavillon ersetzt, die Arbeit der Delegation strengen Regeln unterworfen. Anwesenheitspflicht, ein Dress-Code, statt Gelagen je eine Rose und ein Glas Sekt für die Damen am 8. März – dann wieder Übergang zur Tagesordnung. In diesem Jahr fiel angenehm auf, dass der Vorsitzende des Staatlichen Tourismuskomitees seinen Stand von der ersten bis zur letzten Minute mit freundlicher Wachsamkeit managte.  Auf Facebook hat das Ministerium für Industrie und neue Technologien sogar eine öffentliche Diskussionsplattform zum Thema Tourismusentwicklung eingerichtet: http://www.facebook.com/groups/tourizmkz/

Neue Tourismusindustrie begräbt den natürlichen Reiz

Auf die Anzahl der Touristen hat das bisher keine direkten Auswirkungen. Im Vergleich mit dem sich ständig verbreiternden Strom der Businessreisenden nimmt sich die stagnierende Menge der Urlaubsreisenden wie ein Bächlein aus: So waren es bei ersteren 2012 bereits 500.000, während letztere gerade mal bei 40.000 bleiben. Das passt nicht zur Strategie der Regierung, im Rahmen des Diversifizierungsprogrammes der Wirtschaft den Tourismus zur „Industrie“ zu erheben. Eine halbe Million Menschen sollen hier beschäftigt sein, das wären fast 10 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung. Lieber Reisender, wenn Sie künftig in Kasachstan unterwegs sind, bedenken Sie es: Was für Sie ein Hobby ist, sieht der Staat als Wirtschaftszweig mit Wachstumspflicht. Fünf große Cluster (Astana-Borowoje, Skigebiete um Almaty, Skigebiete und mehr in Ostkasachstan, Beachtourismus in Kenderli am Kaspischen Meer und Kulturtourismus an der Seidenstraße) sollen als Gelddruckmaschine funktionieren und bis 2020 sage und schreibe acht Millionen Touristen und viele Milliarden Dollar ins Land holen. Die EXPO-2017, vor kurzem durch Astana im kurzen, ungleichen Kampf gegen das belgische Liege errungen, soll dabei die Rolle einer Initialzündung spielen. Wie die Clusterpolitik aussieht, kann man jetzt schon an einigen Beispielen beobachten. Der Nationalpark Borowoje unweit der Hauptstadt Astana wird mit teuren Hotels und privaten Luxusvillen zugebaut, und in Almaty ist eine erbitterte Schlacht zwischen Stadtregierung und Zivilgesellschaft um das Plateau Kok-Shailau entbrannt, welches die meisten Almatiner gern als naturbelassenen Erholungsort im Nationalpark sehen würden, wogegen andere von „Veredlung“ zum Skiressort und großen Geldbeträgen träumen.

Viele Kenner des Landes haben Zweifel, ob eine derart verordnete Entwicklungsstrategie nicht das unter sich begräbt, was bisher noch den Reiz ausmacht: Unverbaute Natur und herzliche Gastfreundschaft der Menschen.

Von Dagmar Schreiber

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