Die aktuelle Wirtschaftskrise hat die Staaten in unterschiedlicher Weise getroffen. Schaut man nur auf die makroökonomischen Kennziffern, sieht man, dass die klassischen westlichen Industriestaaten einen deutlichen Rückgang von zu bis sechs Prozent ihrer Wirtschaftsleistung hinnehmen mussten. Das Bruttoinlandsprodukt großer Schwellenländer hingegen wächst weiter, wenn auch mit vermindertem Tempo.

Deshalb wird mit viel Hoffnung auf diese Länder geschaut, in der Erwartung, dass sie durch ihre Nachfrage auch die Produktion der Exportnationen ankurbeln. Eine spezielle Gruppe stellen die so genannten BRIC-Staaten dar. Hierzu zählen Brasilien, Russland, Indien und China. Die Bevölkerungszahlen und ihr gegenwärtig noch ziemlich niedriges Konsumniveau machen diese Länder automatisch zu Zukunftsmärkten.

Diese vier Länder haben sich im Juni erstmals getroffen, um gemeinsame Positionen abzustecken. Alle vier BRIC-Staaten möchten in den internationalen Weltwirtschaftsorganisationen, wie WTO oder IWF, eine größere Rolle spielen. Ein solcher Anspruch ist berechtigt, schließlich verschiebt sich langfristig die Gewichtung in der Weltwirtschaft zu Gunsten dieser Staaten.

Doch kaum sind diese großen Wirtschaftstreffen vorbei, sendet insbesondere Russland ganz andere Signale. Diese sind nicht ermutigend und betreffen auch Kasachstan direkt, welches wirtschaftlich eng mit Russland verbunden ist. Russland hat nun nach etwa 16-jährigen Verhandlungen seine Bewerbung um die Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO) zurückgezogen. Es will der WTO nur noch in einer Zollunion, gemeinsam mit Kasachstan und Weißrussland, beitreten. Damit hat sich Russland – zumindest im Moment – von der Idee des Freihandels losgesagt. Zwar entspricht eine kritische Haltung zur WTO dem Gefühl vieler Russen und Kasachen, doch mit der Konservierung ihres Isolationismus schadet sich Russland selbst am meisten.

Die Praxis hat längst gezeigt, dass die Abkopplung eines Landes von den Prozessen der internationalen Arbeitsteilung die Modernisierung der Wirtschaft gefährdet. Die Konsumenten zahlen dann für schlechtere heimische Produkte höhere Preise als bei intensiver Nutzung von Import-Export-Beziehungen.

Über die Hintergründe der russischen Entscheidung kann nur spekuliert werden. Vielleicht ist es die Furcht vor einem gemeinsamen Regelwerk, welches keine Privilegien für ein einzelnes Land zulässt. Vielleicht ist es auch die Furcht vor Strafen bei Verstößen gegen das WTO-Regelwerk, etwa beim Verkauf von Waren zu Dumpingpreisen. Wahrscheinlich glaubt man, die Wirtschaftskrise durch Abschottung schneller und besser bewältigen zu können. Das funktioniert über strengere Importregelungen. So sind die Verbraucher gezwungen, heimische Waren zu kaufen. Dadurch bedienen die nationalen Produzenten, zumindest zeitweilig, eine bestimmte Grundnachfrage. Die Erfahrung aus früheren Krisen zeigt jedoch, dass es ein Trugschluss ist, sich im Alleingang aus der Krise ziehen zu wollen.

Noch bedeutender sind die langfristigen Nachteile bei Nichtmitgliedschaft in der WTO. Wenn Russland der WTO fernbleibt, läuft das Land, ebenso wie seine engsten Partner, Gefahr, das internationale Vertrauen in seine Ökonomie zu riskieren. Wirtschaft aber ist ohne den psychologischen Faktor des Vertrauens nicht funktionsfähig. Jede Direktinvestition und jeder Handel ist in der Selbstisolation mit einem höheren Risiko behaftet. Denn der zentrale Vorteil der WTO ist, dass sie mit ihren gemeinsamen Regeln für alle Mitglieder den Austausch von Waren und Dienstleistungen erleichtert. Davon haben alle einen Nutzen.

Schätzungen besagen, dass Russland durch einen WTO-Betritt wirtschaftliche Vorteile von 19 Milliarden Dollar jährlich entstehen würden. Es ist fraglich, ob Russland auf diese Summe so einfach verzichten kann. Doch nicht nur Russland, auch der gesamte Welthandel nimmt Schaden, bleibt das Land bei seinem „Njet“. Russland ist das größte Land außerhalb der WTO. Hier gelten bisher eigene, sehr oft auch sehr eigenwillige Spielregeln, die stark von den internationalen Gepflogenheiten abweichen.

Für seine ehrgeizigen Entwicklungspläne braucht Russland Investitionen aus dem Ausland. Für Unternehmen, die sich in Russland engagieren wollen, bedeutet Russlands WTO-Ablehnung jedoch ein erhöhtes, oft unkalkulierbares Risiko, welches ihr Russlandengagement durchaus verhindern kann. Dass die vielfältigen Probleme Russlands aber im Alleingang lösbar sind, ist wohl ein Märchen aus der Mottenkiste. Das hat die Sowjetunion nicht geschafft, und auch wirtschaftlich leistungsfähigere Staaten, wie die USA oder Deutschland, trauen sich keinesfalls zu, ihre Probleme im Alleingang zu lösen.

Bodo Lochmann

21/08/09

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