Eigentlich ist Oleg Friesen ein unpolitischer Mensch. Der 38-Jährige kam Anfang der 1990er aus Nowosibirsk nach Deutschland. Es folgten Abitur, Studium, Arbeit und Familie. Gut integriert und typisch unauffällig wie die große Mehrheit der Russlanddeutschen also. Doch seit ein paar Monaten beunruhigt ihn das Geschehen in der deutschen Politik und den Medien. Über soziale Netzwerke ruft er Russlanddeutsche dazu auf, Gesicht gegen die Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) zu zeigen. Wie das bei seinen Landsleuten ankommt und was er bislang erreicht hat, hat er uns im Interview erzählt.

Warum haben Sie die Facebook-Seite „RDgegenAfD“ erstellt?

Seit einigen Monaten gibt es zunehmend Medienberichte über Russlanddeutsche in Zusammenhang mit der rechtspopulistischen AfD. Da hat man jahrzehntelang nichts über die Russlanddeutschen in den Medien gehört und auf einmal gibt es nur dieses negative Thema. Das Bild von Russlanddeutschen, das auf diese Weise entsteht, entspricht überhaupt nicht mir und anderen Aussiedlern, die liberal freiheitlich und demokratisch denken. Ich möchte nicht, dass eine Partei, mit der ich rein gar nichts teile, für mich und meine Landsleute spricht. Dass hier Russlanddeutsche als Stimmvieh instrumentalisiert werden, ist offensichtlich.

Im Gegensatz zu anderen Parteien hat die AfD in ihrem Wahlprogramm zum Beispiel keinen einzigen konkreten Vorschlag, wie Russlanddeutschen die Integration erleichtert werden könnte. Ich war nie politisch aktiv, wie die meisten Russlanddeutschen übrigens. Unsere Leute lernten unter Stalin und dem späteren Sowjetregime, dass es besser ist, als Deutschstämmiger die Klappe zu halten. Deshalb habe ich lange nachgedacht, ob ich mit meiner Meinung nach außen treten sollte. Schließlich entschied ich: ich muss.

Was möchten Sie mit Ihrem Engagement erreichen?

In erster Linie will ich Russlanddeutsche dazu motivieren, moderne und liberal denkende Europäer zu werden. Die AfD will den Russlanddeutschen schmeicheln und sagt: Ihr seid Deutsche, ihr seid bestens integriert. Das stimmt aus meiner Sicht nicht. Ein Teil fühlt sich eben überhaupt nicht gut integriert und sieht sich von neuen Zuwanderern bedroht. Das spielt in die Hände der AfD, die genau solche Ängste schürt und sehr vereinfachte Lösungen bietet. Um echte Integration und Gleichheit – auch der Russlanddeutschen – geht es dieser Partei leider absolut nicht. Und wir sind auch keine Deutschen.

Unsere deutsche Kultur wurde uns genommen, als Stalin unsere Großeltern aus ihren deutschen Kolonien nach Sibirien und Kasachstan vertrieb. Er verbot ihnen deutsch zu sein, was damals und bis in die Gorbatschow-Zeit hinein mit „Faschist“ gleichgesetzt wurde. Die meisten von uns gaben die Muttersprache auf und passten sich an. Dass wir dann in Deutschland als Russen wahrgenommen wurden, ist kaum verwunderlich. Aber wir sind weder Russen noch Deutsche.

Wir sind Russlanddeutsche und wir sind Europäer. Wir können das Russland beziehungsweise die Sowjetunion in uns nicht einfach so abschütteln. Was wir aber tun können, ist unsere Vergangenheit ohne Groll zu akzeptieren und uns für Demokratie, Freiheit und Gleichheit in Deutschland und Europa einzusetzen. Darin liegt der Schlüssel zu unserer Integration.

Sie haben Russlanddeutsche über Facebook und Youtube dazu aufgerufen, in kurzen Videos sich gegen die AfD auszusprechen. Wie viele haben mitgemacht?

Die Idee war, aus vielen einzelnen Videos einen Spot zu machen, der zum Nachdenken anregen und ein Zeichen setzen sollte. Den Spot wird es leider nicht geben, weil nur wenige Videos zusammenkamen. Trotzdem habe ich Einiges bewirkt: Ich habe online viele Menschen erreicht und eine Diskussion angestoßen.

Einige Russlanddeutsche fühlten sich in ihrem liberalen Denken bestärkt. Andere wiederum waren schockiert zu erfahren, dass bei weitem nicht alle Russlanddeutschen pro AfD sind. Denn auch wenn das medial gerade anders wahrgenommen wird, sprechen die Statistiken eine eindeutige Sprache: Unter Russlanddeutschen ist der Anteil der AfD-Wähler genauso niedrig wie der Anteil der AfD-Wähler unter Deutschen.

Wie ist bislang die Resonanz auf Ihr Engagement?

Die ersten Reaktionen auf Facebook von Russlanddeutschen waren positiv und viele schienen verwundert. Sie hatten überhaupt nicht mitbekommen, dass aktuell oft von Russlanddeutschen in Zusammenhang mit der AfD berichtet wird. Bald aber wurden schon Kritiker laut, die wissen wollten, wer mich für mein Engagement bezahlt. Sie glaubten mir nicht, dass ich das alles alleine, mit einfachsten Mitteln und ohne irgendein Sponsoring von einer Partei mache.

Interessant fand ich, wie schnell ich aus AfD-Gruppen auf Odnoklassniki ausgeschlossen wurde, in denen ich einen Dialog führen wollte. Zum Teil wurde ich sogar von Odnoklassniki selbst gesperrt. Mittlerweile geht die Resonanz über die sozialen Medien hinaus. Kürzlich haben sich ein paar Lokalpolitiker bei mir bedankt und ich erhielt eine persönliche Einladung zum Tag der Aussiedler und Vertriebenen.

Eine besonders schöne Reaktion war die eines jungen Mannes aus der vermeintlichen AfD-Hochburg Pforzheim, der sich über meine Aktivität auf Facebook freute und mich ermutigte weiter zu machen.

Werden Sie sich auch nach der Bundestagswahl gegen die AfD engagieren?

Das kommt ganz auf den Wahlausgang an. An ein paar Themen möchte ich aber in jedem Fall dranbleiben. Dazu gehört die Manipulation von Menschen durch Falschmeldungen. Ich möchte künftig dazu beitragen, dass Fake News und die wahren Motive hinter solchen aufgedeckt werden.

Eine Sache ist mir noch wichtig: Ich will nicht als jemand verstanden werden, der alle Russlanddeutschen, die sich am 24. September für die AfD entscheiden möchten, verurteilt. Denn ihnen und den Nicht-AfD-Wählern ist eines gemeinsam: Sie möchten sich in die deutsche Gesellschaft integrieren, sich willkommen und akzeptiert fühlen.

Und sie möchten, dass die leidvolle Geschichte der Russlanddeutschen in der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Dieser Wunsch ist absolut nachvollziehbar. Das Fatale ist nur, dass die AfD diese Sehnsucht ausnutzt, um nur eines zu erreichen: ihre eigene Macht zu stärken.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Irina Peter.

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