Almaty ist keine Stadt für den ersten Blick, eher eine für den zweiten. Das ist weder eine originelle Feststellung noch eine negative Assoziation oder gar eine Abwertung, steht so im Reiseführer und trifft sogar zu.

Kasachstan allgemein – das war für einige Kommilitoninnen vor dem Start meiner Reise, obwohl man sich hier doch in der Mitte eines Kontinents befindet, gleichbedeutend mit dem Ende der Welt. Vielleicht lag es auch daran, dass die Europakarten als Schreibunterlage aus Kindertagen am Kaspischen Meer endeten. Direkt dahinter, am undefinierten schwarzen Rand, setzte dann das Nichts ein, allenfalls vermutete man ein Namens-Wirrwarr von „-stan“-Ländern in der unbekannten Region.

Was nach eurozentrischer Unkenntnis aussieht, ist ehrlich gesagt auch eine. Wenngleich man sich selbst öfter davor gefeit meint, bin auch ich mit bestimmten Bildern im Kopf angereist. Wodka müsse man trinken, dachte ich, und vielleicht ist bereits im Herbst mit Schnee zu rechnen.

Nun sitze ich als Praktikant im Goethe-Institut gebeugt über einen Erfahrungsbericht, und bin dankbar über die ständig laufende Klimaanlage; Wodka habe ich bisher nur im Supermarkt aus der Ferne gesehen. Also wieder ein Europäer, dessen Vorurteile revidiert wurden? Schon, aber diese alte Erkenntnis ist nichtsdestotrotz bedeutsam, weil sie sich schlichtweg bewahrheitete.

Am ersten Tag in Almaty laufe ich staunend durch die Straßen. Eine erteilte Gleichförmigkeit im Baustil und sogar im regelmäßigen, quadratisch angelegten Straßenverlauf trifft dennoch auf Einmaligkeit. Man verrät mir, dass die Nord-Süd-Ausrichtung, die dem Stadtplan folgend besser als Süd-Nord-Ausrichtung zu titulieren ist, eine Kühlung der Stadt durch die Winde aus dem nahen Tienschan bewirke. Mannigfaltige orientalische, europäische und asiatische Ornamente an der Betonfassade und die jedes Mal verschieden gestalteten Balkone an der langen Straßenfront verleihen zudem Individualität im Kleinen.

In der Zentralasiatischen Medienwerkstatt begegnete ich dann Menschen aus ihrem Containerkosmos – Verkäufern, Händlern und Logistikern, die in ausrangierten Containern ihrem alltäglichen Geschäft nachgingen. Daraus ergaben sich Geschichten, die so bunt und vielfältig wie die Standorte dieses ungewöhnlichen Arbeitsplatzes waren: zwischen Hütten und Verschlägen, inmitten von Baustellen und auf dem Basar, an stark befahrenen Straßen und in Hinterhöfen – hier war nichts standardisiert. Wenn man mich also fragt, warum ich nach Kasachstan gehen wollte, dann ist meine Antwort einfach: Hier  ist es völlig anders – und das ist der Reiz.

Mein zeitweiliger Arbeitsplatz befindet sich am Goethe-Institut in Almaty: mondän, erdbebensicher und grün – damit sind nicht nur die unzähligen belebenden Bäume in Almatys Straßen gemeint, sondern auch die bekannte Goethe-Signalfarbe an Schränken, auf Mousepads und natürlich als Desktophintergrund.

Am Institut goutiere ich es, eine Teilverantwortung für Projekte zu tragen und daher für die Arbeit an der Einrichtung auch wirklich einen kleinen, aber sichtbaren Beitrag leisten zu können, das heißt für mich in erster Linie weg von der Theorie, hinein in die abenteuerliche Welt der Berufe und allem, was dazugehört: Termine, Deadlines und, ein ganz besonderes Stichwort hier, Flexibilität.

Nun steht das Goethe-Institut auch immer für Kulturbegegnung. Nach mittlerweile mehreren Wochen in diesem Land weiß ich auch: Kasachstan ist einfach (zu) groß. Ich habe das Gefühl, viel zu sehen und gleichzeitig viel zu verpassen. Wowa, Anja, deren Tochter Federika und die Kinderfrau Gulnat, bei denen ich wohne und mit denen ich mir eine kleine Wohnung teile, spiegeln das pure Leben wieder. Ob nun Wandern, Bowlen, Fahrradfahren oder während des abendlichen Gesprächs ein paar neue Vokabeln lernen, hier wird Integration intensiv gelebt. Ich fühle mich angekommen in Kasachstan. Mein erstes Fazit lautet daher: Der zweite Blick lohnt sich.

Von Christoph Richter, Praktikant am Goethe-Institut Almaty

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