Die vor 30 Jahren unterzeichnete Helsinki-Erklärung kann als Grundsteinlegung des Schutzes von Bürgerrechten gelten. Auch die Republiken Zentralasiens haben die Erklärung unterzeichnet – doch es mangelt noch an der Umsetzung.

Die vor 30 Jahren unterzeichnete Helsinki-Erklärung kann als Grundsteinlegung des Schutzes von Bürgerrechten gelten. Auch die Republiken Zentralasiens haben die Erklärung unterzeichnet – doch es mangelt noch an der Umsetzung.

Menschen- und Bürgerrechte sind nicht nur ein abstrakter Gegenstand. Zahlreiche internationale Verträge definieren deren Inhalt und fordern die Gewährung von Menschen- und Bürgerrechten ein. Prominentestes Beispiel ist die 1948 verabschiedete Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, die mittlerweile von den 191 Mitgliedsstaaten der UNO anerkannt ist.

Ebenso bedeutend ist die vor genau 30 Jahren unterzeichnete Helsinki-Abschlusserklärung der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Heute ist aus der KSZE die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geworden (OSZE). Die OSZE mit Sitz in Wien hat sich als größte regionale Kooperationsform der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz von Menschen- und Bürgerrechten etabliert. Gerne wirbt die OSZE mit dem Slogan, sie reiche von Vancouver bis Wladiwostok, da sie 55 Mitgliedsstaaten aus Europa, Nordamerika und Zentralasien umfasst.

Die reine Anzahl der Mitgliedsstaaten von UNO und OSZE zeigen: Fast alle international anerkannten Staaten sind den Abkommen mit globaler und regionaler Ausrichtung beigetreten, die offiziell den Schutz von Menschen- und Bürgerrechten einfordern. Kaum eine Regierung und kaum ein Staatsmann möchte sich innerhalb der internationalen Gemeinschaft isolieren.

Kritische Stimmen bezeichnen solche Konventionen deswegen gerne als Papiertiger. Sie würden auch von Staaten ratifiziert, in denen die Menschen- und Bürgerrechtsituation de facto mehr als kritisch zu betrachten ist. Das Regime Saddam Husseins unterzeichnete beispielweise Mitte der 1990 Jahre alle bedeutenden Erklärungen im Bereich der Menschen- und Bürgerrechte. Der Fall Irak zeigt, warum von kritischer Warte aus gesehen der konkrete Nutzen solcher Verträge oftmals in Frage gestellt wird.

Trotz berechtigter Kritik können die Abkommen zivilgesellschaftliche Prozesse unterstützen.

Historisch gesehen hat die offizielle Unterzeichung der OSZE-Abschlusserklärung 1975 in Helsinki beispielsweise die inoffizielle Dissidentenbewegungen Mittel- und Osteuropas entscheidend gestärkt. Die Dissidenten forderten von ihren Regierungen Einhaltung der Prinzipien, zu denen sie sich auf internationaler Ebene verpflichtet hatten. Nicht umsonst wird derzeit nicht nur das 30-jährige Jubiläum der Helsinki-Erklärung gewürdigt, sondern auch das 25-Jubiläum der polnischen Solidarnosc-Bewegung begangen. Ein Musterbeispiel solchen Wandels repräsentiert die Vita Vaclav Havels. Er begann als oppositioneller Schriftsteller und Vordenker der tschechischen Dissidentenbewegung, war Gestalter des Wandels und wurde zum postsowjetischen Staatspräsidenten gewählt.

Soziologische Studien zeigen, dass Ratifikationen von Menschenrechtsabkommen nicht nur leere Versprechungen sein müssen. Sie ermutigen politische Aktivisten und fördern die Bildung von NGOs, die die Regierungen dann an ihre internationalen Versprechen erinnern. Je mehr NGOs öffentlich wahrnehmbar präsent sind und eine Parallel- oder Zivilgesellschaft formieren, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit der Besserung der Menschenrechts- und Bürgerrechtssituation auf lange Frist.

Alle jungen Republiken Zentralasiens sind Anfang oder Mitte der 1990er Jahren der UNO respektive der OSZE beigetreten und haben deren Abkommen ratifiziert. Sie haben sich damit de jure zur Einhaltung der dort definierten Menschen- und Bürgerrechte verpflichtet. Seitdem sind UN und OSZE mit regionalen Büros und konkreten Missionen vor Ort. Die OSZE führt nicht nur Wahlbeobachtungen durch, sondern organisiert auf nationaler und regionaler Ebene regelmäßig Seminare vor Ort, um das Wissen um den Wert demokratischer Bürgerrechte zu verbreiten.

Besonders im Bereich der Gewährung von Bürgerrechten, inklusive politischer Rechte sowie Presse- und Medienfreiheit, besteht gemäß dem Wiener OSZE-Sekretariat in Zentralasien noch Besserungsbedarf. Das Auswärtige Amt der Bundesrepublik wird in seinen Zentralasieninformationen noch deutlicher und sieht Bürgerrechte und Pressefreiheit in Zentralasien eingeschränkt bis nicht gewährleistet, da „die Staaten dieser Region von mehr oder weniger stark autokratisch geprägten Präsidial-Regimen regiert“ werden.

Die internationale Menschenrechts- und Journalistenvereinigung „Reporter ohne Grenzen“ setzte den kasachstanischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew gar auf ihre Liste der größten Gegner der freien Presse. Kasachstan liegt in der Rangliste der weltweiten Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ auf Rang 131. Die Rangliste wird durch die Befragung von Partnerorganisationen, Journalisten, Wissenschaftlern, Rechtsexperten und Menschenrechtlern erstellt. Tadschikistan belegt Platz 95, Kirgisistan Rang 107, Usbekistan ist 142. und Turkmenistan 164. Den 167. und letzten Platz hat Nord-Korea inne.

Die UNO- und OSZE-Missionen vor Ort nutzen ihre Kanäle und mahnen das Fehlen demokratischer Institutionen in Zentralasien an. In Usbekistan taten dies ebenso Menschenrechtsaktivisten. So auch der in Kasachstan Zuflucht suchende usbekische Aktivist der Organisation Human Rights Watch, Lutfullo Schamsudinow. Auch er wollte seine Regierung an ihre internationalen Zusagen erinnern. In diesem international beachteten Testfall lehnte die kasachstanische Führung das offizielle usbekische Auslieferungsgesuch ab. Sie überstellte Schamsudinow dem Büro der UN-Flüchtlingsorganisation (UNCHR) in Almaty. Die Regierung in Astana fürchtete um ihr internationales Ansehen. Denn als Unterzeichner der UN-Flüchtlingskonvention darf Kasachstan keine Person in ein Staat ausliefern, in dem die Gefahr von Folter droht.

Ob sich die Bürger Zentralasiens Mittel- und Osteuropa als Vorbild nehmen können und die Machthaber selber an ihre Zusagen erinnern können ist, indes fraglich. Wenn Nutzen und Grenzen offizieller Abkommen zu Menschen- und Bürgerrechten diskutiert werden, können Fragen der Existenzsicherung, der materiellen Situation und der sozialen Teilhabe nicht ausgeblendet werden. Koordinierte politische Aktivität ist erst möglich, wenn das tägliche Überleben nicht den Tagesablauf vieler dominiert. Dann bleibt Zeit für Engagement, Information und politische Teilhabe. Ansonsten droht, wie in vielen Regionen Zentralasiens, politische Marginalisierung breiter Bevölkerungsschichten. Der kirgisische Reporter Kabai Karabekow formulierte in der Deutschen Welle treffend: „Die Menschen bei uns müssen sich doch jeden Tag entscheiden, ob sie ein Brot oder eine Zeitung kaufen sollen“.

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