Das Hotel „Zhetysu“ empfing im Alma-Ata der 1960er Jahre illustre Gäste und Schauspieler. Irgendwann sank sein Stern, bis es 2016 endgültig einem Brand zum Opfer fiel. Unser Autor verbindet mit dem Hotel dennoch emotionale Erinnerungen.

Als Architekturliebhaber baut man im Laufe der Zeit zu manchen Gebäuden eine ganz besondere, persönliche Verbindung auf. So war es auch, als ich im Januar 2013 an einem fürchterlich kalten, grauen Nachmittag zum ersten Mal kasachischen Boden betrat und nach Almaty kam. Die drei vorangegangenen Tage hatte ich in der Eisenbahn verbracht, im Direktzug Moskau – Almaty. Ich war mit großem Gepäck beladen und von der Zugfahrt erschöpft. Die Stadt war mir völlig unbekannt, auch hatte ich noch keine Freunde oder Bekannten in Almaty. Ich beschloss, mein erstes Nachtlager im Hotel „Zhetysu“ aufzuschlagen, welches mir als günstige Alternative in einem Reiseführer empfohlen worden war.

Das Foyer des Hotels war nur mäßig beleuchtet und unbeheizt. Man gab mir ein Einzelzimmer der günstigsten Kategorie, unrenoviert. Die einfachen Möbel stammten aus den späteren Jahren der Sowjetunion. An der Wand hing eine schwache Glühbirne und erleuchtete das kleine Zimmer. Das Bad lag auf dem Gang und befand sich in fürchterlichem Zustand. Alles wirkte abgewohnt und heruntergekommen. Die besten Tage dieses Hauses lagen wohl schon lange zurück.

Die besten Jahre des Hotels

Und tatsächlich hatte das Hotel „Zhetysu“ schon einmal bessere Zeiten erlebt. Als es 1960 unter dem Namen „Kasachstan“ eröffnete, gehörte es zu den besten und modernsten Einrichtungen der Stadt. Der fünfstöckige Bau der Architekten E. Djatlow und W. Ischtschenko war eines der ersten Gebäude der Stadt im Stile des Modernismus. Die in jenen Jahren noch neue Plattenbauweise fand dabei großflächig Anwendung. Insgesamt konnten hier 530 Personen in 307 Einzel- und Zweibettzimmern unterkommen, die von Anfang an mit Telefon und Radio ausgestattet waren. Für die Gäste standen Annehmlichkeiten wie ein Restaurant, eine Bar, verschiedene Kantinen, ein Frisörsalon oder eine Reinigung zur Verfügung – ein ungewohnter Komfort und Luxus für die frühen 1960er Jahre der Sowjetunion.

Die 1960er waren die wahrscheinlich besten Jahre des Hotels, als dieses illustre Gäste und Schauspieler empfing. Die sowjetische Liebeskomödie „Der Strafstoß“ des Regisseurs Wenjamin Dorman wurde 1963 in Alma-Ata gedreht, Teile der Handlung spielen in dem Hotel. Die Filmszenen geben noch immer einen Eindruck des modernistischen Interieurs im Stile des Zeitgeists. Die Schauspieler übernachteten während der Produktion auch selbst dort. Ein Beispiel dafür ist der aus diversen sowjetischen Klamaukfilmen bekannte Michail Pugowkin. Auch der bis heute für seine regimekritischen Songs in den ehemaligen Ländern der Sowjetunion hoch verehrte Künstler Wladimir Wyssozki spielte seinerzeit in diesem Film eine Rolle. Wyssozky soll der berühmteste Gast des Hotels in dessen langjähriger Geschichte gewesen sein. Der Film „Der Strafstoß“ erreichte allerdings nie die Popularität anderer sowjetischer Produktionen wie den Komödien des Regisseurs Leonid Gaidai, die bis heute zum Kulturgut in den Ex-Sowjetrepubliken gehören.

Konkurrenz durch Hotel „Kasachstan“

Wann genau die Popularität des Hotels zu sinken begann, ist heute nicht mehr genau auszumachen. Eventuell geschah dies bereits mit der Eröffnung des neuen Hotels „Kasachstan“ 1978, das bis heute als Sehenswürdigkeit von Almaty gilt. Damit einher ging auch die Umbenennung des ehemaligen „Kasachstan“ in „Zhetysu“, als welches ich es kennengelernt habe. Zu dieser Zeit war mir allerdings die Geschichte des Hauses unbekannt, und ich freute mich lediglich, einen günstigen Schlafplatz für die Nacht gefunden zu haben. Das Bett, welches mir für diese Nacht als Unterkunft diente, mag allerdings tatsächlich noch aus dem Eröffnungsjahr gestammt haben. Vielleicht lag sogar Wladimir Wyssozki höchstpersönlich vor knapp 50 Jahren darin.

Das Schicksal des Hotels stand bereits schon länger unter keinem guten Stern. Den Status als Architekturdenkmal von lokaler Bedeutung aus dem Jahr 1979 verlor der Gebäudekomplex 2015. Ein Jahr später wurde das Hotel verkauft. Der neue Besitzer versprach die Renovierung und es hatten bereits Bauarbeiten im Innern und an den Fassaden begonnen. Im Herbst 2016 zerstörte jedoch ein Brand das komplette Gebäude und seine Überreste wurden bis Ende 2017 vollständig abgetragen. Seitdem ist außer einer Brachfläche an selber Stelle nichts übriggeblieben.

Das Hotel „Zhetysu“ war damit endgültig Geschichte. Ich werde es allerdings persönlich in guter Erinnerung behalten. Schließlich war es jener graue, heruntergekommene Ort, an dem meine Zeit in Kasachstan 2013 ihren Anfang nahm.

Philipp Dippl

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