Zerfallene Gebäude, marode Infrastruktur und mangelndes Trinkwasser. Dieses trostlose Bild trifft heute auf einige ehemalige Bergbaustädte im postsowjetischen Raum zu. Die Sowjetunion hatte angesichts des hohen Vorkommens an Kohle, Eisenerz, Stahl und Kupfer die Industrialisierung in den zentralasiatischen Ländern und im Kaukasus ehrgeizig vorangetrieben und so zur Entstehung von Monostädten beigetragen. Diese spielten eine zentrale Rolle für die Schwerindustrie, bis das Ende der UdSSR den blühenden Wirtschaftssektor in vielen Orten zum Erliegen brachte. Doch wie geht es den ehemaligen Bergbaustädten heute? Vier Beispiele aus Georgien, Tadschikistan und Kasachstan.

Tschiatura: Der Staat hat keine Macht

„Der Bergbausektor in Tschiatura ist die einzige Wirtschaftsquelle der Stadt. Selbst heute ist ein Großteil der Bevölkerung, etwa 48 Prozent, im Bergbaubereich tätig“, sagt Tatia Kartleischwili von der Universität Tiflis. Sie untersucht die Lebensumstände der dortigen Bevölkerung. Tschiatura, im Westen Georgiens, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ein Zentrum des Manganerzabbaus, welches für die Erzeugung von Schwermetallen notwendig ist. Das heutige Stadtbild zeugt kaum mehr von der einst blühenden Montanindustrie: Verrostete Seilbahnen, zerstörte Fabriken und eine kaum ausreichende medizinische Versorgung. Um das Trinkwasserproblem der Stadt zu beheben, werde Wasser aus der Nachbarstadt bezogen, berichtet Kartleischwili. Durch die desolate Lage haben zehntausende Menschen die Stadt verlassen: Zählte Tschiatura 1979 rund 70.000 Einwohner, waren es 2014 nur noch 12.000.

Tschiatura
Ein Häuserblock im georgischen Tschiatura. | Foto: Othmara Glas

Seit 2006 unterstehen die Minen in der Stadt „LLC Georgian Manganese“. Die georgische Regierung hatte mit dem Unternehmen ein Abkommen geschlossen, das ihm die absolute Gewalt über die Stadt verleiht und sozusagen den Staat ersetzt. Letztendlich ist die Firma der einzige Akteur, der die Lebenssituation der Menschen verändern kann. Wie die desolate Infrastruktur befinden sich auch viele Gebäude in einem erbärmlichen Zustand. 70 Prozent der Häuser müssten renoviert werden, 64 Prozent der Haushalte haben Probleme mit der Wasserversorgung. Nur alle drei bis fünf Tage fließt für etwa 30 Minuten Wasser. „Georgian Manganese“ zeige jedoch kein Interesse daran, etwas zu verändern, so Kartleischwili. „Die einzige Alternative ist Migration.“ Doch trotz allem bleiben vor allem Fachkräfte in der Stadt: „Das Gehalt für ausgebildete Menschen ist im Bergbau vergleichsweise hoch“, schließt die Forscherin.

Shurab: Arbeiten für Trinkwasser

Ähnlich wie Tschiatura hat auch die tadschikische Stadt Schurab mit massiver Wasserknappheit zu kämpfen und muss die teure Ressource aus Nachbarstädten liefern lassen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion sei die urbane Infrastruktur vorsätzlich zerstört worden, erklärt Dilschod Olimov von der Staatlichen Universität Chudschand. „Die Menschen vor Ort geben ihr letztes Geld aus um Trinkwasser zu kaufen, während Bäume und Gärten in der Dürre vertrocknen.“

Tschiatura
Eingang zu einer Bergmine in Tschiatura. | Foto: Othmara Glas

In der Sowjetzeit war Schurab ein blühendes Wirtschaftszentrum. Die meisten Menschen arbeiteten im Kohlebergbau. 1978 wurde der Rekord von zehn Millionen Tonnen erreicht, während heute der durchschnittliche Kohlegewinn bei 32.000 Tonnen liegt. Nach 1991 wurde ein Großteil der Minen und Fabriken geschlossen. Dadurch verschlechterten sich die sozioökonomischen Bedingungen drastisch. Die schlechte Wasserversorgung und die defekte Kanalisation verursachten häufig Infektionskrankheiten, berichtet der Forscher. Die Folge: Massenmigration. Heute leben nur noch 4000 Menschen in der Stadt – die Hälfte der ursprünglichen Einwohnerzahl. „Viele ziehen in nächstgelegene Dörfer. Obdachlosigkeit, Prostitution und Konflikte sind die Folge“, so Olimov. Es würden wohl noch mehr Menschen den Ort verlassen, würde ihnen nicht an den amtlichen Dokumenten fehlen, mit denen sie den Wohnort wechseln könnten. Schurab sei eine „Stadt ohne Gesetz“, so Olimov weiter. Letztendlich sei die Regierung daran gescheitert, die nötigen Ressourcen zu liefern.

Schangatas: „Wir leben nur heute. Wir wissen nicht, was morgen geschieht“

Die großen Phosphorablagerungen im südkasachischen Schangatas machten die Stadt einst zu einem wirtschaftlichen Interessensgebiet. Doch davon ist heute nicht mehr viel zu spüren. Das Hauptproblem sei der gravierende Geldmangel, sagt Sarina Adambussinowa von der Humboldt-Universität zu Berlin. Es fehle Geld für Grundnahrungsmittel, medizinische Versorgung und Bildung. Dazu kommen die ökologischen Probleme in der Region sowie die desolate Infrastruktur. „Wir leben nur heute, wir wissen nicht was morgen geschieht“, zitiert die Doktorandin ihre Gesprächspartner. Tatsächlich leben die meisten Menschen nach diesem Prinzip. Selbst beim Kauf von Nahrungsmitteln werden Schulden gemacht. Ausstehende Zahlungen einzelner Bürger werden in notiert und nach Begleichung wieder gestrichen. „In der kleinen Stadt kennt jeder jeden. Man sieht unterschiedliche Ebenen des kollektiven Vertrauens in Schangatas. Man weiß, wer zurückzahlt und wer nicht“, erklärt Adambussinowa. Das sei etwas Besonderes in der Region: „Diese Form des gesellschaftlichen Zusammenlebens funktioniert weder in Schymkent noch in Taras.“

Tekeli: Chancen durch Bildung

Naurys in Tekeli 2013
Naurys in Tekeli 2013. | Foto: wikipedia/Stomac

Einen kleinen Hoffnungsschimmer bietet das Beispiel der kasachischen Stadt Tekeli, welche in den 1930er Jahren aufgrund ihres reichen polymetallischen Vorkommens gegründet wurde. Aigul Beimischewa zeichnet das Bild einer Stadt, die sich im Wandel befindet: Denn Tekeli setzt auf Bildung. Die meisten Bildungsmöglichkeiten seien unentgeltlich und werden hochgeschätzt. Darüber hinaus soll ein Campus der University of Central Asia in der ehemaligen Bergbaustadt entstehen. Die Investitionen schaffen neue Möglichkeiten für die lokale Bevölkerung. Dieses Bild bekräftigt auch die Migrationsbewegung: Im vergangen Jahr zogen 1322 Menschen aus der Stadt weg, vor allem in das nahegelegene Almaty. Gleichzeitig kamen jedoch 1272 Menschen nach Tekeli.

Die postsowjetische Transformation in ehemaligen Monostädten beeinflusste die Lebensverhältnisse vieler Menschen in Zentralasien und im Südkaukasus. Gegenwärtig lassen sich diese Folgen in Form von zunehmender Peripherisierung spüren. Viele Bergbaugebiete sind heute nur noch ein Bruchteil der wirtschaftlichen Zentren, die sie einst waren. Tschiatura, Schurab und Schangatas haben viele Probleme zu lösen. Doch der Fall Tekeli zeigt auch, wie diese bewältigt werden können.

Karina Turan

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