Europa ist groß. Europa ist mächtig. Europa ist mir wichtig. Ich bin eine penetrante Verfechterin der Demokratie und der europäischen Integration und so stand ich zur Wahl parat. Klar gehe ich zur Europawahl, tönte ich laut herum, allein drängte sich schnell die Frage auf: Wie wählt man Europa?

Diese Frage hat mich ad hoc überfordert. Spontan würde ich sagen: Ja, ich bin dafür! Gut, es würde wohl nicht darum gehen, für oder gegen Europa zu stimmen. Das eigene Einverständnis und Engagement für Europa zeigt man, indem man zur Wahl antritt. Aber wohin mit der teuren, wichtigen Stimme? Mal überlegen: Was macht die EU aus? Viele verschiedene Länder. Gut, ich wähle die Niederlande! Geht nicht, was dann? Ich suchte im Internet nach Anregungen. Es galt, eine Partei zu wählen. Diese Brücke zu schlagen schaffe ich gedanklich bis heute nicht. Ich habe die Europapolitik nie mit der Parteienlandschaft verbunden. Europa ist globaler. Europa ist übergreifend. Auch parteiübergreifend. Nach meinem Verständnis jedenfalls. Ich kann gerade mal sagen, welche Partei ich für meine Kommune, für mein Bundesland, für Deutschland bestimmen möchte, meine Interessen zu vertreten. Aber für Europa? Ich finde im Internet eine Liste mit den Abgeordneten, die zur Wahl antreten, aber ich möchte mich nicht mit vielen einzelnen Personen auseinandersetzen, die sich in dem großen weiten und vielschichtigen Europa verlieren. Ich bediente erstmal den Wahl-O-Maten. Sollte er doch schlau ausrechnen, welche Partei am besten zu mir passt. Da wurde ich allerhand gefragt, vor allem zu Umwelt-, Gen- und Atomkraftthemen. Und ich konnte tatsächlich zu allen Fragen eine eindeutige Meinung abgeben, ein klares Ja oder Nein schoss mir sofort aus dem Kopf. Das fand ich gut. Bei keiner einzigen Frage musste ich mich bei einer „Mir doch egal“-Haltung erwischen lassen. Dann durfte ich bis zu acht Parteien auswählen, mit deren Programm ich meinen Meinungsspiegel verglichen haben wollte. Ich wählte die sechs klassischen: CDU, CSU, SPD, FDP, Grünen, Linke. Die anderen sagen mir meistenteils überhaupt nichts. Wer oder was bitteschön, ist oder sind CM, PBC, EDE, AUF, RRP… Wenn ich viel, viel Zeit hätte, würde ich mich ja gerne mit allen Parteien auseinandersetzen, die zur Wahl antreten; aber meine Herrschaften, ich habe keine Zeit. Also weiter! O nein, ich stimme am meisten mit den LINKEN überein! Aber gleich darauf folgen die SPD und die Grünen. Na, dann geht’s ja. Da die LINKE ganz und gar nicht in Frage kommt und ich mich zwischen SPD und Grünen sowieso nie entscheiden kann, könnte ich jetzt einfach auf die SPD losgehen. Aber so blindlings treuselig mochte ich meine wertvolle Stimme auch nicht ins Blaue setzen. Im Internet fand ich natürlich viele aufschlussreiche Informationen, leicht verständlich und bürgerfreundlich, so dass ich mir noch mal das Einmaleins der EU-Politik reinpfeifen konnte. Aber es blieb unkonkret: Wer will was wie in die Europapolitik einbringen? Je länger ich mich damit befasste, desto mühseliger fand ich das Ganze. Ich fand die Wahlprogramme der Parteien, aber inzwischen war mir die Lust vergangen, sie eingehend zu studieren. Ganz schön anstrengend so eine Europawahl, wenn man sie ernst nimmt. Und ich blieb schließlich zwischen demokratischem Anstand, Faulheit, einem Ticken Politikverdrossenheit, nicht zuletzt pauschalem Europafantum und dann, o nein, im Zug hängen! Mein Zug traf später ein als geplant, ich schaffe es nicht rechtzeitig zu meinem Wahllokal und habe damit glatt die Europawahl verpasst, verdammt! So bin auch ich an der miesen Wahlbeteiligung schuld! Aber auch wenn ich es nicht amtlich bezeugen konnte: Die EU find ich gut!

Julia Siebert

19/06/09

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