Lichte Felder, frische Luft und keine Anzeichen von Zivilisation: So stellt man sich den Naturschutzpark „Ile-Alatau“ vor, der in der Nähe Almatys liegt. Doch die Dinge liegen ein wenig anders

Bereits zum siebten Mal ließ ich mich von den schneebedeckten Bergen am Tschimbulak faszinieren, diesmal bei Sommerhitze und in Nähe des Naturparks „Ile-Alatau“. Meine Begleiterin und ich machten uns schon früh am Morgen auf den Weg, um der brummenden, unter einer dichten Abgasglocke vibrierenden Stadt zu entfliehen. Zunächst ging alles gut. Wir konnten zwei Plätze in einem zwar wenig bequemen, dafür aber sehr günstigen Sammeltaxi zu je 100 Tenge ergattern. Den Taxi-Fahrer, der uns 1000 Tenge für die Fahrt berechnen wollte, ließen wir stehen.

Wir waren noch nicht am Ziel, doch die Fahrt endete bereits nach etwa 20 Minuten vor einem „Schlagbaum“, wie die Einheimischen sagen – einer Rampe, die den Beginn des Naturschutzgebietes markiert. In diesem Gebiet herrschen strenge Regeln, worauf uns eine uniformierte, stets lächelnde Staatsbeamtin hinwies. Obwohl wir unsere Reise zu Fuß fortsetzen wollten, kassierte sie von uns ordnungsmäßig eine „Besuchergebühr“ in Höhe von 194 Tenge. Da meine einheimische Begleiterin zu ihrem großen Erstauen von dieser „neuen“ Regelung bisher nicht gehört hatte, ließ die Kontrolleu-rin offen in ihre Vorschriftensammlung schauen. So wurden wir von der Erfordernis der Zahlung überzeugt. Wir bekamen einen Quittungsbeleg, der uns zugleich auch über unsere Pflichten und über die Verhaltensregeln in diesem geschützten Naturpark belehren sollte. „Der Nationalpark ist Eigentum des Volkes“, hieß es da, „seine Geschichte und seine Zukunft. Erhalten werden kann dieses kulturelle Erbe nur durch gemeinsame Anstrengung aller Einwohner Kasachstans. Der Nationalpark bedarf unserer Hilfe und wir bedürfen seiner einmaligen Schönheit, seiner unberührten Natur, seiner sauberen Flüsse, seiner spiegelglatten Seen, seines unüberhörbaren Vogelgesanges, seiner berauschenden Düfte von Berg- und Talblumen.“

Auf die lyrischen Sätze folgte eine Verhaltensanweisung: „Auf dem ganzen Territorium des Nationalparks ist streng verboten: Zerstörung von Naturobjekten, Verschmutzung von Seen, Flüssen, Quellen und Fluren; Lagerung von umweltverschmutzenden Stoffen, Bewegen und Abstellen von Transportfahrzeugen auf allen Wegen und Pfaden durch den Park.“

Wenn das so ist, dachten wir, wartet hier der Himmel auf Erden auf uns. Eine saubere Erholungszone, ein echter Naturpark, in dem sich die städtische Zivilisation einmal richtig vergessen ließ. Die Sonne stieg höher und höher, und der Wind blies uns immer wieder frische Waldluft ins Gesicht. Wir ließen uns verwöhnen und bezaubern von dem Fluss, der leise rieselte, von den emporragenden, grün-braun bedeckten Felsen und den ständig umherflatternden Schmetterlingen.

Und dann kam der Schock. In dieser Stille, dieser berauschenden Zivilisationsferne entdeckten wir plötzlich ein ausgebranntes Autowrack. Wenig später mussten wir erkennen, dass es sich um keinen Einzelfall handelte: Ein alter Bus marodierte mitten auf einer grünen Wiese. Außerdem schienen für eine bestimmte Bevölkerungsschicht die Regeln des Nationalparks nur auf dem Papier zu existieren. Alle acht hundert Meter wurde der Grundstein für eine Supervilla gelegt, und der Bauschutt wird gleich mal eben in der umliegenden Natur hinterlassen.

Ein voll beladener Lastkraftwagen bewegte sich nur schwer bergauf, hielt plötzlich an, manövrierte abwärts zum Flussufer und kippte seine qualmende Ladung – tonnenschweren Bauschutt, Reste von Zementsäcken und Holzgerüsten – in den Fluß aus.

Mir wurde warm und die Haut feucht. Mir schien es, als ob die Berge um uns herum weinen würden. Dann setzten wir unseren Ausflug fort durch den geschützten Naturpark „Ile-Alatau“.

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