Antonia Berger verbringt ihr freiwilliges soziales Jahr in Öskemen am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium und lässt uns an ihrem Abenteuer teilhaben.

Feirlichkeiten zum Tag des Wissens. | Foto: Antonia Berger

Am 28. September startet der Flieger von Frankfurt am Main nach Astana. Dort treffe ich mich mit Annika, die ebenfalls ein freiwilliges soziales Jahr in Kasachstan absolviert. Aufgrund des Staus bin ich etwas später am Flughafen angekommen und war ziemlich aufgeregt. Der Abschied fällt dann auch entsprechend kurz aus, aber als ich im Flugzeug sitze und die Sonne so langsam untergeht, realisiere ich wirklich, dass ich für ein Jahr keinen Fuß nach Deutschland und Europa setzen würde, dass die nächste Station Kasachstan ist.

Sowjetischer Block, wie er im Buche steht

Um halb sechs (Ortszeit) machen wir einen Zwischenstopp in Astana, bevor wir den Anschlussflug nach Öskemen nehmen. Vom Flieger aus sehe ich schon den Altai, ansonsten erstrecken sich vor mir endlose Weiten. Mich erwartet ein völlig fremder Kontinent. Am Flughafen von Öskemen holt uns eine Deutschlehrerin ab, die mit uns gleich in die Stadt fährt, um ein paar Dinge für die Registrierung zu klären und einzukaufen. Alles ist unglaublich spannend. Die neue Stadt, die Menschen, andere Gerüche, Gesichter und nicht zu vergessen die Sprache. Schließlich erreichen wir unsere Wohnung in einem ehemals sowjetischen Block, wie er im Buche steht.

Mit großer Zeremonie, vielen Blumen und danach stattfindendem Essen aller Lehrer läuten wir das neue Schuljahr ein. Alle empfangen uns sehr herzlich und gastfreundlich. Es gibt große, kunstvoll verzierte Torten. Allerdings sind die meisten Süßspeisen hier, für unseren Geschmack etwas zu süß… Am nächsten Tag beginnt dann unsere eigentliche Arbeit. Annika und ich helfen in den Klassen 2-11 beim Deutsch– und Englischunterricht. Das bedeutet von den ersten Worten bis hin zur großen finalen Deutschprüfung (B2/C1). Für den Unterricht heißt das, dass wir Lieder und Reime mit den Kindern machen, Texte vorlesen und korrigieren, Spiele spielen und Vokabellisten oder andere Unterrichtsmaterialien vorbereiten.

Die Kinder sind sehr lieb (wenn auch bisweilen manchmal ein wenig anstrengend) und die Lehrerinnen sind sehr zuvorkommend und aufgeschlossen. Als Besonderheit ist zu erwähnen, dass es hier quasi immer Fleisch gibt und dass „Kascha“ (dt. Brei) nicht so schlimm ist, wie es mir prophezeit wurde! So langsam komme ich im Alltag an.

Es ist die “Woche der Sprachen“ in der Schule, was bedeutet, dass wir hintereinander den Tag der kasachischen, der deutschen und der englischen Sprache feiern mit Präsentationen, Musik, Essen und Konzerten. Auch wir wurden gebeten, etwas vorzutragen und so singen wir und präsentieren Rezepte für deutschen Pflaumenkuchen.

Auf Erkundungstour in Öskemen

Öskemen – Stadtaussich. | Foto: Anne Grundig

Am Freitag landen wir irgendwie zufällig beim Erkunden der Stadt im hiesigen Konzerthaus und sehen uns dort eine Kreuzung aus Film und kasachischer Tanz– und Musikdarbietungen an. Es ist wirklich ein spannender Abend, da unter anderem auch ein Orchester, bestehend aus Dombras, dem Nationalinstrument Kasachstans, auftritt. An den Wochenenden erkundeten wir weiter die Stadt, besuchen die Parks (dort erklingt aus Lautsprechern kasachische Musik) und andere Sehenswürdigkeiten, wie das Theater oder die Moschee. Wichtig zu erwähnen ist die Puschkin-Bibliothek von Öskemen. Es gibt dort eine Art Zentrum für französische, deutsche und englische Sprache. Jeden Sonntag finden Diskussionsklubs in den drei Sprachen statt, zu denen ich gehe und schon viele interessante Leute kennengelernt habe.

Leider gibt es auch Negatives: Die Luftverschmutzung ist hier ziemlich hoch. Und da wir daran und auch an die erhöhten Strahlungswerte nicht gewöhnt sind, macht uns das doch öfter mal zu schaffen. Doch ich denke, mit der Zeit, wird das besser.

Die Zeit vergeht wie im Flug. So viel Neues passiert, so viele neue Eindrücke gewinnen wir Tag um Tag. Wir unternehmen einen Ausflug auf den „Kasachstan-Berg“, der mit den großen Buchstaben „Казакстан“ versehen ist, ein wenig wie der Schriftzug in Hollywood. Wir besuchen den „Etno-Park“, in dem es neben ausrangierten Panzern und Lenin-Statuen einen Zoo gibt sowie eine Straße mit Häusern von verschiedenen Völkern. Es ist ein schöner großer Park, in dem ich neue Kraft tanke, die ich brauche! Denn in der Schule wird fleißig weitergefeiert.

Jeder kennt hier Rammstein

Ein wichtiges Ereignis ist Ende September immer das Michaelsfest. Früh um halb 5 treffen sich alle in der Schule. Sie spielen ein Theaterstück, singen Lieder und sagen Sprüche auf. Anschließend gehen alle gemeinsam zum Fluss und lassen Papierboote mit Kerzen ins Wasser. Ein irreales Erlebnis um diese Uhrzeit, aber wunderschön. Wieder in der Schule, gibt es einen großen Basar, zu dem alle etwas mitbringen und dessen Ertrag gespendet wird.
Allgemein fühle ich mich immer mehr zu Hause hier. Mein Russisch wird besser. Ich lerne immer mehr Menschen kennen und entdecke die Besonderheiten dieses Landes und seiner Kultur. Ein paar Beispiele: Chips mit Kaviargeschmack, in Parks darf man nicht über die Wiese laufen und sich auch nicht darauf setzen, ein Döner ist hier ein Brötchen mit Mayo, Ketschup, Fleisch, Pommes und Zwiebel, Frauen wird nicht die Hand geschüttelt und jeder kennt hier Rammstein…

Eröffnungspiel der Eishockeysaison. Team “Torpedo” auf dem Eis. | Foto: Antonia Berger

Mit dem Oktober kommt der Herbst. Die Blätter färben sich gelb und fallen zu Boden. Die Nächste sind kälter und erreichen Minusgrade. Tagsüber fällt der erste Schnee und in der ganzen Stadt wird zentral die Heizung angestellt. Das bedeutet, der kasachische Winter ist im Anmarsch! Im Oktober beginnt in Öskemen aber noch etwas ganz anderes, nämlich die Eishockeysaison. Das ist quasi der kasachische Fußball und die hiesige Mannschaft spielt in der höchsten Liga. Es gibt für das Team, der “Torpedos”, ein eigenes Stadion, übersetzt den “Sportpalast”. Wir werden von unseren Schülern eingeladen, das Eröffnungsspiel zu sehen, und so kam ich zum ersten Eishockeyspiel meines Lebens.

Die Zeit vergeht schnell

Für mich ist es unmöglich, wirklich zu begreifen, wie schnell die Zeit vergeht. Schon anderthalb Monate bin ich jetzt hier. So viele neue Menschen habe ich getroffen, neue Orte gesehen, russische Wörter gelernt und so viel erlebt. Einerseits bemerke ich immer öfter, wie viele Dinge für mich auf einmal normal werden, wie der Konduktor im Bus oder die Märkte. Aber andererseits bin ich immer noch so oft fasziniert und fühle mich herausgefordert, eine ganz andere Kultur zu erleben, offen zu sein und ein neues Leben kennenzulernen. All das macht mir jeden Tag aufs Neue Spaß und ich freue mich auf die weiteren Bekanntschaften und Erlebnisse, die mich hier erwarten!

Antonia Berger

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