Bis 2014 will die Nato alle Truppen aus Afghanistan abziehen. Behrooz Abdolvand, Dozent für internationale Beziehungen und Energiepolitik in Nahost an der FU-Berlin, hält das für unwahrscheinlich. Die Nato wird bleiben, bis die Lage im Land stabil ist. Doch, um das zu erreichen, müsse eine neue Strategie her, meint Abdolvand.

/Bild: Anja Greiner. ‚„Es fehlt an einer nationalen Identität an einem ‘wir’“ – Behrooz Abdolvand bei der Konferenz „Zentralasien und Afghanistan nach 2013/14“ in Almaty.’/

Bis Ende 2014 will die Nato ihre Truppen aus Afghanistan zurückziehen…

…Die Nato wird bleiben! Die USA haben sechs Militärbasen aufgestockt. Wer das macht, hat kein Interesse zu gehen. Der bleibt. Ein totaler Abzug wäre meiner Meinung nach auch völlig falsch. Allerdings sollte die Nato ihren weiteren Einsatz in Afghanistan überdenken.

Inwiefern?

Derzeit werden besonders die US-Truppen in den Nachbarländern als Bedrohung angesehen. Länder wie der Iran haben Angst, dass die Ausrüstung, die angeblich nur im Kampf gegen die Taliban zum Einsatz kommen soll, auch gegen sie verwendet werden kann.

Das heißt, die Nato müsste die Nachbarländer stärker einbeziehen.

Ja. Sie sollten sie darüber informieren, wo welche Waffengattungen warum stationiert sind. Wenn die Präsenz der Nato bei den Nachbarstaaten weiter als Bedrohung wahrgenommen wird, wird es in Afghanistan verstärkt zu Guerillakämpfen kommen.

Welche Rolle spielen denn derzeit Länder wie Kasachstan, Tadschikistan, Usbekistan oder Kirgisistan?

Sie sind der logistische Brückenkopf für die Nato. Über Pakistan können keine Truppentransporte nach Afghanistan geschickt werden, weil es immer wieder zu Angriffen kommt. Deswegen werden die Transporte über Länder wie Kasachstan organisiert.

Und was bekommen die Länder dafür?

Geld, Waffen, Anerkennung, Unterstützung bei der Ausbildung von Polizei-und Sicherheitskräften.

„Es gibt kein Afghanistan“, lautet eine ihrer Thesen. Könnten Sie das kurz erläutern?

Afghanistan ist eine multikulturelle Gesellschaft, in der ein Paschtune theoretisch genauso ein Afghane ist wie ein Usbeke. Doch all diese unterschiedlichen ethnischen Gruppen identifizieren sich viel stärker mit ihren Stammesbrüdern als mit der afghanischen Zentralregierung. Es fehlt an einer nationalen Identität, an einem „wir“. Doch um das Problem in Afghanistan zu lösen, braucht es genau das.

Wie kann man diese nationale Identität in Afghanistan fördern?

Die afghanische Seite müsste meiner Meinung nach die Durand-Linie anerkennen. Außerdem sollte die Nato mit der Zentralregierung einen Vertrag über deren zeitlich begrenzte militärische Präsenz im Land abschließen. Gleichzeitig sollte die Verfassung geändert, ein föderalistisches System eingeführt und die verschiedenen ethnischen Gruppen, abhängig von ihrem Anteil an der Bevölkerungszahl, an der Landesverwaltung beteiligt werden. Aber auch in der Zentralregierung muss die Vergabe politischer Ämter entsprechend erfolgen. All das würde zur Nationenbildung in Afghanistan beitragen.

Interview: Antonie Rietzschel

Das Interview entstand im Rahmen der von der FES organisierten Konferenz „Zentralasien und Afghanistan nach 2013/14“ am 27. Mai in Almaty.

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