Elmira Schaltuganow ist 28 Jahre alt und wurde in Kasachstan geboren. Elmiras Vater Nurzan war Direktor einer Kolchose und ihre Mutter Katharina arbeitete als Biologielehrerin. Sie haben sich entschieden, in den 1990er Jahren nach Deutschland auszuwandern. Elmira erzählt im Interview über ihre Eindrücke von Kasachstan, nachdem sie nach 18 Jahren für kurze Zeit wieder zurückgekehrt ist.

Elmira, was hat Dich nach Kasachstan geführt?

Ich mache hier ein dreimonatiges Praktikum bei der Delegation der deutschen Wirtschaft in Zentralasien.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, Dein Praktikum in Kasachstan zu machen?

Natürlich ist mir das Land an sich aus persönlichem Interesse wichtig und bedeutend, weil ich ja hier geboren wurde. Ich habe mich gefragt, woher ich eigentlich komme, wo meine Wurzeln sind. Dann dachte ich, es wäre eine gute Idee, ein Praktikum hier in Kasachstan zu machen. Also natürlich auch mit dem Hintergedanken, dass ich hier vielleicht auch eine berufliche Perspektive haben oder meine Russischkenntnisse verbessern könnte.

Du bist also nicht das erste Mal in Kasachstan?

Ja, so gesehen ist das meine erste Wiederkehr nach Kasachstan. Ich bin ja schon 18 Jahre nicht mehr hier gewesen.

Kannst Du dich an Deine Kindheit hier in Kasachstan erinnern?

Ja, ich kann mich erinnern – und zwar an den Kindergarten und an meine Schulzeit. Der Kindergarten ging bis vier Uhr nachmittags. Wir kamen morgens, es gab Mittagessen und danach mussten wir Mittagsschlaf halten. Die hatten dort extra für jedes Kind Betten stehen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich, als ich den Kindergarten verlassen habe, ein Heft geschenkt bekam mit allen Bildern und Bastelleien, die ich gemacht hatte. Das war dann mein „Kindergartendiplom“. Ich hatte zum Beispiel versucht, eine Gurke auszuschneiden, die dann aber nicht rund, sondern kantig geworden ist.

Ich habe ja noch drei Klassen hier in Kasachstan gemacht und habe auch noch ganz viele Fotos. Zum Beispiel gibt es noch Bilder, die uns in Schuluniform zeigen. Wir mussten ganz gerade dasitzen, dann hat der Fotograf ein Foto gemacht.

Hast Du den Unterschied zwischen der Schule in Kasachstan und der deutschen Schule bemerkt?

Ja ganz extrem. Zum Beispiel, dass wir Uniformen tragen mussten, das musste ich ja in Deutschland nicht. Dort hatte ich sehr junge Lehrer, die uns erlaubt haben, sie zu duzen. So etwas gab es in der kasachischen Schule nicht. Dann war der Unterricht an sich viel lockerer und viel verspielter. In Kasachstan mussten wir mit gradem Rücken in der Bank sitzen und mit geradem Arm aufzeigen. Wer die Ordnungsregeln nicht einhielt, bekam einfach schlechtere Noten.

Wo habt ihr hier in Kasachstan gewohnt?

Das war in Nordkasachstan, in Timirjasewo. Das ist ein größeres Dorf. Dort habe ich auch immer noch Verwandte.

Inwieweit haben Deine Eltern Dich darauf vorbereitet, aus der Heimat auszuwandern?

Ich kann mich vage daran erinnern. Wir sind eine große Gruppe gewesen, die nach Deutschland geflogen sind: also alle meine Tanten, Onkel, Cousinen und Cousins waren dabei. Ich hatte noch vorher mit meinem Cousin ein paar deutsche Wörter geübt.

Aber ich glaube, uns war das gar nicht so wirklich bewusst, dass wir in ein anderes Land umziehen. Das war ja wie ein riesiger Familienausflug. Die ganze Familie war zusammen. Erst fuhren wir Zug, dann saßen wir gemeinsam im Flugzeug.

Wir haben eine große Feier gemacht, bevor wir weggezogen sind. Viele Freunde sind gekommen. Meine Mutter hat viele Sachen verschenkt, und sie hat auch geweint. Ich glaube, da habe ich verstanden, dass es doch was Großes war. Aber so richtig verstehe ich jetzt erst, was das eigentlich für uns alle bedeutete auszuwandern. Meine Eltern haben ja hier alles aufgegeben, um uns, meiner Schwester und mir eine bessere Zukunft zu bieten.

Elmiras Mutter Katharina und ihr Vater Nurzan. | Bild: privat

Was würdest du denken, wie es Dir gehen würde, wenn Deine Eltern hier geblieben wären?

Wenn ich hier geblieben wäre, würde es uns auch gut gehen. Meine Cousinen, die hier in Kasachstan aufgewachsen sind, haben auch alle studiert, so wie ich.

Kannst Du dir vorstellen, für längere Zeit wieder nach Kasachstan zurückzukehren?

Ja, in den ersten Monaten war ich richtig begeistert und habe auch versucht, hier einen Job zu finden. Ich fühle mich sehr wohl hier und kann mir gut vorstellen, hier zu wohnen und zu leben – vielleicht für drei vier Jahre. Letztendlich glaube ich aber, dass ich längerfristig in Deutschland zufrieden sein werde. Ich habe gemerkt, dass Kasachstan nicht das einzige Land ist, das mich interessiert. Ich finde es einfach sehr interessant für ein paar Jahre hier zu sein, um einfach noch etwas von dem Land zu sehen.

Auf der anderen Seite merke ich schon, dass ich richtig „deutsch“ geworden bin: zum Beispiel, wenn ich mich mal wieder über den Verkehr in der Stadt aufrege.

Waren deine Eltern eigentlich zwischendurch wieder hier?

Meine Mutter ist nicht wieder zurückgekehrt, aber mein Vater war zwischendurch zweimal hier. Meine Eltern haben sich auch schon so richtig an die deutsche Lebensart gewöhnt. Sie haben ihre warme Wohnung, brauchen nicht mehr in den Garten, gehen dafür in den Supermarkt, um frisches Gemüse zu haben. Sie brauchen keine Kühe mehr zu melken, haben ein Auto und führen ein gemütliches und sicheres Leben in Deutschland.

Gibt es in Eurer Familie kasachische Traditionen?

Meine Mutter hat uns immer traditionelle Gerichte gekocht, also Beschbarmak, Manty; Pelmeni gab es auch mal. Jetzt liest sie zum Beispiel die russischsprachigen Zeitungen, die es in Deutschland zu kaufen gibt. Meine Eltern mögen lieber die kasachisch-sowjetische Küche, sie essen nicht so gerne Pasta oder Spaghetti, was ich halt gerne esse.

Wir pflegen keine typisch kasachischen Traditionen, weil meine Mutter Russlanddeutsche ist und mein Vater Kasache. Aber ich würde sagen, dass meine Eltern eine gewisse sowjetische Mentalität behalten haben. Zum Beispiel setzt sich mein Vater immer für eine Minute hin, bevor er auf Reisen geht.

Mein Vater sitzt morgens und abends richtig lange am Küchentisch und trinkt Tee. Das ist für ihn wie eine Zeremonie. Er stellt sich dann auch extra eine Teekanne auf den Tisch und gießt den Tee in verschiedene Gefäße, dann kommt noch Milch dazu. Dabei ist es besser, wenn ihn keiner anspricht, dann ist er entspannt.

Vielen Dank für das Gespräch, Elmira!

Interview: Dominik Vorhölter

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