Im Juni 2005 schuf der Bildhauer Jerbolat Tolepbai im Auftrag der Stadt Astana eine Statue, die ein Liebespaar abbildet. Seitdem ist der Park mit der Statue als der Park der Verliebten bekannt. Es soll die Nachbildung eines echten Liebespaars sein, das heute ein Ehepaar ist. In Astana stand vor kurzem zur Diskussion, ob die Statue trivial sei oder nicht. Niemand hätte vermutet, dass elf Jahre danach wegen einer wenig bekleideten Statue ein Medientheater entstehen würde.

Die Statue wurde am 10. Juni 2005 aufgestellt. Pünktlich zum Geburtstag der Stadt kam das Geschenk des Bildhauers. Die Grundidee war individuelle Schönheit und bildende Kunst zu verbinden. Ein Paar in Bewegung. Man kommt zur der Vermutung, dass die beiden im Regen spazieren gegangen sind und darum die Kleidung hauteng am Körper klebt. Dazu kommt die Hauptursache des Skandals – jemand sah in dieser Bekleidungswahl die Unanständigkeit repräsentiert. Es geht insbesondere um die junge Frau. Sie hat ein hautenges Kleid an, das ihre Figur zeigt.

Im Internet kann man schon seit Wochen verschiedenste Kommentare zu der Statue sehen. Man schlägt vor, man solle die Schönheit und Jungfräulichkeit zeigen, aber keine Erotik. Jemand anderen beunruhigt der Ruf des ganzen Landes und gar des Volkes aufgrund dieser Bronzestatue. Es fällt den Menschen anscheinend heute schwerer als vor elf Jahren, mit dem nackten menschlichen Körper umzugehen. Natürlich gibt auch diejenigen Stimmen, die nicht dagegen sind und verstehen, dass es sich um eine Entscheidung des Künstlers handelt.

Einer der Verursacher dieses Tumults ist der Bürger Talgat Scholtajew. Er bedeckte die seiner Meinung nach „provokativen“ Körperteile des Mädchens mit einem Tuch und fotografierte sich danebenstehend. Einerseits belächelte man dieses Benehmen in der Öffentlichkeit, andererseits verstanden auch einige die Position. Das Ganze wurde alsbald zu einem Phänomen, bei dem Bewohner von Astana in einer Reihe von digitalen Fotomontagen berühmte Skulpturen wie die Venus von Milo und andere bekannte Werke ebenfalls mit einem Tuch „bekleideten“.

Als ob die Geschichte nicht schon genug ausuferte, ging es bis dahin, dass der Kultur– und Sportminister eine Sitzung zu diesem Thema veranstaltete. Manch einer wartete gar auf die Entscheidung, ob etwas an der Statue verbessert werden würde, um der Empörung der besorgten Bürger Herr zu werden.

Anfang April reagierte die Regierung tatsächlich. Nach der ersten Sitzung kam man zu dem Schluss, dass weder der Autor, noch seine Idee ein Gesetz übertreten. Für alle an dem Untersuchungsausschuss beteiligten Beamten war die Statue einstimmig positiv und romantisch und niemand sah in dem Werk etwas Falsches oder Unanständiges. Nichtsdestotrotz erwarten die Minister Änderungsvorschläge des Künstlers. Es gäbe neue Anordnungen seitens der Regierung, weshalb eine zweite thematische Sitzung dazu organisiert wird.

Es ist schwer zu sagen, wer recht hat und wer nicht. Warum explodiert plötzlich die öffentliche Meinung nach dem langjährigen Bestehen des Parks der Verliebten? Wo liegt die kasachstanische Grenze zwischen Erotik und Unanständigkeit? Und kann es diese im Allgemeinen überhaupt geben? Bevor man die Keule der Demoralisierung der Gesellschaft schwingt, sollte man sich mit der Kulturgeschichte der Menschheit beschäftigen.

Möglicherweise empört sich nur die ältere Generation, man denkt, dass junge Leute in modernen Zeiten der Internet-Meinungsfreiheit aufwachsen und die Welt mit offenen und neugierigen Augen betrachten. Ergebnisse einer Jugendstudie der Friedrich-Ebert-Stiftung (DAZ berichtete Nr. 16/2016) zeigen allerdings, dass sich die Ansichten um Sexualität, Ehe und Geschlechterrollen der heutigen Jugend kaum von denen der Elterngeneration unterscheiden. Das stimmt nachdenklich. Die Liberalisierung der 90er Jahre wurde innerhalb von elf Jahren von einer neueren, traditionell ausgerichteten, gesellschaftlichen Ausrichtung abgelöst.

Doch die Antike und ihre nackten Statuen haben Jahrhunderte überdauert. Sie überdauern mit Leichtigkeit auch den Streit in der kasachischen Hauptstadt.

Diana Odinzowa

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