Nach dem Rücktritt des bisherigen Ministerpräsidenten Marcinkiewicz hat Polens Präsident Lech Kaczynski seinen Zwillingsbruder Jaroslaw mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt. Der Wechsel an der polnischen Regierungsspitze und die Macht der Kaczynski-Brüder sind ein zentrales Kommentarthema in der deutschen Tagespresse.

FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND (Hamburg)

„Dem Wechsel (…) lässt sich allenfalls ein Gutes abgewinnen: Die Polen und die Welt wissen nun eindeutig, woran sie sind. Die Politik machen künftig die rechtskonservativen Kaczynski-Brüder unter sich aus, die für eine streng konservative nationale Weltanschauung, Ressentiments gegen Deutschland und eine utilitaristische Haltung zu Europa stehen. Beunruhigte polnische Beobachter sprechen schon vom Kaczismus. Vor allem Deutschland muss die Entwicklung nervös machen. Es wäre ein Jammer, wenn es den Zwillingsbrüdern gelingt, die Zeit zurückzudrehen.“

TAGESSPIEGEL (Berlin)

„Was man sieht, ist der Machtanspruch eines unverblümt vorgetragenen Patriotismus, in dem sich moralischer Rigorismus, nationale Sentiments, die ins Ressentiment hineinwechseln, und ein europaskeptischer Populismus aggressiv mischen. Dazu gesellt sich eine merkwürdige Entschlossenheit, in die Fettnäpfe der laufenden binationalen und europäischen Geschäfte zu treten.“

WELT (Berlin)

„Rütteln ausgerechnet die Kaczynski-Brüder, die sich mit einem Anflug von Arroganz als die einzigen legitimen Erben der historischen Solidarnosc-Bewegung verstehen, an europäischen Grundwerten? Erst an ihren Taten wird man sie beurteilen können. (…) Die Demokratie ist nicht in Gefahr; doch mit ihrer erratischen Wagenburgmentalität (…) machen es die Kaczynskis dem In- und Ausland schwer, ihre Ziele angemessen zu beurteilen. Mit einer Haltung des ewig Beleidigten in der EU würden sie niemandem einen Gefallen tun, am wenigsten sich selbst.“

STUTTGARTER ZEITUNG

„Die Regierung in Warschau hat seit ihrem Amtsantritt im Herbst schon jede Menge Streit mit der EU entfacht: bei der Mehrwertsteuer, der Privatisierung der Banken, der deutsch-russischen Gaspipeline, der europäischen Verfassung, dem Euro und bei der Rolle der Homosexuellen in der Gesellschaft. Polens Politiker müssten eigentlich wissen, dass sie an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Das Land ist in hohem Maße auf EU-Mittel angewiesen. Und in Brüssel werden sich die Hüter der Geldtöpfe ihre eigenen Gedanken machen, wenn Jaroslaw Kaczynski lautstark tönt, dass der Schmusekurs mit der EU nun endgültig der Vergangenheit angehöre. (…) Lernen die Kaczynski-Zwillinge ihre Lektion nicht, werden sie vom Volk den Denkzettel bekommen.“

HANDELSBLATT (Düsseldorf)

„Dabei ist Polen als Land viel moderner, vielfältiger, weltoffener und produktiver, als sich seine offizielle Politik gegenwärtig darstellt. Die Wirtschaft wächst enorm, polnische Unternehmen mischen auf westlichen Märkten mit. Polnische Experten sind willkommene Mitarbeiter in internationalen Organisationen. Nun haben die Brüder Kaczynski erst einmal den antimodernen Rückwärtsgang eingelegt. Polen hat diese Regierung nicht verdient.“

SÜDDEUTSCHE ZEITUNG

„Es ist keineswegs auszuschließen, dass Kaczynski mit seinem Rollenwechsel vom polarisierenden Parteipolitiker zum verantwortungsvollen Regierungspolitiker wird. Beide Brüder haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie pragmatisch Politik betreiben können. Doch erst einmal ist die Skepsis groß, nicht nur bei den Polen, die die Zwillinge im unteren Drittel der Popularitätsskala sehen, sondern auch bei den Nachbarn.“

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