Russland steht im Konflikt mit Kiew und Brüssel. Längst ist es Zeit, sich vom Westen ab– und dem Osten zuzuwenden. Die Zauberformel: Eurasische Wirtschaftsunion. Kasachstan sieht sich in dem neuen Bündnis von fünf Staaten als Brücke zwischen Europa und Zentralasien. Kritiker befürchten jedoch eine volkswirtschaftliche Krise, doch die Bevölkerung hofft auf den Aufschwung.

Sajat Bekmuratov arbeitet als Taxifahrer in Almaty, die Millionenstadt im Süden Kasachstans. Auf seinen Fahrten zeigt sich ihm eine kaputte Kulisse, die geprägt ist vom Sozialismus. Doch der 46-Jährige sieht großes Potenzial in der neuen Wirtschaftspolitik des Landes. „Hier wurde früher alles zerstört, aber nun soll es endlich wieder aufwärts gehen. Unsere Landwirtschaft kann sich nun entwickeln. Und wir haben ein großes Territorium. Es ist richtig, dass es die neue Wirtschaftsunion gibt.“

Das Bündnis, das Sajat Bekmuratov meint, ist Anfang des Jahres in Kraft getreten: Die Eurasische Wirtschaftsunion. Kasachstan hat sich mit vier weiteren Staaten einen neuen Binnenmarkt erschaffen, darunter Russland. Moskau ist der Hauptsitz der neuen Union.

Vorteil: Arbeitnehmerfreizügigkeit

Für den Oppositionellen Andrey Grishin aus Almaty ist vor allem das eine Gefahr. „Es ist vor allem unklar, was Russland will. Niemand kennt die genauen Ziele der Eurasischen Wirtschaftsunion und vielleicht ist das das Hauptproblem. Die kasachische Bevölkerung hat Angst vor einer Annexion durch Russland. Die Menschen denken, der Beitritt in die Union wäre der erste Schritt dahin.“

Allerdings spricht auch Andrey Grishin von Vorteilen für die Kasachen: Arbeitnehmer können ohne Auflagen auch in Belarus, Russland, Kirgistan und Armenien arbeiten.

Auch Taxifahrer Sajat Bekmuratov sieht in der Eurasischen Wirtschaftsunion einen großen Gewinn. Der vergrößerte Binnenmarkt öffnet die Handelsgrenzen. „Die Bürokratie wird abgebaut und die Zölle fallen weg. Die Produktionskosten werden dadurch gesenkt. Lass doch mal was aus Deutschland kommen: Vor der Union waren Importe wertvoll wie Gold. Der Transport über die vielen Grenzen war teuer. Das hat sich jetzt geändert.“

Risiko: Preisverfall

Doch der Preisverfall birgt auch ein Risiko für Unternehmer: Zum Beispiel für Mittelständler wie Kanat Akishev. Er betreibt ein Autohaus mit Werkstatt am Rande von Almaty. „Das ist unsere Audi-Werkstatt. Eigentlich so wie in Deutschland.“

Seit der Ukraine-Krise fällt der Rubel. Schon im Januar, als der Bündnisvertrag in Kraft getreten ist, hat Kanat Akishev den Kostendruck zu spüren bekommen: „Ein Produkt von Volkswagen kostete 40 Prozent billiger in Russland als in Kasachstan. Wir möchten natürlich, dass sich der Markt stabilisiert. Weil wir können nicht jede Woche die Preise ändern und wir können nicht jede Woche unsere Bilanz ändern. Das macht uns natürlich Schwierigkeiten.“

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Am Ende könnte nur Russland profitieren, sagen Kritiker. Vor allem weil es mächtiger ist, sagt Bürgerrechtler Andrey Grishin. Russlands Wirtschaftsleistung ist mehr als zehnmal so groß wie die von Kasachstan. „Für Russland ist die Eurasische Wirtschaftsunion sehr lohnend, denn russische Unternehmen spielen gern mit den Schwankungen des Rubels. Die Menschen in den Grenzgebieten nutzen diese Situation aus, andere Menschen warten auf die Abwertung vom Tenge. Unsere Währung kann nicht so lang stabil sein, wenn der Rubel weiter an Wert verliert.“

Abhängigkeit von Russland?

Kasachstans Regierung nimmt eine Inflation in Kauf, zumindest zeitweilig. Für die Staatsführung gibt es ein höheres Ziel: Kasachstan als Brücke zwischen Ost und West. „Gucken Sie bitte hier. Ich arbeite immer mit den Karten.“

Bulat Sultanov, Leiter des Instituts für internationale Zusammenarbeit, zeigt auf Moskau.

Bulat Sultanov, Leiter des Instituts für internationale Zusammenarbeit. Er hat lange im Institut für strategische Forschung des Präsidenten gearbeitet und sieht die Eurasische Wirtschaftsunion nur als einen Etappensieg. Er will die Nähe zum Westen und den Zugang zum High-Techmarkt. „Für uns ist wichtig: Unsere Zukunft mit Deutschland zu bauen. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne Westeuropa zu leben. Denn die hochentwickelten Technologien befinden sich dort. Für Russland ist das eine ähnliche Situation. Wir möchten wie Russland unsere Wirtschaft diversifizieren. Wir sitzen mit Russland in einem Boot.“ Genau diese Verbindlichkeit gegenüber Russland sieht Bürgerrechtler Andrey Grishin kritisch. Für den politischen Berater Bulat Sultanov ist das weniger schlimm. Er warnt nicht vor Bündnissen mit stärkeren Ländern sondern mit unsicheren Kandidaten. So wie Kirgistan. Das Land, das südlich an Kasachstan grenzt, ist seit Mail Teil der Eurasischen Wirtschaftsunion. „Wir wiederholen die Fehler der Europäischen Union. Denn Kirgisien ist wirtschaftlich ruiniert. Ihre Probleme würden wir auf unsere Schultern und unseren Rücken legen. Wie jetzt die Geschichte mit Griechenland in Europa.“

Taxifahrer Sajat Bekmuratov träumt eben gerade davon: Er hat eine Zukunftsvision, die mehr verspricht als eine Wirtschaftsunion: „Jetzt wo auch Armenien und Kirgistan Mitglieder der Union sind, wäre es leichter, auch eine gemeinsame Währung einzuführen. So könnten wir Waren einfacher tauschen. Außerdem gibt es dann freien Geldverkehr.“

Mit der Eurasischen Wirtschaftsunion sind finanzielle Erwartungen verbunden. Die Tür ist geöffnet, der erste Schritt gemacht. Nun muss sich zeigen, ob die Menschen von den Visionen der Politik profitieren.

Dieser Beitrag ist während der IX. Zentralasiatischen Medienwerkstatt (ZAM) entstanden. Die ZAM ist ein gemeinsames Projekt der Deutschen Allgemeinen Zeitung, des Instituts für Auslandsbeziehungen (ifa), des Goethe-Instituts Kasachstan und der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Autoren: Maria Manowski, Diana Odinzova und Holger Lühmann 

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