Es gibt einfachere Methoden, um den eigenen Kreislauf anzuregen. Die kulturelle Gepflogenheit des Eisbadens ist nur etwas für Hartgesottene. Vor allem in Russland gibt es für dieses, hauptsächlich in Gemeinschaft ausgeführte Ritual, eine große Anhängerschaft. Das hat vor allem religiöse Gründe.

Die meisten Menschen reagieren verständlicherweise mit Scheu und Abwehr. Schließlich kostet ein Sprung in Eiswasser maximale Überwindung. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb sich passionierte Eisbadende in Gruppen organisieren, damit es nicht allzu schwer fällt. So auch in Russland. Anhänger finden hier natürlich optimale Bedingungen vor: Die Temperaturen im Winter liegen bei etwa – 10 Grad Tagestemperatur, da bietet es sich an, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen. Doch das ist nicht der Hauptanreiz: Der Tag der Taufe Jesu ist nach dem orthodoxen Kalender der 19. Januar. In der Nacht auf das besagte Datum weihen, so ist es Tradition, die Priester die Gewässer in Russland. Wer den Mut aufbringt, in das kalte Wasser zu springen, wird von allen Sünden befreit, heißt es.

In vielen Teilen des Landes gibt es sie, die sogenannten Morschis (dt. Walrösser): Diese Religionsgemeinschaft, die sich die „Union der Walrösser“ nennt, meint es ernst. In Gruppen trainieren Männer und Frauen für den großen Tag. Dabei ist Alkohol tabu, sportliche Disziplin ist von großer Wichtigkeit. Ist der Tag gekommen, dann trägt es sich zu, dass die Menschen sich in lange Schlangen einreihen, um zu den „Taufbecken“ vorgelassen zu werden. Die Becken sind oft nur durch ins Eis geschlagene, kreuzförmige Öffnungen zugänglich. Auch Kinder nehmen schon an den Riten teil. Diese Art der Zeremonie ist mittlerweile gleichsam Brauchtum wie Konsum. Auf dem Festival „Russischer Winter“ kann man abseits des eisigen Treibens, auf dem angrenzenden Weihnachtsmarkt Volkskunst erwerben. Der ursprüngliche Gedanke, dass Christen durch dieses Ritual ihr hohes Maß an Glaubenstreue unter Beweis stellen, ist nicht mehr alleiniger Grund. Dass religiöse Motive nicht mehr der Hauptanlass sind: Allein 2015 tauchten 1,5 Millionen Russen in das kalte Nass und stärkten dabei ihre Gesundheit.

Allerdings ist auch Vorsicht geboten: Für Ungeübte kann der beherzte Sprung gefährlich sein. Vor allem ältere Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen sollten besser verzichten, mahnen Ärzte.

In anderen Ländern ist das eisige Baden weniger verbreitet. In Deutschland ist der Sprung ins Kalte wenig religiös motiviert, die Zahl der Mutigen liegt bei etwa 2.000-3.000 Eisschwimmern pro Jahr.

Kai Wichelmann

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