Alle feiern Karneval, nur ich nicht. Das heißt, es ist ein bisschen differenzierter. Es gibt die, die mit Leib und Seele feiern und sich auf den Straßen, in den Kneipen, bei den Zügen tummeln. Dann gibt es die, die nicht feiern wollen und sich am Meer, in den Bergen, in den Wäldern tummeln. Und schließlich haben wir diejenigen, die nicht feiern wollen, aber dableiben und sich in ihren Wohnzimmern, Kellern oder Schrebergärten tummeln.

Ja, und ich bilde nun eine vierte Kategorie: Ich will feiern, kann aber nicht und würde deswegen gern wegfahren, um nicht traurig und neidisch den Feiernden zusehen zu müssen. Wegfahren geht aber auch nicht, und jetzt weiß ich gar nicht, wo ich mich tummeln soll, saublöd! Und alles nur wegen einer kaputten Schulter. Hätte ich wenigstens Grippe oder irgendetwas anderes, was die Feierlaune bereits im Keime erstickt. Dann ist man zwar krank, aber nicht traurig.

Wenn aber nur die Schulter lädiert ist und sich der Rest des Körpers bereits seit Wochen munter zum Takt der Karnevalsmusik wiegt, dann muss man einfach weinen. Ich tüftel schon seit Tagen an Schonmanövern, wie man Karneval feiern kann, ohne die Schulter hinzuhalten. Bisher fällt mir keine Lösung ein. Denn die Schulter an sich ist im Karneval das wichtigste strukturbildende Element. Bei der Polonaise packt einem gern mal ein Wikinger oder Pirat mit seinen großen Pranken auf die Schultern, da gehören sie auch unbedingt hin.

Beim Schunkeln reißt man sich gegenseitig fast die Arme aus den Schultergelenken oder – wenn man aus dem Takt gerät – rummst man mit voller Wucht mit seiner Schulter gegen die der Schunkelnachbarn. Ständig wird man von wildfremden Menschen beziehungsweise von Hasen, Indianern, Matrosen oder Zwergen umarmt, wobei naturgemäß die Schultern gepresst werden. Die Clowns bahnen sich ihren Weg durch die Menge, indem sie andere sanft oder unsanft an den Schultern auseinanderdrücken.

Natürlich haut man sich auch im Karneval gerne einmal vor lauter Freude und Übermut auf die Schulter. Und bei den Umzügen werden einem die harten Pralinenpackungen ins Auge gepfeffert oder auf die – na, wohin? – genau: die Schulter. Aua! Schon beim Gedanken an diese Szenarien kreischt meine Schulter laut auf. Ach ach, ich bin schon arg gebeutelt.
Ich versuche mich damit zu trösten, dass der Veedelszug an meinem Häuschen vorbeizieht. Denn wenn der Prophet nicht zum Berg geht, was in diesem Fall der Karneval ist, kommt der Berg eben zum Propheten, was in diesem Fall ich bin. Und ich könnte meine Schulter im Turm schützen. Aber wenn ich mir das weiter vorstelle, ist dies ganz und gar nicht tröstlich, denn ich will nicht wie die Prinzessin auf der Erbse … nee, das war ein anderes Märchen… Dornröschen oder Rapunzel in ihren Türmen oder Julia auf ihrem Balkon sein, sondern mich mit einem großen Juhuu und Alaaf in die Menge stürzen.

Nur ein bisschen Karneval feiern geht eben nicht, ganz oder gar nicht. Ach ach, manchmal hilft eben alles nichts: Dieses Jahr wird die Karnevalszeit für mich der absolute Horror, und es gibt nichts, rein gar nichts, was dies lindern könnte!

Julia Siebert

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