Die grundlegenden Fragen der Spätaussiedler sind geklärt, meint Rechtsanwalt Hans-Werner Krempels. Dafür sieht der Experte für Auswanderer-Recht wirtschaftliches Potenzial für die neue Generation der Russlanddeutschen – vor allem beim Brückenschlag zwischen Deutschland und Kasachstan

DAZ: Herr Krempels, woher rührt Ihr Interesse an den Russlanddeutschen in Kasachstan?

Krempels: Ich bin selbst Siebenbürger Sachse, ein Aussiedler der älteren Stunde. Meine Eltern sind in Rumänien geboren, und ich habe bis zu meinem 23. Lebensjahr da gelebt. Ich denke, deshalb habe ich ein bestimmtes Feeling für dieses Thema. Ich selbst hatte bestimmte Integrationsprobleme und empfinde eine Art Schicksalsgemeinschaft. Der zweite Beweggrund war mein Interesse als Jurist an juristischen Problemen, angefangen von Vertragsgestaltung im wirtschaftlichen Bereich bis zu den Problemen der Anerkennung als Spätaussiedler.

DAZ: Warum ist Ihr anfängliches Interesse an wirtschaftsrechtlichen Fragen in ein Interesse an den juristischen Problemen der Russlanddeutschen umgeschlagen?

Krempels: Im Laufe der Zeit konzentriert man sich auf ein klar absteckbares Feld. Durch die zahlreichen Auswanderer zeigten sich schnell die Probleme, die diese Ökumene sowohl in Deutschland als auch im eigenen Land hatte. Das Deutsche Haus in Almaty bildete von Anfang an ein Zentrum, einen Punkt, in dem sich Beratung konzentrierte und zum Beispiel auch Spätaussiedler aus Karaganda einen Anlaufpunkt hatten. Hier haben wir meist die Grundsatzprobleme geregelt. Aber ich trenne zwischen der öffentlichen und der humanitären Tätigkeit, die zum Beispiel Möglichkeiten der Vertragsgestaltung in Deutschland und das Steuerrecht allgemein aufzeigt.

DAZ: Kann man das deutsche Steuerrecht allgemein erklären?

Krempels: Es ist schwierig, aber es gibt Eckpunkte, die im wirtschaftlichen Prozess als Leitfaden dienen können, zum Beispiel die Mehrwertsteuererstattung bei Import- und Exportgeschäften oder die Nichtveranlagung von Mehrwertsteuer bei Auslandsdienstleistungen. Wenn allerdings ein Mandat erteilt wird, hört die allgemeine Beratung auf, und es entwickelt sich ein Geschäft. Das ist auch der Punkt, an dem die Vereinstätigkeit aufhört.

DAZ: Was meinen Sie mit Vereinstätigkeit?

Krempels: Wir haben hier den neuen russlanddeutschen Wirtschaftsverband gegründet, und es gibt das Deutsche Haus und die „Wiedergeburt“, die verschiedene Informationsveranstaltungen organisieren. Früher waren die Säle voll, wenn man über Staatsangehörigkeitsrecht oder die Gründungsmöglichkeiten einer GmbH in Deutschland geredet hat. In den zehn Jahren, die ich jetzt hier bin, sind aber schon mehr als eine Million Menschen aus Kasachstan weggegangen. Das spürt man. Heute schlägt man Brücken in den kasachischen Raum.

DAZ: Sie meinen von deutscher Seite?

Krempels: Ich trenne eigentlich immer zwischen der deutschen und der russlanddeutschen Seite, die eine Art kompaktes Sozialsystem darstellt. Aber ich plädiere auch dafür, dass unsere deutschen Unternehmen hierher kommen, was bisher schwierig ist, weil in Deutschland Kasachstan immer etwas Nebulöses ist. Man hat diese Islamstaaten im Kopf und denkt, da laufen überall Terroristen rum, da gehe ich nicht hin. In dieser Hinsicht versuche ich, auf deutscher Seite aufzuklären.

DAZ: Haben die Russlanddeutschen in Kasachstan, Ihrer Meinung nach, wirtschaftliches Potential für deutsche Unternehmen?

Krempels: Die Immigration der Spätaussiedler nach Deutschland hat immer schon einen Feedback-Prozess erzeugt. Wir haben früher immer von der Brücke gesprochen, die die deutschstämmigen aus den Oststaaten zurück zu ihren ehemaligen Staaten schlagen. Natürlich lohnt sich diese Schiene, denn sie ist es, die den Weg zwischen verschiedenen Wirtschaftskreisen verkürzt.

DAZ: Also sind die Russlanddeutschen eine bessere Chance für deutsche Unternehmen als die Kasachstaner?

Krempels: Diese Tür wäre leichter aufzumachen, weil man in einen zum Teil vertrauten Raum eintritt. Zum einen wegen der Sprache, zum anderen wegen der Mentalität. Deshalb ist der deutsche Unternehmerverband als Lobby-Organisation wichtig. Hier herrscht bisher eher Einzelkämpfertum, doch mittlerweile wächst die Erkenntnis, dass trotz Konkurrenz eine Interessengemeinschaft besteht, sowohl gegenüber dem Staat als auch im gesamten Wirtschaftsraum. Man konkurriert ja mit Unternehmern aus China und den anderen Ländern hier, aber auch mit westlichen Ländern, wo man Märkte sucht, für die man aber auch die Märkte öffnet.

DAZ: In welchem Verhältnis steht Ihr humanitäres Engagement gegenüber den harten wirtschaftlichen Aktivitäten?

Krempels: Humanitäres und wirtschaftliches Engagement halten sich die Waage. Auf der einen Seite steht die professionelle Tätigkeit zum Beispiel für den deutschen Wirtschaftsverband und für Privatleute, die ab einem bestimmten Zeitraum nicht mehr unentgeltlich ist. Diese Schere geht zunehmend auseinander. Während die Arbeit für Aussiedler immer weniger wird, nimmt die für Unternmehmen zu. Aufgrund der weiter sinkenden Aussiedlerzahlen und der weitgehend geklärten juristischen Probleme verlagert sich der Schwerpunkt.

DAZ: Heißt das, dass Sie sich jetzt ganz bewusst stärker im wirtschaftlichen Bereich engagieren?

Krempels: Die Aussiedler sind mein Steckenpferd. Aber die meisten juristischen Probleme sind entschieden. Nicht nur die Aussiedler sind objektiv weniger geworden. Reell nehmen die juristischen Probleme ab, weil sie durch das Bundesverwaltungsgericht weitestgehend geklärt wurden. Und wenn man nicht nur der Samariter sein will, heißt das, jetzt muss man ein zweites Standbein aufbauen. Die Spätaussiedlerproblematik wird irgendwann irrelevant sein. Meiner Meinung nach sind wir am Ende des Prozesses angelangt. Dafür ist auf der wirtschaftlichen Seite ein massiver Bedarf an Beratung da. Man darf sich nicht in eine Sackgasse manövrieren bis die Quelle, von der man sich bisher genährt hat, versiegt.

DAZ: Mehr als eine Million Russlanddeutsche sind bereits nach Deutschland gegangen. Ist das für Sie in Deutschland ein potenzielles Arbeitsfeld?

Krempels: Wir arbeiten bereits auf diesem Gebiet. Aber es gibt jetzt in Deutschland schon sehr viele Unternehmen, die sich auf Russlanddeutsche spezialisiert haben. Und es existiert eine ganz neue Generation russisch sprechender Anwälte in Deutschland, die Generation, die vor 15 Jahren nach Deutschland kam und jetzt beim zweiten Staatsexamen angekommen ist. Ich selbst hatte bereits drei russlanddeutsche Referendare in meiner Kanzlei.

DAZ: Machen sich die Russlanddeutschen etwas vor, wenn sie nach Deutschland wollen?

Krempels: Es gibt zwei Motive für die Zuwanderung oder die Rückkehr nach Deutschland. Erstens die Zugehörigkeit, die in der Diaspora viel intensiver gelebt wird, aufgrund der Sprache, der Anfeindungen oder der Deportationen. Das schuf eine bestimmte Bindung zu dem Volksstamm, der immer „nach Hause“ wollte. Die zweite ausschlaggebende Motivation ist das – wenn auch nur subjektiv empfundene – Wohlstandsgefälle, die bis heute wirkt. Deshalb gibt es dann auch die massiven Probleme für die Menschen, die in einen völlig anderen Kulturkreis kommen, als der, den sie gekannt haben. Aber die Integrationsprobleme sind nicht so groß, wie sie in den Medien immer dargestellt werden. Die Kriminalität, beispielsweise, und das ist durch Statistiken bewiesen, ist prozentual nicht höher als bei Einheimischen oder anderen Zuwanderern. Das Problem ist, der Personenkreis wird anders wahrgenommen, weil er eine Besonderheit darstellt.

DAZ: Welche Probleme sind es in Ihren Augen, die die Russlanddeutschen in Deutschland haben?

Krempels: Drogen, Sprachprobleme und finanzielle Mittellosigkeit sind die größten Probleme für Russlanddeutsche in Deutschland. Meiner Meinung nach war es einer der größten Fehler der Politik, die Mittel für Maßnahmen zur Integration zu reduzieren. Früher bekamen Spätaussiedler Arbeitslosengeld statt Sozialhilfe – psychologisch wichtig, weil sie dadurch als potenzielle Arbeitnehmer eingestuft wurden und ein größeres Selbstbewusstsein entwickeln konnten. Es gibt Probleme der jungen Generation, die sich zunächst erst einmal fremd fühlt und entsprechend reagiert. Es gibt das Gewaltproblem gegenüber Frauen, das hier so nicht existiert und in Deutschland nur schwer lösbar ist.

DAZ: Meinen Sie, dass Gewalt gegenüber Frauen in Kasachstan nicht als Problem wahrgenommen wird?

Krempels: Ja, der Mann pflegt hier einen Umgang mit Frauen, den wir in Deutschland nicht verstehen und vollständig ablehnen. Es gibt ein grausames Sprichwort: „Eine nicht geschlagene Frau ist wie ein nicht geschmückter Weihnachtsbaum“. Und die Frauen sagen wiederum, ein Mann, der mich nicht schlägt, ist kein Mann. Diese andere Mentalität fällt in Deutschland auf. Während hier der „Griff an den Rocksaum“ von der Gesellschaft als Neckerei empfunden wird, kann daraus an einem Gymnasium in Deutschland eine Verurteilung werden.

DAZ: Raten Sie den Ratsuchenden auch manchmal, lieber in Kasachstan zu bleiben?

Krempels: Ich überlasse das jedem selbst. Ich sage ihm, was auf ihn wartet. Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung nicht sagen „versuch’s nicht“, aber ich sage, „halte die Tür hinter Dir offen, der Schock, der Dich erwartet, wird so gewaltig sein, das es Dich womöglich zurückverschlägt oder dass Du unglücklich wirst“. Aber die Erfahrung muss man gemacht haben, sonst hat man ein Leben lang Selbstzweifel. Die Leute entscheiden schließlich selbst. Manche haben seit zehn Jahren den Schein in der Tasche und sind immer noch hier, manche kommen zurück, und manche können nicht zurück, obwohl sie wollen.

DAZ: Sehen Sie sich als Vorreiter, der vor allen anderen erkannt hat, dass man in Kasachstan auch Geld verdienen kann?

Krempels: Mit Sicherheit. Ich bin zwar anfangs aus anderen Gründen gekommen, aber die Beziehungen haben sich auch in wirtschaftlicher Hinsicht entwickelt. Und wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!

Hans-Werner Krempels ist Rechtsanwalt und betreibt in Freiburg im Breisgau eine Kanzlei. Seit zwölf Jahren engagiert er sich in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Haus in Almaty für die rechtlichen Probleme der Russlanddeutschen. Etwa zwei bis drei Mal jährlich ist er in Kasachstan und führt hier zum Teil unentgeltliche Beratungen in Aussiedlerfragen durch.

Das Gespräch führte Edda Schlager

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