Dass es das noch gibt – das Fräulein. Schon seit zehn Jahren ist mir das nicht mehr passiert und nun innerhalb von wenigen Tagen ganze zwei Mal – dass ich mich als Fräulein ansprechen lassen darf. Ehrlich gesagt, hatte ich diese Anrede nicht wirklich vermisst, aber jetzt, da sie schon mal auftaucht, möchte ich nicht, dass das Fräulein ausstirbt.

Damals war es mein Diplombetreuer, der mich zum Fräulein machte. Da es zugleich mein Lieblingsdozent war, durfte er das auch. Und da er zu meiner Diplomverteidigung mit Fliege und kleinem gestutzten Blumensträußchen erschien, passten sie ungemein zueinander – das Fräulein und mein Diplombetreuer. Aus seinem Munde klang das stilvoll. Wer das Wort Fräulein benutzt, der hat auch sonst Würde und Stil. Der nimmt es genau, differenziert und würdigt alle möglichen Formen des Daseins. Alles wird so benannt, wie es ist und sich gehört. Fehlt nur noch der Chapeau und Spazierstock und schon fühlt man sich in alte Zeiten zurückversetzt: „Wertes Fräulein, wären Sie so gut…“ Ach ja, damals! Und heute?
Das Fräulein als Kategorisierung von „jung und noch unverheiratet“ ist aus der Mode geraten. Es verliert sich inmitten unzähliger Varianten aus Altersklassen und Heiratsabsichten: will sowieso nie; will erst nach den ersten Kindern; will erst nach 30; will erst nach 8 Jahren Partnerschaft. Auch das Heiratsvermögen – will, kriegt aber keinen ab; könnte, will aber nicht – spielt eine wichtige Rolle.
Ich bin nicht mehr ganz jung; zwar nicht verheiratet, aber manche eheähnliche Partnerschaften kann ich vorweisen; für Kinder ist es noch nicht ganz zu spät; im Berufsleben bin ich eine gestandene Frau, aber in der Selbständigkeit noch relativ jung… Na, dass mich meine jungen Nachbarn siezen, kränkt mich fast und zeigt mir, dass meine potenzielle Fräulein-Zeit längst vorbei ist. Aber auch in Bezug auf andere Frauen ist mir das „Fräulein“ nie wieder begegnet. Bis vor kurzem. Da wollte ich meine Reisen ins europäische Ausland buchen, eine Unterkunft in Luxemburg, einen Flug nach Island. Und beim Ausfüllen des Formulars sollte ich bei der Anrede wählen zwischen „Fräulein“, „Frau“ und „Herr“. Wie amüsant!
Aber was heißt das nun eigentlich? Da lässt sich wild spekulieren: Heißt das, dass die Luxemburger und Isländer konservativer und spießiger sind als wir Deutschen, dass für sie der Familienstand wichtig ist, ob man als Frau verheiratet ist oder nicht? Aber selbst wenn, wieso sollte man das in Formularen angeben müssen? Oder sind sie gar nicht spießig, sondern das Heiratsverhalten der jungen Frau ist an sich noch so, dass es dort das ganze Patchworkdurcheinander nicht gibt und das „Fräulein“ eine berechtigte Repräsentanz und Klassifizierung hat? Oder aber ist es verfehlt, das Fräulein in Luxemburg und Island zu suchen? Vielleicht gab es dort nie Fräuleins, und sie sind dort nur interkulturell geschult und geben den deutschen Fräuleins unter den Touristen die Chance, sich ordnungsgemäß anzumelden, im Sinne einer Kundenorientierung? Dann hätten sie lediglich verpasst, dass auch wir Deutschen nicht mehr im 20. Jahrhundert leben. Und wir müssten uns fragen, wieso in anderen Ländern immer noch nicht bekannt ist, dass es in unserem Familiensystem drunter und drüber geht und welches Bild die anderen Europäer von uns haben.
Alles interessante Varianten, denen man nachgehen sollte, um das Dasein des Fräuleins in isländischen und luxemburgischen Formularen zu ergründen. An dieser Stelle bedaure ich, dass ich keine Sprachwissenschaftlerin oder so was bin, sonst würde ich dem Fräulein im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie in aller Ruhe und ausgiebig nachspüren können, ohne dafür Geschäftsausfälle hinnehmen zu müssen. Ob ich damit das Aussterben des Fräuleins verhindern könnte, bezweifle ich zwar. Aber manches muss eben erst sterben, bevor es Bedeutung und Anerkennung erlangt – zum Beispiel in Form einer 300-seitigen wissenschaftlichen Abhandlung. Ich denke, ich würde das Werk meinem Diplombetreuer widmen.

13/06/08

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