Kulturaustausch über eine Distanz von mehreren Tausend Kilometer hinweg: Im Rahmen einer Video-Konferenzschaltung zwischen der Waseda-Universität von Tokio und der Berliner Humboldt Universität basteln Sprachlehrer und -lernende an einem neuen Konzept zur effizienteren Vermittlung von Fremdsprachen

Vier japanische Studenten sitzen um einen Tisch und bearbeiten eine Aufgabe im Deutsch-Kurs. Es ist ein Konversations- und Landeskundekurs der Mittelstufe und es gilt, ein Foto aus einer Berliner Studenten-WG zu beschreiben. Ihre Lehrerin, Marina Filenberg, animiert mit wohl überlegten Fragen die Lerner zum Sprechen und nennt unbekannte Begriffe. Das ist zunächst alles nichts Ungewöhnliches. Doch bei diesem Kurs liegen zwischen Lehrenden und Lernenden ca. 9.000 Kilometer und acht Stunden Zeitverschiebung. Der Unterricht findet per Video-Konferenzschaltung statt, mit den Lernern in Tokio und den Lehrenden in Berlin.

Das Projekt ist aus dem Wunsch der japanischen Studierenden heraus entstanden, ihre Fremdsprachenkenntnisse durch Gespräche mit deutschen Muttersprachlern zu verbessern und etwas über das Alltagsleben in Deutschland zu erfahren. Zu Hause gibt es für sie kaum Gelegenheit dazu, und auch auf Sprachreisen entsteht nicht automatisch ein intensiver Sprachkontakt mit der Bevölkerung. Also wandte sich Dr. Makiko Hoshii, Deutschdozentin an der Waseda-Universität Tokio, mit dieser Projekt-Idee an Dr. Antje Mewes, Dozentin für Didaktik des Deutschen als Fremdsprache (DaF) an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Heute, zwei Semester später, gesteht Mewes, dass sie sich eventuell gegen das Projekt entschieden hätte, wenn ihr das Ausmaß an Hindernissen und Problemen, die es hierbei zu überwinden galt, bewusst gewesen wäre. Vor einem Jahr sagte sie jedenfalls zu. Um den motivierten Lernern altersgemäße Gesprächspartner zu bieten, wurde die Idee im vergangenen Wintersemester Berliner Studierenden als Alternative zum obligatorischen Unterrichtspraktikum im Rahmen des DaF-Studiengangs angeboten. Marina Filenberg, Henriette Heß, Karin Eschrich und Katrin Rebitzki wollten neue Wege im DaF-Unterricht erproben.

Die technischen Voraussetzungen waren weniger das Problem, denn Video-konferenzen sind keine neue Erfindung mehr und die Ausstattung war an beiden Universitäten bereits vorhanden. Komplizierter waren jedoch die besonderen Bedingungen, die sich für den Unterricht ergaben. Denn ein Vorbild für ihr Projekt hatten sie nicht. Die Lehrenden können nicht einfach ein Aufgaben- oder Textblatt austeilen, man kann nicht mal eben auf ein Bild zeigen und jeder muss auf seinem Platz sitzen bleiben, um nicht aus dem Kamerabild zu laufen. Somit waren dem Bewegungs- und Variationsfreiraum strenge Grenzen gesetzt. Auch auf die sonst obligatorische Tafel musste verzichtet werden. Erschwerend kamen Verzögerungen, manchmal sogar Störungen, in der Bild- und Tonübertragung hinzu, die ein spontanes Korrigieren von Sprachfehlern nahezu unmöglich machten. Hier war viel Geduld auf beiden Seiten gefordert, um sich nicht permanent gegenseitig ins Wort zu fallen.

Aus all dem ergaben sich sehr hohe Anforderungen an die Unterrichtsplanung und -durchführung. Nachdem ein interessantes und motivierendes Thema ausgewählt war, musste das notwendige Material erstellt und digitalisiert werden: Fotos, Bilder und Grafiken sowie kleinere Texte und Lieder. Für alles wurde eine minutiöse Vorgehensweise ausgearbeitet und das fertige Material noch Tage vor der nächsten „Stunde“ auf einer eigens eingerichteten Homepage zum Download für die Lerner bereitgestellt. Ab diesem Zeitpunkt war eine Änderung des geplanten Ablaufs so gut wie unmöglich. Wegen dieser aufwändigen Vorbereitung, die die Studierenden neben dem regulären Unibetrieb zu meistern hatten, konnte schließlich nur alle zwei Wochen eine Unterrichtsstunde stattfinden.

Der Unterricht selbst wurde jeweils von zwei der deutschen Studierenden moderiert. Beim Sprechen war wegen Qualitätseinbußen bei der Übertragung auf eine besonders deutliche Aussprache und einfachere, klarere Sätze als im gewöhnlichen Unterricht zu achten. Als Tafelersatz konnte gelegentlich von der Kamera auf ein Notebook umgeschaltet und so für die Lerner ein Word-Dokument eingeblendet werden, wobei die Lehrer für die andere Seite dann jedoch nicht zu sehen waren.

Aber auch mit Hilfe der modernen Technik ließ sich die räumliche Distanz nicht völlig ignorieren. Gestik und Mimik sind auf einem Bildschirm nur schwer erkennbar, und auch ein direkter Augenkontakt ist kaum möglich. Zusätzlich ließen die zeitlich versetzt übertragenen Reaktionen nur wenig von einem authentischen, lebendigen Gespräch aufkommen.

Trotz all dieser Hürden und Unwägbarkeiten, die die Gruppe um Mewes zu bewältigen hatte, scheinen alle letztendlich froh, diese Erfahrungen gemacht zu haben. Die deutschen Lehrenden konnten durch die ungewöhnliche Unterrichtsart Erfahrungen besonders in der individuellen Lehrmittelerstellung und bei der Arbeit unter spezifischen interkulturellen Aspekten sammeln, während die japanischen Lerner ihre Sprech- und Hörfertigkeiten anhand von authentischen und aktuellen Materialien in kleinen Lerngruppen mit Muttersprachlern trainieren konnten.

Weder Mewes noch eine neue Gruppe mutiger DaF-Studierender ließ sich davon abschrecken, dieses Projekt im jetzigen Sommersemester fortzuführen. Inzwischen konnte die Übertragungstechnik erheblich verbessert werden. Schließlich können die Studierenden bereits auf den Erfahrungen ihrer Vorgänger aufbauen.

Was zunächst ein bisschen wie technische Spielerei anmutet – besonders vor dem Hintergrund, dass Aufwand und Nutzen bislang noch in keinem gesunden Verhältnis zueinander stehen- könnte dieses Projekt vielleicht ein weiterer Schritt in Richtung „Fremdsprachenlernen ohne Grenzen“ sein. Wenn sich Wege finden lassen, die Technik diesen besonderen Aufgaben spezieller anzupassen und mediengerechtes Unterrichtsmaterial entwickelt wird, könnten sich hier effektive Methoden im interkulturellen Fremdsprachenunterricht auftun. Die technischen Möglichkeiten sind heutzutage theoretisch beinahe unbegrenzt, die finanziellen setzen der Praxis jedoch harte Schranken. Die Beteiligten der Humboldt Universität zu Berlin und der Waseda-Universität Tokio haben hierbei schon mal Pionierarbeit geleistet.

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