Karlshorst, Charlottenburg, Berlin-Mitte. Leute, die aus Russland nach Berlin kommen und von Heimweh geplagt sind, können sich dank dieser Orte eigentlich die Heimreisekosten sparen. Denn hier scheint das Russische gleichsam zu Hause zu sein. Wie schlagen sich die ehemaligen Bürger Russlands aber im Alltag durch?

/Foto: Bundesarchiv Joachim F. Thurn. ‚Russisches Spielcasino in Berlin – Karlshorst in den 60er Jahren. Damals waren die Russen Siegermacht und galten für viele Deutsche als Besatzer.’/

Man kommt nach Ostberlin und taucht sofort in eine ganz besondere Atmosphäre ein: typisch russische Plattenbauten, russische Sätze, russische Schimpfwörter. Ab und zu vergisst man, dass man in Deutschland ist, und erschrickt, wenn man plötzlich Deutsch hört. Am Sonntag möchte man sich ein Fahrrad ausleihen und findet geöffnete russische Geschäfte, aber keinen offenen deutschen Fahrradverleih.

Man geht in eine Apotheke und hofft, endlich sein Deutsch praktizieren zu können. „Sprechen Sie Russisch?“, fragt die Apothekerin, ohne die erste Frage bis zum Ende gehört zu haben. Jeder Berliner, sei er Russe oder Deutscher, Türke oder Araber, kennt die Russendisko mit Wladimir Kaminer, dem „wohl bekanntesten Russen in Berlin“. Man lernt jemanden kennen, und es stellt sich heraus, dass der zahlreiche russische Freunde hat oder sogar eine russische Frau. Man telefoniert mit Zuhause in russischen Call-Shops, wird im Museum von einem russischen Wachmann beobachtet und im Cafe von der russischen Kellnerin bedient. Völlig gerechtfertigt sind daher auch die alljährlich stattfindenden Deutsch-Russischen Festtage in Berlin, die schon eine Tradition geworden sind, ein Informationsportal über Russen in Berlin, russische Medienkonzerne und vieles andere.

Wovon leben die russischen Berliner?

Ist es schwer, einen Job in Berlin zu finden, wenn man in Russland oder einem anderen Land der ehemaligen Sowjetunion geboren wurde? „Alles ist möglich, wenn man gute Bekannte hat“, räumt Jelisaweta (35) ein, die vor 15 Jahren aus dem kasachischen Pawlodar nach Berlin kam. „Man lernt um, wenn man den Beruf früher nicht erworben hat“. Dreijährige Deutschkurse halfen ihr, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Sie arbeitete zunächst in der Immobilienabteilung einer Bank, danach wechselte sie zu einem deutschen Bauunternehmen, später als Sekretärin in eine andere Firma. „Ich fühle mich völlig integriert hier, obwohl ich mich selbst als Russin empfinde“, sagt Jelisaweta.

Das andere Verfahren ist, einen Job zu finden, ohne seine Identität aufzugeben. Hier spielen Russischkenntnisse und Migrationserfahrung die Hauptrolle: Ausländerberater, Mitarbeiter von Call-Shops und russischen Läden, Journalisten bei russischsprachigen Medien.

Restaurants mit russischen Spezialitäten locken mit ihrem kaukasischen Schaschlyk, sibirischen Pelmeni, Borschtsch und dem traditionellen Kwas. „Kaviar, russischer Kaviar“, hört man von weitem.

Dabei richten sich die Geschäfte nicht nur an die in Berlin lebenden Russen, sondern auch an Deutsche, die eine Beziehung zu Russland haben. „Ich war jahrelang Russischlehrerin. Die Kultur ist mir deswegen auch sehr nah“, sagte Elfriede Rolf, Rentnerin und Fan russischer Spezialitäten. „Ich habe heute schon Borschtsch gegessen und bin angenehm satt geworden.“

Angst, als Fremder wahrgenommen zu werden

Wenn man über sehr gute Fremdsprachenkenntnisse verfügt – selbst, wenn man nicht besonders gut Deutsch spricht – kann auch das eine gute Voraussetzung sein. „Meine russische Frau arbeitet in einem Unternehmen. Sie kann sehr gut Englisch und die Arbeitssprache in der Firma ist Englisch. Hier fällt also niemand wegen seiner Aussprache auf, denn Englisch ist da für alle eine Fremdsprache“, erzählt Alexander (36), geborener Nürnberger.

Das wichtigste Problem der Russischstämmigen sieht Alexander darin, dass sie meist Angst haben, als Fremde wahrgenommen zu werden. „Ihnen scheint, es sei schlecht, wenn sie durch ihre Aussprache auffallen. Diejenigen Deutschen, für die das relevant ist, betrachten auch Deutsche, die aus anderen Bundesländern stammen und deren Deutsch ein bisschen anders klingt, als Fremde. Wollen wir deren Meinung überhaupt in Betracht ziehen?“
So spielen Sprachkenntnisse, das so genannte Vitamin B und natürlich viele andere Dinge eine Rolle bei der Suche nach einem Job. Das Wichtigste ist aber, sich selbst gut zu kennen, seine Vorteile herauszukehren, um seine Nische zu finden.

Die Autorin kommt aus dem russischen Barnaul und ist derzeit mit dem Programm Journalisten International in Deutschland.

Von Jekaterina Janzen

17/07/09

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