Als die kasachische Nationalelf Mitte Oktober im Wembleystadion aufspielte, war Bernd Storck für ein Spiel lang ihr Trainer. Der 44-jährige hatte seine Karriere als aktiver Profi beim VfL Bochum und bei Borussia Dortmund begonnen und musste sie mit 27 Jahren verletzungsbedingt beenden. Nach einer Trainerausbildung arbeitete er als Kotrainer von Jürgen Röber bei Mannschaften wie VfB Stuttgart, Wolfsburg, Borussia Dortmund und Hertha BSC.

/Bild: Ulrich Steffen Eck. ‚Bernd Storck: „Ich habe im Ausdauer- und Sprintbereich mit dem Laktat-Test angefangen, den kannten sie hier noch gar nicht.“’/

Wie kommt man als deutscher Trainer dazu, kasachische Fußballmannschaften zu trainieren? War Kasachstan eine bewusste Wahl?

Das geschah zufällig. Ein Agent von mir bekam Kontakt zum hiesigen Fußballverband und fragte, ob ich Lust hätte, ein Gespräch mit dessen Generalsekretär zu führen. Mit dem haben wir uns während der Europameisterschaft in Zürich und später in Wien getroffen, bevor ich nach Kasachstan eingeladen wurde. Ich habe gesagt, wenn es mir bei euch gefällt, dann bleibe ich direkt hier. Und ich bin direkt hier geblieben.Warum also gerade Kasachstan? Ich glaube, weil man alles, was man zu Hause gelernt hat, hier anwenden kann. Kasachstan ist gerade im Fußball ein Entwicklungsland. Kürzlich habe ich noch gesagt, dass wir 20 Jahre zurück sind. In Deutschland haben wir vor 20 Jahren mit der Leistungsdiagnostik angefangen.

Was war Ihre konkrete Aufgabe?

Zunächst habe ich die kasachische U 21 trainiert. Gleichzeitig hieß es: „O.K., wir haben nur noch zwei Qualifikationsspiele. Wir geben dir noch eine Mannschaft: Alma Ata. Du kannst da alles ausprobieren, was du dir vorstellst. Du bekommst alle Unterstützung, um diese Mannschaft wieder nach oben zu bringen.“ Was ich da noch nicht wusste, war, dass sie Vorletzte mit acht Punkten Abstand nach oben waren. Jetzt haben wir acht Punkte Abstand nach unten, das ist schon ein kleiner Erfolg. Wir stehen jetzt unter den 15 Erstligamannschaften an neunter Stelle. Mit der U 21 haben wir auch recht erfolgreich gespielt. Und daraufhin hat man mir ja auch die Nationalmannschaft gegeben.

Was können Sie zur Zusammenarbeit mit den Kollegen und Spielern vor Ort sagen?

Ich habe einen sehr guten, 27 Jahre alten Dolmetscher. Er hat sieben Jahre in Deutschland verbracht und unter Trainer Ralf Rangnick in Ulm in der zweiten Mannschaft gespielt. Er kann das, was ich als Trainer im Kopf habe, den Spielern auch sprachlich vermitteln. Mit Englisch allein kommt man hier nicht weiter. Das Klima an sich ist gut, nur dass man – außer hier in der Geschäftsstelle, wo fast alle englisch sprechen – immer den Dolmetscher dabei haben muss. Die Mentalität ist natürlich eine andere als in Deutschland, aber man muss die Leute so nehmen, wie sie sind und behutsam versuchen, sie zu lenken. Darin sehe ich meine Aufgabe, und bis jetzt hat das alles ganz gut geklappt.

Sie haben vor dem England-Spiel dem Tagesspiegel gegenüber geäußert, Angst hätten Sie als Deutscher sowieso nicht. Wie ist das zu verstehen?

Die meisten kleinen Mannschaften fahren nach England und verstecken sich. Ich als Deutscher bin da selbstbewusst. Die Deutschen haben in England bisher immer ganz gut gespielt. Ich habe den Spielern gesagt, dass sie keine Angst zu haben brauchen. Wir sind stark, auch wenn wir eine junge Mannschaft sind. Wenn man als Trainer schon Angst hat, dann lohnt es sich gar nicht erst hinzufahren.

Was sagen Sie zum 1:5-Resultat im Englandspiel?

Das Resultat ist vielleicht zu hoch ausgefallen. Aber von der Art und Weise, wie wir gespielt haben, war es sehr gut. Wir haben junge Spieler integriert. Für vier von ihnen war das gerade ihr erstes und für zwei ihr zweites Länderspiel. Und das war goldrichtig. Schade, dass am Ende die körperliche Fitness nicht ausgereicht hat. Wir hatten nur 14 Tage Zeit.
Man muss sich trauen, auch gegen einen Gegner wie England offensiv nach vorn zu spielen. Ich habe gesagt, wenn ihr Raum habt, nutzt ihn. Die englischen Journalisten haben hinterher gefragt: „Wie kann es sein, dass so ein Nuserbajew oder Kukejew unsere Abwehr in Schwierigkeiten bringt?“ Ich habe gesagt: „Weil sie gut sind!“ Die wollten natürlich etwas anderes hören, nämlich dass ihre Leute schlecht sind. Ich habe gesagt: „Nein, jeder gute Verteidiger auf der Welt bekommt Probleme mit den beiden. Weil die stark und auch technisch sehr gut sind.“ Ich kann das relativ gut einschätzen, weil ich weiß, wie stark Bundesligaspieler sind. Wenn du mit Tempo auf den Abwehrspieler zukommst und technische Klasse hast, dann kriegst du deinen Ball auch.

Welche spezifischen Potenziale und welche Probleme sehen sie für den kasachischen Fußball?

Zunächst sehr positiv ist, dass sehr gute Spieler im ganzen Land verteilt sind, darunter viele junge, entwicklungsfähige Leute. Man muss nur qualifiziert mit ihnen arbeiten. Als Problem sehe ich vor allem die Vereinsstruktur. Wir haben keine Leistungdiagnostik, keine richtigen Fitnesstherapeuten, keine Sportmediziner. Wir müssen gute kasachische Trainer auch mal ins Ausland schicken, damit sie sehen, wie jenseits der Grenzen gearbeitet wird, und das dort vorhandene Know how dann mit nach Kasachstan bringen. Damit kann die Qualität des Trainings – gerade im Fitnessbereich – gesteigert werden. Auch spezialisierte Trainer gibt es nicht. Zum Beispiel wäre ein Torwarttrainer vonnöten.

Ich glaube, dass der Verband hier schon eine neue Richtung eingeschlagen hat. Die wollen wirklich etwas tun. Wir haben vor sechs Wochen alle Trainer zu einer Fortbildung zur Leistungsdiagnostik zusammengeholt. Dafür war ein Spezialist aus Deutschland hier. Die Leute hier müssen verstehen, wie wichtig richtig dosiertes Training ist. Die trainieren hier noch nach dem Motto „jeden Tag Power“.

Wie finanziert sich der kasachische Fußball?

Das ist eines der großen Probleme hier. Es gibt ein Budget, und soweit ich informiert bin, finanziert das der Staat. Bei den städtischen Vereinen bekommen die Kommunen Geld vom Staat und geben das dann an die Vereine weiter. Wir sind ein Klub, der mit den Monatsgehältern einigermaßen im Zeitplan ist. Aber in zwei, drei anderen Vereinen sieht das anders aus. Astana liegt sechs Monate mit den Gehaltszahlungen zurück, dafür gab es jetzt auch Punktabzug.

Was verdient ein kasachischer Fußballprofi?

Das fängt bei etwa 500 Dollar an, geht über vier- bis fünftausend, bis zu den Bestverdienern mit etwa 7.000 Dollar. Das sind dann aber die älteren, etablierten Spieler bei den Toppmannschaften. Der Durchschnitt liegt bei 1.000 bis 2.000 Dollar. Das kann man natürlich nicht mit Deutschland vergleichen.

Sie sind aber mit ihrem Gehalt zufrieden?

(lacht) Na gut: Für meine Aufgaben werde ich schon ganz gut bezahlt.

Wie hoch ist denn in Kasachstan das Interesse am Fußball, der ja hier nicht unbedingt ein Nationalsport ist?


Ich glaube, die Leute kommen, wenn sie informiert sind. Sie bekommen einfach keine Informationen. Ich habe das auch den Presseleuten gesagt: „Ihr bemängelt, dass der und der nicht spielt; kommt doch einfach mal zum Training und guckt euch an, was wir machen!“ Ich habe einen Leistungstest gemacht, da kamen ein Kameramann und ein Fotograf. Kein Journalist hat mal gefragt, was wir machen und warum. Es scheint einfach an Interesse zu fehlen. Bei Spielen gegen Mannschaften wie die Ukraine ist ein Stadion woanders normalerweise ausverkauft. Auch das Andorraspiel war nicht wirklich gut besucht. Nach dem Englandspiel war die Berichterstattung erstaunlich umfangreich und positiv. Wahrscheinlich wird das Weißrusslandspiel dann besser besucht sein – vielleicht auch, weil Weißrussland und Kasachstan mal zum selben Land gehört haben. Die Resonanz ist da, die Leute sind hier so dankbar, wenn man mal aufs Tor schießt, das hat man gegen die Ukraine gemerkt.

Wie funktioniert denn die kasachische Liga?

Es sind 15 Mannschaften. Es waren mal 16, eine hat sich kaufen lassen und ist hinausgeworfen worden. Das ist Wostok, genau die Mannschaft, gegen die wir im Pokalhinspiel 2:2 gespielt haben. Also gab es früher 32 Spiele, jetzt sind es 30. Eine zweite Liga gibt es auch, die hat aber nur 14 Mannschaften und spielt eher auf Amateurniveau. Daneben gibt es noch ein paar inoffizielle Hobbymannschaften. Für so wenige Mannschaften gibt es aber einige ganz gute Spieler hier. Zumindest in Almaty wird auch der Jugendbereich gefördert.

Welche kasachstanischen Spieler haben das größte Potenzial?

Ich hatte ja schon Nuserbajew erwähnt. Kukejew im Fußballerischen auf jeden Fall. Er hat nur ab und zu noch Disziplinprobleme. Logwinenko von Aktobe ist ein guter Abwehrspieler. Das sind alles Spieler um die 21, 22, die sehr entwicklungsfähig sind. Der eine oder andere von ihnen könnte, wenn er noch die entsprechende Fitness hätte, auch in der deutschen Bundesliga spielen.

Gibt es in der Liga große Neigungen, ausländische Spieler einzukaufen?

Das ist eigentlich überhaupt kein Thema. Wir müssen vielmehr unsere Spieler ins Ausland schicken, damit sie internationale Erfahrungen sammeln. Sie müssen mal rauskommen aus Kasachstan, um sich weiter zu entwickeln. Zu uns kommen Spieler aus der russischen zweiten Liga oder solche, die dort in der ersten Liga nicht zum Zuge kommen. Und in Almaty könnten wir selbst die nicht bezahlen. Die können sich vielleicht Tobyl oder Aktobe leisten, die kleine Stadien und immer an die fünf- oder sechstausend Zuschauer haben. Wir in Almaty könnten das gar nicht über die Zuschauereinnahmen finanzieren.
Karpowitsch ist der einzige Nationalspieler, der im Ausland spielt, derzeit bei Dynamo Moskau.

War oder ist Doping ihrer Kenntnis nach ein Thema im hiesigen Fußball?

Nein, überhaupt nicht. Genauso wenig wie in westeuropäischen Ligen. Und dass Doping im Fußball ein Thema sein soll, habe ich auch noch nicht gehört.

Wer sind die traditionellen Topmannschaften der ersten kasachischen Liga?

Da wären Tobyl und Aktobe. In dieser Saison sind auch Irtysch und Kairat sehr stark. Das sind die Top Vier, wobei Aktobe eigentlich fast immer den Meister holt, dicht verfolgt von Tobyl. Da ist auch der Anteil erfahrener ausländischer Spieler sehr hoch.

Wer wird Trainer der kasachischen Nationalelf?

Ich kann beim besten Willen nicht sagen, was man diesbezüglich vorhat. Meine Aufgabe war jetzt erst mal, die Mannschaft auf das Englandspiel vorzubereiten. Ansonsten haben wir ja mit der U 21 und Alma Ata viel vor. Das geht ja alles sehr schnell hier. Ich bin ja auch überrascht worden von der Frage: „Bernd, hast du Lust, das zu machen?“ Da muss man abwarten, da gibt es keine Option, von der ich wüsste. Das nächste Spiel wird das gegen Weißrussland am ersten April sein.

Das Interview führte Ulrich Steffen Eck.

07/11/08

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