Nachdem ich mich anfangs nur allzu schüchtern und voller Ehrfurcht der englischen Sprache genähert habe, aus Angst, in große Wortschatzlöcher und tiefe Grammatikgruben zu stürzen, sause ich jetzt lockerleicht und mit großer Freude durch den englischsprachigen Kosmos.

Den eigentlichen Kick hat mir Dan, ein „Native Speaker“ aus Kanada, gegeben. Zunächst war ich höchst verwirrt, da wir in unserer Einschätzung meiner Sprachkompetenz weit auseinander lagen. Während ich mich auf wochenlanges, Pauken von Vokabeln, Regeln und Redewendungen in der Badewanne, im Bus und beim Haushalt eingestellt hatte, meinte Dan, meine Kenntnisse wären prima, eigentlich brauche ich gar keinen Unterricht. Nanu? Ich überlege nun, anstatt in Englischunterricht in eine Therapie zu investieren, um mein Selbstbewusstsein auf- und meinen Perfektionismus abzubauen. Für Dan war besonders erstaunlich, dass ich auf Deutsch unsicherer gesprochen hätte als auf Englisch. In unserem telefonischen Erstkontakt hatte er mich aufgefordert, schon mal ein bisschen auf Englisch zu reden, damit er einen Eindruck bekäme. Ab dem Moment hätte ich flüssig und selbstbewusst dahergeredet, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Ergo: Wenn ich von nun ab ausschließlich auf Englisch denke und rede, habe ich das Selbstbewusstsein im Schlepptau, und ich brauche keine Therapie.

Trotzdem, ich traute dem Braten nicht, da Dan ein leicht zu begeisternder Kanadier, Motivations- und Kommunikationstrainer ist und die richtige Anwendung der Grammatik für ihn womöglich weniger spannend ist als die Fähigkeit, kreativ mit geringem Wissen umzugehen. So zog ich ergänzend Stephen hinzu, ein richtiger britischer und sachlicher Sprachlehrer, der die Wörter in der richtigen Form am richtigen Platz im Satz sehen möchte. Aber auch er befand, meine Kenntnisse könne ich durchaus vorzeigen und sei schon jetzt in der Lage, meine Jobs gut zu erledigen. Und sogar hätte ich einige Sprachwendungen, die die meisten Menschen falsch anwenden, richtig angewandt.

Ich frage mich, woher meine Englischkenntnisse kommen sollen, da ich den Schulunterricht und ganz besonders den Englischunterricht nach allen Regeln der Kunst geschwänzt habe. Ich war nie länger im englischsprachigen Ausland, und auch im Studium und Job kam ich ohne aus. Wenn ich Filme im Original sehe, klammere ich mich an den Untertiteln fest, und für den Wortschatz aus den „Harry-Potter“- Büchern habe ich in Beruf und Alltag noch keine Verwendung gefunden.

Seit ich von Experten gute Englischkenntnisse attestiert bekommen habe, bin ich kaum mehr zu bremsen. Als frisch entdecktes Sprachgenie höre ich ständig BBC, klicke bei den Filmen die Untertitel weg und lese einen englischsprachigen Roman nach dem anderen. Doch Genies müssen sich stets in acht nehmen, nicht in die Manie und aus der Manie in den Wahnsinn zu geraten, die Grenzen sind hier ungenau. Ich habe mich zuletzt dabei ertappt, wie ich meine Selbstgespräche auf Englisch geführt und mich den ganzen Tag englisch ernährt habe: Walkers Kekse zum Frühstück, englisches Frühstück zum Mittagessen und englisches Weingummi zum Abendbrot. Nicht nahrhaft, aber very british. Wohin das noch führen mag? Oh boy!

Julia Siebert

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