Die Stalin-Architektur prägte auch das sowjetische Alma-Ata. Eine der Bauten erinnert besonders an den „Zuckerbäckerstil“, mit dem die Nachfolger später brachen.

Wer Almaty zu Fuß erkundet, wird sicher früher oder später auf einen gewaltigen, säulengeschmückten Prunkbau stoßen, für ein paar Minuten innehalten und ehrfürchtig der Gebäudefassade folgend nach oben blicken. Dieses riesige Gebäude mit seinen acht gewaltigen Säulen beherrscht jenen Platz, der unter der Bevölkerung als der „Alte Platz“ bekannt ist. Es ist ein bedeutendes Zeugnis aus der Zeit der Stalin-Architektur.

Noch in den Jahren, als die Stadt Werny hieß und der Platz als Kasernenplatz bekannt war, entstand an diesem Ort die Aleksejewski-Militärkathedrale, die Kathedrale des 20. Metropolit-Aleksej-Schützenregiments des Gouvernements Turkestan.

Vorrevolutionäre Bauten müssen weichen

Ab 1921, als die Bolschewiken schrittweise die Macht in Zentralasien an sich zogen, wurde das religiöse Leben in der Aleksejewski-Kathedrale verboten und der Platz von nun an Roter Platz genannt. In den späten 1920er und 1930er Jahren wurden sämtliche Repräsentativbauten aus vorrevolutionären Zeiten abgerissen und neue Verwaltungsgebäude entstanden im Rahmen des ersten Fünfjahresplans rund um den Platz.

1929 wurde Alma-Ata zur Hauptstadt der erst wenige Jahre zuvor gegründeten Kasachischen Autonomen Sowjetrepublik. Dessen erste Regierung zog in einen zwischen 1929 und 1931 errichteten Neubau auf der südlichen Seite des Platzes. 1936 schied die Kasachische ASSR aus der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik aus und wurde eine selbstständige Unionsrepublik innerhalb der Sowjetunion. Mit der Errichtung einer 12 Meter hohen Statue Wladimir Lenins fand 1957 bereits die zweite Umbenennung des Platzes statt – er hieß von nun an Leninplatz.

Stalin-Architektur im Zuckerbäckerstil

Die Nachkriegszeit und die frühen 1950er Jahre waren in der Sowjetunion geprägt von stalinistischer Prunkarchitektur. In Moskau und vielen anderen sowjetischen Metropolen wurden gewaltige Gebäude im Stil des sozialistischen Klassizismus hochgezogen, auch bekannt als Zuckerbäckerstil. Auch in Alma-Ata entstand bis 1957 ein gewaltiges neues Gebäude an der Nordseite des Leninplatzes, das der Regierung der Teilrepublik als zweiter Amtssitz diente. Wer die sogenannten sieben Schwestern im Moskauer Zentrum kennt – sieben gewaltige Hochhäuser im Stil des sozialistischen Klassizismus–, wird sich beim Anblick des Neubaus unweigerlich an Stalins Architekturfantasien erinnert fühlen.

Die schwere Fassade; die acht massiven Säulen, die ein gewaltiges Portal über der Eingangstreppe und den schweren hölzernen Eingangstüren stemmen; weite, ausufernde Treppenaufgänge und Auffahrten – all diese Elemente im Zusammenspiel wirken einschüchternd auf den Betrachter. Weite Freiräume um das Gebäude herum lassen es noch grandioser, bedrohlicher und unnahbarer wirken. Details wie die zahlreichen kunstvoll geschwungenen Laternen um das Gebäude herum sorgen für den gewissen Prunk stalinistischer Architektur. Alles war in genau dem Stil, den Stalins Ideologie nach dem gewonnenen Zweiten Weltkrieg für die Sowjetunion und seine proletarischen Sowjetmenschen vorgesehen hatte.

Sowjetunion nach 1953: Weniger Stalin-Architektur, weniger Prunk

Josef Stalin selbst starb bereits 1953. Sein Nachfolger an der Spitze der Sowjetunion Nikita Chruschtschow erklärte in einer Geheimrede auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahr 1956 die Entstalinisierung zur neuen Parteilinie. Der Stalinismus verschwand langsam, und somit auch Stalins Zuckerbäckerstil. Das neue, 1957 fertiggestellte Gebäude der Regierung der Kasachischen SSR war vermutlich eines der letzten stalinistischen Großbauten der Sowjetunion.

Die Stadtplaner der 1970er sahen für Alma-Ata neue Hauptverkehrsachsen und einen neuen Hauptplatz vor. 1980 wurde etwas weiter südlich der Breschnew-Platz mit neuen, modernen Wohnkomplexen und administrativen Gebäuden eröffnet. Der ehemalige Leninplatz wurde somit schlicht zum „alten Platz“. Die Regierung der Kasachischen SSR verblieb bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 in jenem stalinistischen Großbau am alten Platz.

Good bye, Lenin

Inzwischen erlangte Kasachstan die Unabhängigkeit, die Regierung der Kasachischen SSR existierte nicht mehr, Astana wurde zur neuen Hauptstadt des Landes. Und auch Wladimir Lenin wurde vom alten Platz abmontiert und in eine wenig besuchte Parkanlage geschafft. Es soll die Idee des ersten Präsidenten Kasachstans Nursultan Nasarbajew auf einer Reise nach Großbritannien gewesen sein: 2001 entstand auf Grundlage eines bilateralen Abkommens die Britisch-Kasachische Technische Universität.

Das ehemalige Regierungsgebäude auf dem alten Platz diente als Hauptsitz. Seitdem entwickelte sich diese englischsprachige Hochschule mit exzellenten Kontakten in die kasachische und internationale Geschäftswelt zur Kaderschmiede für zukünftige Geschäftsleute. Das vorerst letzte Kapitel des alten Platzes begann 2017. Nach einer großangelegten Neugestaltung des Platzes trägt dieser seitdem den Namen Astana-Platz – Platz der Hauptstadt.

Philipp Dippl

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