Eine Rezension von Max Schatz

Die Autorin wurde 1986 in Karelien (Russland) geboren, kam 1997 als Russlanddeutsche nach Deutschland, wo sie in Eppingen lebt und als Journalistin, freie Autorin und Initiatorin vielzähliger kultureller Projekte tätig ist. „Im letzten Atemzug“ ist ihr erstes Buch, ein Sammelband mit 19 Erzählungen, den der ostbooks Verlag in Herford in diesem Jahr herausbrachte. Eine Dokumentation denkwürdiger persönlicher Erlebnisse sowie der Suche nach Identität und Zugehörigkeit.

Es ist ein Buch, auf das man lange gewartet hat. Denn endlich hört man hier eine Stimme aus der jungen Generation russlanddeutscher Autoren (der unter 35-jährigen), die auch etwas zu sagen hat. Etwa 2,5 Millionen Deutsche aus Russland leben in Deutschland. Angesichts der Menge literarischer und sonstiger medialer Erlebnisberichte und Milieustudien von Autoren mit Migrationshintergrund ist es unverständlich, dass aus dieser Gruppe immer noch so wenige Beiträge kommen.

„Im letzten Atemzug“ ist ein solcher Beitrag, der in diese Lücke stößt. Lebendig, empathisch und weltgewandt beschreibt die Autorin darin ihre Gefühle zu verschiedenen Heimaten – den Stationen ihres Lebens. Schon als reine Autobiographie wäre es aufgrund des Seltenheitswerts interessant genug. Doch Martin-Virolainen geht darüber hinaus, indem sie immer wieder in fremde, teilweise unerwartete und fein nachempfundene Rollen schlüpft. Etwa in die Rolle von Liesel, der Heldin eines Romans von Charlotte Hofmann-Hege. Sie taucht in der Erzählung „Im letzten Atemzug“ auf, die den Kern des Sammelbandes ausmacht.

Menschliches Drama, aber auch leichtere Geschichten

Einer der Höhepunkte ist „Warlams Geliebte“, eine sprachlich hervorragende Erzählung, die von einem Künstler und Gefangenen in einem sibirischen Arbeitslager handelt. Allein der Titel in Kombination mit dem Thema ist originell. Ebenso „Die Unnützen“ über einen gebrochenen Mann, der von allen abgeschrieben wurde, doch in seinen Katzen Trost findet. Ein weiterer Favorit, sehr anrührend: „Unter dem Schal“.

Menschliches Drama – wie in allen diesen Erzählungen – wechselt sich in einer ausgewogenen Gesamtkomposition ab mit „leichteren“ Geschichten aus dem Leben der Autorin sowie kürzeren Werken, die nach den Regeln einer Kurzgeschichte verfasst sind und durch Pointen bestechen.

Ein Punkt in der russlanddeutschen Diskussion ist die Frage, ob es nicht besser sei, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Man könnte sich auch einfach über die im Großen und Ganzen gelungene Integration der Spätaussiedler in Deutschland freuen. Das Buch von Katharina Martin-Virolainen gibt auf diese schwierige Frage ein gefühlt richtiges, unkategorisches Jein als Antwort: Einerseits wäre eine Akzentuierung des Russlanddeutschen ja weniger assimilationsfördernd. Andererseits sollte man doch seine Wurzeln nie vergessen.

Und es ist des Weiteren natürlich so, dass „russlanddeutsche Biographien keineswegs alle gleich sein müssen, als ob Gott nur ein einziges Lebensdrehbuch für ein ganzes Volk geschrieben hätte“, wie es in einer der Erzählungen heißt. Dass hinter dem, was man als die Geschichte eines Volkes sieht, Millionen individueller, einzigartiger Schicksale sich verbergen, will uns das Buch nahebringen. Gibt es ein schöneres Plädoyer für die Vielfalt? Und trotz sprachlicher Schranken oder kultureller Unterschiede ist es immer möglich, einen Weg des gegenseitigen Verständnisses und der Toleranz zu gehen.

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