Oftmals, wenn man glaubt, aus der tiefsten Provinz zu kommen und die Welt kennenlernen zu müssen, stellt man fest, dass die Provinz schneller war und schon längst vor Ort ist. Beziehungsweise, wenn man in Meiningen geboren wurde und mal nach Australien fährt, auf die andere Seite der Weltkugel, da bekommt man plötzlich – Thüringer Klöße aus Meiningen zu essen. Jedenfalls beinah. Aber wie geht das zu?

Tatsächlich ist Meiningen eine kleine, beschauliche Stadt im Thüringer Wald, die heute eigentlich keiner wirklich kennt. Mit allerdings interessanter Vergangenheit, die sich – eben bis nach Australien erstreckt. 1680 bereits, nach der Aufteilung des bisher bestehenden Herzogtums Sachsen-Gotha, wird Meiningen Residenzstadt des neu gegründeten Herzogtums Sachsen-Meiningen. Ein Umstand, von dem Meiningen stark profitiert; die Stadt schmückt sich daraufhin mit spätbarocker Pracht. Das Schloss Elisabethenburg, das Schloss Landsberg und die Palais in der Bernhardstraße sind nur einige wenige Beispiele. 1831 wird in Meiningen das Hof- und Staatstheater eröffnet, welches unter der Regentschaft Herzog Georgs II. (1826-1914) ab 1874 mit spektakuläen Inszenierungen und Europareisen Meiningen zu internationalem Ruf verhilft. Zudem wird 1858 die Eisenbahnlinie im Werratal in Betrieb genommen und 1989 die nur acht Kilometer entfernte innerdeutsche Grenze geöffnet, wodurch Meiningen weitere überregionale Bedeutung erhält. Soweit das. Und was hat das mit Australien zu tun? Das geht so:

Da ist zunächst Georg I. von Sachsen-Meiningen, der mit Louise Eleonore von Hohenlohe-Langenburg verheiratet ist, welche unter anderem am 13. August 1792 ein Kind bekommt: Adelheid von Sachsen-Meiningen. Sie wächst anfangs in nicht sonderlich wohlhabenden Verhältnissen auf, aber sie erhält eine ausgiebige Erziehung und Bildung und plötzlich, mit 25 Jahren, wird ihr ein Heiratsantrag gemacht. Für ihr Alter nach damaligen Maßstäben sehr spät. Und dann auch noch aus England, von William Heinrich, Prinz von Großbritannien und Herzog von Clarence. Adelheid fährt dennoch eher widerwillig nach London, zumal sie weiß, dass William schon 53 Jahre ist und sie keine andere Aufgabe hat, als die Thronfolge der ins Stocken zu geraten drohenden Erbfolge des in England herrschenden Hauses Hannover zu sichern. Nun, es gelingt und ab 1830 sitzt für sieben Jahre plötzlich eine Meiningerin als Königin von Großbritannien neben ihrem Gemahl, dem jetzigen König William IV. von Großbritannien. Adelheid wird während dieser Regentschaft im Königreich für ihr soziales Engagement eine beliebte und angesehene Frau, sie organisiert Festlichkeiten, Theateraufführungen, bringt den Weihnachtsbaum nach England – und eine kleine Thüringer Speise: Kartoffelklöße mit Rosenkohl und Rinderroulade in einer pikanten Fleischsoße. Was sich zuerst allerdings nicht so recht durchsetzen kann, wenigstens nicht in England. Nach ihrem Tod am 2. Dezember 1849 werden in Großbritannien Adelheid zu Ehren Regionen und Städte nach ihr benannt. Unter anderem die australische Stadt Adelaide, bis zu der auch per Kolonialhandel das kleine Thüringer Gericht vorgedrungen ist. Die Aufnahme erfolgt hier wesentlich freundlicher. Allerdings hat das Meininger Original bis zum heutigen Tag ein paar unscheinbare Änderungen erfahren. Es sind zwar noch immer die typischen drei Bestandteile Kloß, Gemüse und Fleisch mit Soße, aber doch in leicht abgewandelter Form. (Eine eigene Vitrine zur Geschichte der Thüringer Klöße in Adelaide und Australien kann man in der Townhall of Adelaide besichtigen.) Lassen Sie sich dieses auf der Zunge zergehen: Adelaide’s Menu (oder auch: Adelaide’s Balls)

1. Etwa ein Kilogramm Kartoffeln (für vier Personen) und ein halbes Kilo Süßkartoffeln werden kurz gekocht (max. fünf Minuten), gerieben und mit Maismehl zu etwa faustgroßen oder größeren Klößen geformt (zusätzliche Gewürze für die Kloßmasse wie Anis, Myrrhe oder Muskat & Walnuss sind je nach Region und Geschmack möglich). Die Klöße werden ein weiteres Mal kurz gekocht und anschließend in heißem Sonnenblumen- oder Sojaöl etwa weitere fünf bis zehn Minuten gegart. Die fertigen, knusprigen Bälle sollten mit Kokosraspeln bestreut werden. (Soweit die thüringisch-australischen Klöße bzw „Balls“.)

2. Dazu werden gedünstete Anchovisherzen und mit Avocado-Maiscreme gefüllte, gebackene Zucchini oder Auberginen gereicht. Die Creme sollte zusätzlich mit Vanille und Chayenne-Pfeffer gewürzt sein. (Das war der Rosenkohl. Obwohl nichts davon enthalten ist, heißt dieser Teil trotzdem „Kraut“.) Manchmal kann man auch gebackene Chilibohnen dazu reichen, aber das wäre „not true“.

3. Weiterhin wird etwa ein Kilogramm Straußenfilet, etwa vier bis sechs Filetscheiben, gut mit Essig, Öl und Pfeffer eingerieben, bei mittlerer Hitze medium gebraten, so bleibt es saftiger. Gut gebratene und ebenfalls rohe Zwiebeln werden hineingerollt und beides in einer hellen, pikant abgeschmeckten Kokos-Eiersoße serviert. (Auch das eine interessante Variation einer „Rollade“.)

Alles gemeinsam schmeckt mit einem gekühlten, trockenen australischen Wein am besten.

Leider hat, auch durch die seit 1989 neu entstandenen Städtepartnerschaften von Meiningen und Adelaide, bislang die australische Version von Thüringer Klößen noch nicht nach Deutschland gefunden, aber das muss vorerst nichts heißen. Ich selbst habe mich bei einem Besuch in Adelaide von der köstlichen, durchaus komisch anmutenden Exotik dieses Gerichts überzeugen können und wünsche daher auch Ihnen: einen guten Appetit im Andenken an die Königin von Großbritannien.

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