Im April 2016 hat sich André Plota mit seinem Fahrrad in ein Flugzeug gesetzt und ist damit nach Japan geflogen. Seitdem fährt er zurück nach Hause, weil es immer besser zurück– als wegzufahren ist, meint André. Vier Monate lang hat er in Almaty Winterpause und ein Praktikum beim Deutschen Akademischen Austauschdienst gemacht. Nun sitzt er wieder im Sattel und steigt unermüdlich in die Pedale. Der DAZ hat er von seinen Erlebnissen erzählt, und warum er auf diese ungewöhnliche Art reist.

Warum hast du dich genau vor einem Jahr dazu entschlossen, diese Reise zu machen?

Ich bin immer schon gerne rumgereist. Für eine Weile habe ich als Lehrer gearbeitet. Da hatte ich Verträge für drei bis vier Monate und konnte mir immer aussuchen, ob ich mal länger frei haben will. So habe ich versucht, diese Möglichkeit zu nutzen: Vier Monate Geld gespart und drei Monate gereist. Jetzt, hat sich das vom Alter her angeboten, so eine Reise nochmal für längere Zeit zu machen. Weil das wahrscheinlich in zehn Jahren, wenn ich eine Familie habe, nicht so funktionieren würde. Oder wenn ich tief in einem Job stecke.

Warum wählst du das Fahrrad als Reisemittel?

Kilometerstand in der Mongolei. | Bild: privat

Es ist eine angenehme Reisegeschwindigkeit. Man sieht auch, was zwischen den Städten oder größeren Orten ist. Das schätzen viele Europäer völlig falsch ein. Die fahren irgendwo hin, um irgendwelche bestimmten Gebäude, Strände oder Tempel zu sehen. Es scheint gar nicht wichtig zu sein, was für Menschen in dem Land wohnen. Wenn man mit dem Fahrrad fährt, ist man näher an der Bevölkerung, man bekommt die Mentalitäten besser mit.

Auch wird man auf dem Fahrrad ganz anders wahrgenommen. In Asien, also in China zum Beispiel, fährt man schon Fahrrad, aber da ist das Fahrrad kein Reisemittel, um längere Strecken zurückzulegen. Wenn mich die Leute fahren sehen, ergeben sich viele interessante Situationen.

Manche sind wahnsinnig vorsichtig; in Nordchina hatten die Menschen auch Angst vor mir. Ich hatte das Gefühl, die dachten, ich komme mit Problemen. Wenn ich zu einer Tankstelle gefahren bin, sind die Leute sofort aus ihrem Haus herausgekommen und haben abgewunken, beziehungsweise mir zu verstehen gegeben, dass sie mir nicht helfen können, obwohl ich eigentlich nur ein Wasser kaufen wollte (lacht).

Aber da gab es auch ganz andere Situationen. In Indien oder Pakistan war die Verständigung kein Problem. Da wurde ich einfach in die Häuser eingeladen. Oder ich habe in Straßenrestaurants versucht zu bestellen und zu bezahlen, aber es war oft nicht möglich, weil mich die Leute automatisch eingeladen haben.

„Es ist eine kostengünstige Art zu reisen.“

Wie finanzierst du diese lange Reise?

Ich habe gespart. Am Fahrrad braucht man nicht viel. Die einzigen Kosten sind für Transport, Essen und Unterkunft. Meistens habe ich im Zelt geschlafen, zwischen großen Städten hatte ich auch nie viele Möglichkeiten. Das Fahrrad war das Transportmittel. Ich musste mich sozusagen nur mit Nahrung versorgen. Es ist eine kostengünstige Art zu reisen. Ich wüsste nicht, was noch günstiger wäre. Trampen vielleicht. Ich denke, dass man auf dem Fahrrad nie mehr als 300 Euro im Monat ausgibt.

Das kommt auch auf das Land an. In Pakistan zum Beispiel, wurde ich wirklich zu allem eingeladen. Da war es in Supermärkten total schwer, wenn die Leute draußen das Fahrrad gesehen haben. Sofort haben sie „nimm mit” gesagt und mir den Einkauf einfach geschenkt. Einmal bin ich in eine Werkstatt gefahren, wo man mir sagte: „Nimm dir einfach von allem das Größte!” Ich entgegnete: „Ich brauch nichts, ich brauch nur ein Fettspray!” Aber man gab mir noch einen Putzlappen, Kekse und, und, und. Am Ende haben sie gesagt: „Jetzt schläfst du aber auch hier, oder?” (lacht).

Das ist sehr interessant, dass man in den vermeintlich „ärmsten” Ländern auch am wenigsten bezahlt, weil man überall eingeladen wird und die Leute wahnsinnig viel geben.

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Welche Länder haben dir am besten gefallen?

Übernachtung auf der chinesischen Mauer. | Bild: privat

Auf jeden Fall Pakistan. Also nicht nur auf der Reise, sondern von allen Ländern, wo ich bereits war, war es in Pakistan am schönsten. Da waren die Leute sehr gastfreundlich, das ist eine eigene Liga. Du könntest da mit dem Fahrrad alle halbe Stunde anhalten.

Ein mal bin ich mit einem Motorradfahrer ungefähr 70 Kilometer gefahren, der mich zu allem eingeladen hat. Ich konnte – durfte – nichts bezahlen. Jedes Mal, wenn ich zu meiner Geldbörse geschaut habe, hat er gesagt: „Ne, ne, du bist eingeladen, du bist ja Gast in dem Land”. Als er dann weg war, kam irgendjemand anders und hat „übernommen”.

So ging das über mehrere Tage oder Wochen. Sogar die Polizei hat mich eingeladen, da konnte ich in den Polizeistationen schlafen. Vielleicht, weil es nicht so verstädtert ist. Im Norden ist auch das Karakorum-Gebiet. Da achten die Einheimischen schon auf die Sicherheit von Ausländern. Für sie ist es kein gewöhnlicher Anblick, einen Ausländer mit dem Fahrrad durch ihr Land durchfahren zu sehen.

Sehr interessant war auch Nordkorea. Die Tage will ich nie missen, auch wenn man da total isoliert war, überwacht wurde 24 Stunden und alles von Guides organisiert war, von diesen ‚Aufpassern‘. Man versucht ja als ‚westlicher Tourist‘ immer die Grenzen auszutesten. Wie weit kann man gehen, wie weit kann man sich von der Gruppe entfernen, wie weit kann man diese Beschränkung, dass man mit Einheimischen nicht in Kontakt treten darf, überschreiten.

„Wir treffen uns unter der großen Mao-Statue, du gibst mir das Geld, ich gebe dir alle Dokumente.“

Da bist du aber nicht mit dem Fahrrad durchgefahren, oder?

André Plota unterwegs durch Nordpakistan. | Bild: privat

Nein, das ging nicht mit dem Fahrrad. Da musste ich mit einer Touristengruppe mitfahren. Das war eigentlich völlig unkompliziert. Ich habe in der Mongolei einen Kontakt zu einer chinesischen Reisegesellschaft aufgebaut.Dann habe ich an der chinesischen Grenze eine Frau getroffen – das war total witzig.

„Wir treffen uns unter der großen Mao-Statue, du gibst mir das Geld, ich gebe dir alle Dokumente“. Und dann bin ich mit der chinesischen Gruppe nach Pjöngjang gefahren. Meistens sind wir mit dem Bus herumgefahren worden. Ich habe immer versucht, irgendwelche Einheimischen anzusprechen. Wenn es kein Programm gab, mussten wir immer im Hotel bleiben. Ich wollte aber mit den Einheimischen trotzdem in Kontakt treten, habe versucht mich mit dem Hotelpersonal anzufreunden und mit den Menschen zu sprechen.

Was konntest du bei den Gesprächen herausfinden?

Relativ wenig. Meistens musste meine Dolmetscherin das machen, aber die konnte dann eben auch die Gespräche führen, und die Fragen, die ich an jemanden gestellt habe, beeinflussen. Wir sind auch zur südkoreanischen Grenze gefahren, wo der Soldat, der eigentlich eine Führung mit der chinesischen Gruppe und mir machen sollte, seine Arbeit dann an jemand anderen übergeben hat, um mit mir privat zu sprechen. Das fand ich sehr seltsam. Weil ich mich zwar für die Länder und ihre Kulturen interessiere, durch die ich fahre, aber nicht so politisch bewandert bin, dass ich eine 100%ig adäquate Antwort geben kann. Er hat dann Dinge gefragt wie „Was sind die Vorteile und Nachteile der nordkoreanischen Politik?” Und ich stand da, mit dieser Dolmetscherin und musste irgendeine Antwort geben (lacht).

Tagelange Polizeieskorte

Hattest du irgendwelche Sicherheitsbedenken auf deiner Reise?

Mit dem nordkoreanischen Grenzpolizisten. | Bild: privat

Ich habe mich vorher natürlich informiert und habe auch Leute getroffen, die schon in den Regionen waren, die als gefährlich gelten. Es gibt im Norden Pakistans zum Beispiel diese gesetzlosen Gebiete, um den Karakorum Highway, wo man mit einer Eskorte durchgefahren wird. In meinem Reiseführer gab es Horrormeldungen davon, wie ganze Busse und Individualtouristen ausgeraubt werden. Aber grade wegen Pakistan zum Beispiel habe ich mir nie besonders viele Gedanken gemacht.
In Nordpakistan hat mich die Polizei mal mit dem Auto mitgenommen oder mich eskortiert. Das war ein Luxus. Da bin ich 100 Meter vor dem Polizeiauto gefahren und die hinter mir her. Und nach jedem Zuständigkeitsabschnitt haben sie an ihre Kollegen übergeben. Oder sie haben das Fahrrad einfach in den Polizei-Jeep reingestellt und gemeint „wir haben jetzt wirklich nicht so viel Zeit” und mich gefahren. Ein Mal ging das wirklich über drei Tage so.

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Warum hast du dich dazu entschlossen, in Kasachstan zu überwintern?

Ich wollte weiter nach Kirgisistan, Tadschikistan, vielleicht Afghanistan und wusste, dass es in dieser Region im Winter wahnsinnig viel Schnee gibt und es sehr kalt wird. Man könnte schon theoretisch mit dem Fahrrad weiterreisen, aber so richtig genießen kann man es dann nicht mehr. Bei –30 oder –40 Grad auf einer vereisten Straße kann für ein- oder zwei Tage okay sein, aber für eine längere Zeit ist das keine Option für mich gewesen.

So kam die Idee in Zentralasien zu überwintern, vielleicht auch ein bisschen die Sprache zu lernen und in einer Region länger zu bleiben, die in Europa relativ unbekannt ist. Beim DAAD hat die Organisation dann gut geklappt. Mir war es wichtig, nicht nur vier Monate im Hostel herumzusitzen, sondern meine Zeit sinnvoller zu gestalten. Ich betreute hier die Social Media Kanäle, machte Prozessoptimierung und Archivierung.

Gemütliches Kasachstan

Welchen Eindruck hast du von Kasachstan?

Ankunft in Almaty im Winter. | Bild: privat

Es war für mich ein völlig unbekanntes Land am Anfang. Mit Kasachstan habe ich immer nur Steppe und Erdöl verbunden, aber hatte keine Ahnung von der Kultur hier. Eine Freundin von mir ist Kasachstandeutsche, deren Eltern ausgewandert sind. Dadurch wusste ich, dass es hier die deutsche Minderheit gibt. Was mich aber sehr überrascht hat, war die koreanische Minderheit. Da habe ich erst begriffen, wie viele Ethnien hier zusammenleben, das hat mich fasziniert. Allgemein sind die Leute hier sehr gemütlich, das finde ich sympathisch.

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Was war, rückblickend betrachtet, am schwierigsten – wo du am liebsten sofort nach Hause gefahren wärst?

Es gab mal so einen Schneesturm in Sibirien, da hatte ich keine Lust mehr, fahrradzufahren (lacht). Das ging zwei Tage lang so, da hätte man im Kreis fahren können und immer wäre der Wind von vorne gekommen. Ich kam einfach nicht voran und die Distanzen in Sibirien sind endlos. Aber auch das Warten auf die Visa war anstrengend. Also die ewige Warterei, das Zusammentragen von Dokumenten. Aber sonst hatte ich, als ich in Almaty angekommen bin, immer noch so eine gute Laune wie am ersten Tag.

„Er hat mich geweckt und gesagt, dass wir jetzt zusammen in die Moschee gehen müssen.“

Gibt es eine Begegnung, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist?

Am Karakorum Highway musste ich einmal in der Polizeistation übernachten. Ein Beamter hat auch dort geschlafen. Vor dem Sonnenaufgang hat er mich geweckt und gesagt, dass wir jetzt zusammen in die Moschee gehen müssen. Ich hatte nichts dagegen, aber meinte, ich sei kein Moslem. Er hat mich gefragt, woran ich glaube. Aus Verständnisgründen hab ich auf diese Frage immer geantwortet, dass ich Christ sei. Er hat dann gemeint, es ist ihm völlig egal, welcher Religion ich angehöre, er würde sich einfach freuen, wenn ich mit ihm mitkomme, um in seiner Moschee zu beten. Das war einfach ein sehr schönes Erlebnis.

Was machst du, wenn du wieder zu Hause bist?

Das weiß ich noch nicht (lacht)! Wenn man schon auf der Reise viele Pläne macht für danach, kann man ja das Jetzt gar nicht richtig genießen. Die Sorgen werden schon kommen, je näher man an das Ende der Reise kommt. Jetzt sind andere Dinge wichtig. Weiter geht es immer irgendwie. Das habe ich auch durch das Fahrradfahren gelernt. Es können so viele Dinge zwischendurch passieren, die man nicht planen kann.

Das Interview führte Diana Köhler.

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