Tatjana, Saltanat, Anna und Swetlana mögen es hart. Die vier Mädels wagten sich an ein bis heute sehr unweibliches Klangformat und gründeten die Metal-Band Octarine. Ein Besuch bei der Bandprobe.

/Bild: Antonie Rietzschel. ‚Octarine proben zweimal die Woche in einem kleinen Raum in einem Keller.’/

Ein Besuch bei der Bandprobe.

Haarreifen, Schminke im Gesicht, zartrosa lackierte Fingernägel – Auf den ersten Blick unterscheidet Tatjana überhaupt nichts von den anderen Mädchen in ihrem Alter. Es ist ihre Stimme, die aufhorchen lässt – tief und ungehobelt, wie ein altes Weinfass, gleichzeitig aber auch sanft, beinahe zärtlich. Wenn Tatjana hinter dem Mikro steht, umschmeichelt sie die Zuhörer mit sirenenhaftem Gesäusel, um anschließend in einen stimmlichen Tobsuchtsanfall auszubrechen. Dann kneift sie die Augen zusammen, schreit und tobt wie ein Berserker. „Es ist toll, wenn man mal ausrasten kann! Das verschafft Erleichterung“, sagt die 21-Jährige.

Tatjana ist die Sängerin von Octarine, einer Metal-Band mit rein weiblicher Besetzung. Zweimal in der Woche treffen sie sich zur Probe in einem kleinen Raum, der mit grauen Teppichen ausgekleidet ist. Eine Neonröhre streut kaltes Licht. Gespielt und gesungen wird in Socken oder mit Pantoffeln an den Füßen, Straßenschuhe müssen draußen bleiben. Durch die Wand dringt kuscheliger Rock. Er kommt aus dem Probenraum nebenan. Auch Schlagzeugerin Anna hat früher solche Musik gemacht, bis sie sich für eine härtere Gangart entschied. „Ich habe schon länger Metal gehört. Aber die Band Korn hat alles verändert“, sagt sie.

Das erste Mal schreien

Ein Besuch bei der Bandprobe.

Korn gelten als Mitbegründer des New-Metal, einer Spielart des Metal, bei der nicht nur harte Gitarren, sondern auch Hip-Hop-Klänge zu hören sind. Auch Anna wollte diese Musik machen und stellte sich ihre eigene Band zusammen. Ihre Freundinnen, die Bassistin Saltanat und Gitarristin Swetlana waren sofort dabei. Sängerin Tatjana meldete sich, nachdem sie die drei Mädels auf einem Konzert hatte spielen sehen. Bei der ersten gemeinsamen Probe fragte Anna die Neue, ob sie nicht schreien könne. „Tatjana hatte noch nie zuvor geschrien, aber es hat sofort gepasst“, sagt die Schlagzeugerin.

Während der Proben spielen Octarine vorrangig Sachen von ihren Lieblingsbands. Sie haben aber auch schon zwei eigene Lieder geschrieben. „For you“ ist nach den Übergriffen in Südkirgisistan im Sommer letzten Jahres entstanden. „Wisst ihr, wofür ihr kämpft?“, singt Tatjana.

Die Musik, die Octarine machen, gilt bis heute als eher unweibliches Klangformat. In der Metal-Szene gibt es nur wenige Bands mit Sängerinnen, die sich einen Namen gemacht haben, wie zum Beispiel Evanescence oder Otep. Noch seltener sind Gruppen, bei denen ausschließlich Mädels hinter den Instrumenten stehen, wie bei der kanadischen Band Kittie zum Beispiel. Deren Mitglieder verkörpern Härte und Weiblichkeit zugleich.

Auch die vier Mädels von Octarine möchten mehreren Rollen gerecht werden: sie wollen in der kleinen Metal-Szene Almatys als Musiker ernst-, gleichzeitig aber auch als Frauen wahrgenommen werden. Wie gut sie beides bereits beherrschen, sieht man an ihrem musikalischem Auftreten. Sobald sie spielen, ist da diese krachende Energie, die die Enge des grauen Proberaums zu sprengen scheint. Tatjana röhrt und schreit die Wände an, dass man denkt, sie könnten jeden Moment bersten. Die Taktwechsel und Tempoverlangsamungen hinterlassen einen tiefen Eindruck, die Lautstärke sorgt für ein leises Fiepen im Ohr.

Die Zuhörer als Opfer

Ein Besuch bei der Bandprobe.

In einer Pause erzählt Anna die Geschichte des Bandnamens. Sie hat das Buch „Twilight“ gelesen. Die Autorin beschreibt in einer Szene die Vampirwerdung eines Mädchens. „Das erste Licht, das sie sieht, als sie die Augen öffnet, ist Oktarin, die achte Farbe des Farbspektrums.“ Eigentlich ist es eine ziemlich alberne Geschichte: eine Metal-Band, die sich nach einem Roman benennt, der Millionen von Teenie-Mädchen den Kopf verdreht hat. Doch irgendwie passt das auch. Denn wenn Tatjana singt, genüsslich vor jedem Schrei die Zähne bleckt, erinnert sie an einen hungrigen Vampir kurz vor dem Biss. Der Zuhörer wird zu ihrem Opfer, das angesichts ihres reizenden Spiels nicht mehr wegschauen kann. Es prickelt nicht nur in den Gehörgängen, sondern auch im Nacken, einfach überall. Ein Gefühl, das bis zum Ende eines Liedes anhält oder bis Tatjana den Text vergisst. Dann fängt sie an zu kichern wie ein kleines Mädchen. Da ist keine Härte mehr, keine Weiblichkeit, nur noch das unsichere Gebaren eines Teenagers. Der Bann ist gebrochen.

Von Vinzenz Greiner und Antonie Rietzschel

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