Im bayrischen Augsburg leben nach Schätzungen über 30.000 Spätaussiedler. Tatjana Weinberg verkauft in ihrem Geschäft auf der Salomon-Idler-Straße russische Produkte an Spätaussiedler und Einheimische. Die Deutschen greifen besonders bei frischem Obst und Gemüse zu, die russischen „Konfety“ mögen sie nicht.

Im bayrischen Augsburg leben nach Schätzungen über 30.000 Spätaussiedler. Tatjana Weinberg verkauft in ihrem Geschäft auf der Salomon-Idler-Straße russische Produkte an Spätaussiedler und Einheimische. Die Deutschen greifen besonders bei frischem Obst und Gemüse zu, die russischen „Konfety“ mögen sie nicht.

Der 20jährige Dima langweilt sich im Bus, der aus Russland Richtung Bundesrepublik tuckert. „Warst du schon mal in Deutschland?“, fragt er ein blondes Mädchen am Fenster. „Nein“, antwortet sie, „aber das ist seit langem mein sehnlichster Traum. Jetzt geht er in Erfüllung.“ Dima entgegnet: „Mein Traum hat sich vor drei Jahren erfüllt, als ich nach Deutschland gekommen bin. Aber jetzt habe ich einen anderen, ich will nach Russland zurückkehren.“ Dima ist einer von sieben Millionen Ausländern in Deutschland. Viele dieser Einwanderer sind jedoch keine Ausländer sondern Aussiedler: Deutsche, die nach den Gesetzen der Bundesrepublik „ein Recht darauf haben, in Deutschland zu leben.“ Sie kamen in den späten Achtzigern und frühen neunziger Jahren, als das Tür zum Paradies offen stand. Sie verstehen sich als Deutsche, weil sie sich auf ihre Vorfahren berufen, die vor mehr als 200 Jahren aus der Bundesrepublik ausgewandert sind.

„Back in USSR “

Zeitreise in die Vergangenheit. Vor 15 Jahren sahen die Ladentheken der Sowjetunion genauso aus: Jede Menge Sonnenblumenkerne direkt aus der Ukraine, weiße Mullbinden für Verletzungen und sogar das Kölnisch-Wasser „Troinoi“, welches es selbst in Russland nicht mehr gibt. Die berühmten Holzpuppen, die „Matrjoschkas“, die Pulverhaarfarbe „Basma“, Pflegecremes aus Metalltuben und geschliffenes Kristallgeschirr. Auf der anderen Seite des russischen Ladens gibt es Lebensmittel, es riecht nach Vanillegebäck, Minzelebkuchen und indischem Tee. Russisches Bier, Limonade, das süß-saure Getränk Kissel, jede Menge Konservendosen und natürlich süße Teigwaren. Die Zeitreise ist Realität. Das russische Geschäft „Universam“ gibt es wirklich und zwar in der Salomon-Idler-Straße im bayrischen Augsburg.

 

Belgische Tomaten im russischen Geschäft

Die Verkäuferin mittleren Alters unterhält sich mit einer Kundin auf Russisch. „Stell dir mal vor, zehn Euro als Praxisgebühr, um überhaupt eine Beratung beim Arzt zu erhalten und dann noch 40 Euro für die Ultraschalluntersuchung.“ Die Kundin zeigt sich empört: „50 Euro aus eigener Tasche? Das ist eine einzige Zumutung.“ Sie zeigt auf die russischen Reklamezeitungen in der Ecke: „Sind die denn kostenlos?“ Die Verkäuferin Tatjana Weinberg nickt. „Dann nehme ich eine.“ Sie rollt ein Exemplar zusammen und verlässt das Geschäft.

Jetzt ist die Frau mit den braunen Augen und kurzen gefärbten Haaren allein im Geschäft. Gelangweilt schaut sie aus dem Fenster: „Am häufigsten kaufen bei uns die Russen ein. Manchmal betreten aber auch ältere Deutsche den Laden. Im Sommer verkaufen wir viel frisches Obst und Gemüse. Besonders unsere Tomaten sind bei den Kunden beliebt.“ Die Verkäuferin erklärt, dass sie diese aus Belgien importieren würden. Außerdem erklärt sie, dass Deutsche vor allem die russische Wurst, saure Gurken und eingelegtes Sauerkraut mögen. „Nur russisches Konfekt kaufen Deutsche nie. Das ist ihnen viel zu süß“, lächelt sie. Auf drei Ständern stehen über 30 Sorten Bonbons zur Auswahl.

„Heimweh kann man überleben!“

Es kommen zwei Mädchen zur Tür herein: „Ein Viertel von der Wassermelone bitte.“ Und dann auf Russisch: „Gibt`s noch Tickets für das Konzert von Valeria?“ Weinberg erwidert, dass fast alle Tickets bereits ausverkauft seien. „Aber es gibt noch ein paar für 40 Euro. Nehmt ihr die?“ Die Mädchen schauen sich fragend an und antworten schließlich: „Wir überlegen es uns noch.“ „Es kommen oft russische Popstars nach Augsburg. In jedem Jahr sind es fünf oder sechs Konzerte mit vollen Hallen. Kirkorow war erst vor kurzem da. Und Kadyschewa kommt mindestens einmal im Jahr“, erzählt die Verkäuferin vergnügt. „Wir sind vor fünf Jahren aus Kasachstan gekommen. Wir hatten damals große Angst, weil wir nicht wussten, was uns erwartet. Alle unsere Verwandten wohnten schon in Deutschland, wir waren die Letzten.“ Weiter erzählt Weinberg, dass sie seit ihrer Kindheit mit ihren Eltern Deutsch gelernt habe. Als sie mit ihrer Familie allerdings in die Bundesrepublik kamen, hätten sie nichts verstanden. „Ich wusste nicht mal, was fernsehen ist, weil das meine Oma nicht kannte. Und wir mussten auch sehr viel Papierkram erledigen und von Büro zu Büro rennen.“ Dann schweigt die Frau eine Weile. „Es war schwierig. Alles war ganz anders, als wir es uns vorgestellt hatten. Viele unserer Bekannten sind nach Russland zurückgekehrt.“ Weinberg seufzt tief und erzählt weiter: „Aber jetzt geht es besser. Inzwischen bin ich Oma! Mein zweijähriger Enkel spricht Deutsch, versteht aber trotzdem Russisch und antwortet immer auf Deutsch. Außerdem haben wir hier viele Freunde. Und das Heimweh“, die Verkäuferin runzelt die Stirn, „kann man auch überleben.“

In Deutschland erfüllen sich russische Träume

Wie viele Russen und Spätaussiedler leben eigentlich in Augsburg? Maximilian Kraus vom Amt für Stadtentwicklung und Statistik in der Bahnhofstraße weiß es genau: „Aus der Ukraine sind es 1836 Einwanderer, aus Russland 599, aus Kasachstan 470, aus Weißrussland 116.“ Insgesamt sind es rund 3000 Russen. Die Zahl an Spätaussiedlern kann Kraus allerdings nicht genau beziffern: „Einige sagen über 30.000. Andere behaupten, es seien noch mehr.“ Auf dem Rathausplatz sind viele Leute unterwegs, überall fliegen deutsche Wortfetzen durch die Luft. Plötzlich hört man ein paar russische Brocken. Eine jugendliche Gruppe unterhält sich über das anstehende Valeria-Konzert. „Gehen wir gemeinsam hin?“, fragen sie sich gegenseitig. Ein schlanker dunkler Typ antwortet mit tiefer Stimme: „Natürlich gehen wir hin. Das ist ein langgehegter Traum von mir, sogar als ich noch zu Hause in Russland war. Jetzt wird er endlich Wirklichkeit.”

16/09/05

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