“Schweinezyklus” – das ist ein mehr oder weniger offizieller Begriff der Wirtschaftswissenschaften, der vor knapp 100 Jahren geprägt worden ist. Er stammt aus den Agrarwissenschaften und beschreibt ein typisches Verhalten auf dem Schweinefleischmarkt. Bei hohen Preisen für Schweinefleisch investieren Landwirte vermehrt in die Schweinezucht. Aus natürlichen Gründen dauert es jedoch eine Weile, bis aus Ferkeln verkaufbares Fleisch wird. In der Zwischenzeit hat sich jedoch das Schweinefleischangebot schon so weit erhöht, dass die Preise wieder gefallen sind, weil nun ein Überangebot gegeben ist. Daraufhin verringern die Bauern wieder ihre Produktion, was nach einiger Zeit die Preise wieder steigen lässt. Der Schweinezyklus beschreibt also letztlich nichts anderes als das natürliche Auf und Ab von Angebot und Nachfrage auf den Märkten, sprich die gegebene Wirtschaftsdynamik.

Im Moment sehen wir einen solchen Schweinezyklus auf den Rohstoffmärkten dieser Welt. Nach einem mehr als zehnjährigen Anstieg der Rohstoffpreise, bedingt vor allem durch die hohe Nachfrage aus China und Indien – beides Länder, deren BIP mit bis zu 10 % jährlich wuchsen und die Welt mit preiswerten Waren (China) und Dienstleistungen (Indien) versorgten – befinden sich seither eine Menge Länder in einer Phase verhaltenen Wachstums oder gar der Rezession. Das senkt die Nachfrage nach einer ganzen Reihe von Gütern, darunter auch von Rohstoffen. Der Trend einer rationelleren Nutzung von Naturressourcen und der schrittweise Übergang zu erneuerbaren Energien, drosselt die Nachfrage weiterhin.
Der aktuelle Preisverfall auf den Rohstoffmärkten macht den großen Bergbauunternehmen zunehmend zu schaffen. Sowohl der Branchenführer BHP Billiton als auch die Schweizer Glencore-Xstrata mussten in den letzten Quartalen sinkende operative Gewinne verbuchen. Weltweit sind insgesamt große Überkapazitäten entstanden. Eine geringere Auslastung der früheren Investitionen hat dann mindestens zwei Folgen: Erstens, die Fixkosten der Produktion mit den vorhandenen Anlagen steigen, da sich erstere auf weniger Produktionsvolumen umlegen müssen. In der Folge sinken die Gewinne auch bei eventuell gleichbleibenden Verkaufspreisen. Zweitens, vorhandene Überkapazitäten und sinkende Gewinne führen zwangsweise zu einer Reduzierung der Investitionen in die Erweiterung der Förderkapazitäten. So hat BHP im vergangenen Jahr bereits weltweit Großprojekte für nicht weniger als 40 Milliarden Dollar auf Eis gelegt, was jedoch noch nicht das Ende sein wird. Der Rohstoff-Riese Glencore-Xstarta musste fast 8 Milliarden Dollar auf kürzlich erst zugekaufte Minen vermelden. Insgesamt wies dieser Gigant im ersten Halbjahr 2013 einen Verlust von neun Milliarden Dollar aus, nach einem Gewinn von etwas über 2 Milliarden Dollar im Vorjahr. Auch die Bergbau-Konzerne Vale, Rio Tinto und Anglo American mussten heftige Ertragseinbußen hinnehmen, nachdem sie in den vergangenen Jahren ihre Investitionen (von 15 Milliarden Dollar 2005 auf 70 Milliarden Dollar 2012) massiv ausgeweitet hatten.
Eine nachhaltige Erholung der Nachfrage und damit der Preise ist nicht in Sicht, letztere dümpeln nach ihrem Absturz 2011-2012 auf wenig attraktivem Niveau vor sich hin. Keine gute Zeiten also für Investments in den Rohstoffsektor, zumindest nicht aus kurz- bis mittelfristiger Sicht.

Die beschriebene Lage hat für Kasachstan unmittelbare praktische Bedeutung. Zur Erschließung der zweifelsohne gewaltigen Rohstoffvorkommen braucht das Land ebenso gewaltige Investitionen, die es keinesfalls alleine aufbringen kann. Internationale Zusammenarbeit ist also unumgänglich und wird ja auch praktiziert. Dabei muss man jedoch Realist bleiben: kein marktorientiertes Unternehmen wird in das Blaue hinein und mit Hast investieren. Im Moment hat man durch die geringere Nachfrage nach Rohstoffen und die gegebenen Überkapazitäten einerseits nur geringes Interesse an größeren Investitionen, andererseits auch jede Menge Zeit für gründliches Prüfen und Vorbereiten von Investments. Das ist auch ein wesentlicher Grund dafür, dass das vor etwa 18 Monaten zwischen Kasachstan und Deutschland abgeschlossene Rohstoff- und Technologieabkommen noch nicht funktioniert. Nach nur 18 Monaten kann es auch kaum funktionieren, auch, weil der Schweinezyklus im Rohstoffsektor wesentlich länger dauert als auf dem echten Schweinefleischmarkt.

Bodo Lochmann

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