Ulrich Becks Buch „Was zur Wahl steht“ räumt mit den wirtschaftlichen Lösungsstrategien der Berliner Republik auf und plädiert dabei für eine kosmopolitische Zukunft des Landes. „Deutschland muss sich neu erfinden“ schreibt Beck pünktlich zu den Bundestagswahlen.

Ulrich Becks Buch „Was zur Wahl steht“ räumt mit den wirtschaftlichen Lösungsstrategien der Berliner Republik auf und plädiert dabei für eine kosmopolitische Zukunft des Landes. „Deutschland muss sich neu erfinden“ schreibt Beck pünktlich zu den Bundestagswahlen.

Seit dem 21. Juli, als Horst Köhler sich im Fernsehen an die deutsche Nation wandte, sind Neuwahlen sicher. In seiner Ansprache gab der Bundespräsident dem Wahlvolk eine Botschaft mit. „Nun liegt es an Ihnen“, sagte er, und meinte damit, dass die Deutschen im Herbst entscheiden sollen, welchen Weg ihr Land in Zukunft verfolgen soll. Sie sollen eine „Wahl“ treffen.

Zu dieser Wahl hat Ulrich Beck bereits das passende Buch vorgelegt: „Was zur Wahl steht“ heißt es. Der weltbekannte Soziologe – er lehrt in München und an der London School of Economics and Political Science – hat sich bereits einen Namen mit Büchern „Was ist Globalisierung?“ und „Der kosmopolitische Blick“ gemacht. Was aber treibt einen international anerkannten Wissenschaftler dazu, in die Niederrungen des nationalen Wahlkampfs hinabzusteigen? Vielleicht sogar für das eine oder andere Lager Partei zu ergreifen?

Die Antwort ist, dass Beck genau das nicht tut. In der Botschaft liegt der Autor mit dem Bundespräsidenten zwar auf einer Linie – auch er denkt, dass es an den Deutschen liegt, eine Wahl zu treffen – doch diese Wahl ist eine fundamentale, die weit über das einfache Wählen einer Partei hinausgeht. Es ist die Wahl zwischen dem krampfhaften Festhalten an Märchen wie der Vollbeschäftigung und der Macht natio-nalstaatlicher Politik und dem Anerkennen, dass die Welt sich geändert hat, und dass Deutschland sich radikal neu erfinden muss, wenn es in dieser Welt bestehen will.

Um ein passendes Bild für dieses Gefühl des „Nicht-wahr-haben-wollens“ zu finden, hat Beck bei dem wohl berühmtesten deutschen Parabelerfinder nachgeschlagen: Franz Kafka. Gefunden hat er Gregor Samsa, die Hauptfigur der Erzählung „Die Verwandlung“. Darin schildert Kafka die Verwandlung eines Mannes, eben jenes Gregor Samsa, in einen Käfer. Wie Samsa, so zieht Beck nun den Vergleich, ist auch Deutschland über Nacht verwandelt worden. Der nach dem Fall der Mauer entfesselte Kapitalismus hat sich neue Spielregeln geschaffen, der die Welt in ihren Grundfesten umgestaltet. Wie Samsa sehen auch die Deutschen, dass diese Entwicklung auch sie verändert hat. Und wie Samsa weigern sie sich, diese Veränderung anzunehmen und danach zu handeln, also die Chancen zu entdecken, die sie ihnen bietet.

Diese Weigerung ist – und hier stellt Beck allen politischen Parteien kein gutes Zeugnis aus – auch die Schuld der Politik. Im Wesentlichen sei diese daran gescheitert zu erkennen, dass sie die Kontrolle über die Wirtschaft verloren hat. Noch immer gaukelt sie den Wählern vor, Vollbeschäftigung – also das Ende der Arbeitslosigkeit – sei möglich, wenn es nur genug Wachstum gebe. Weitgehend konzeptlos verlangt sie dem Einzelnen Opfer ab, um Sozialabgaben und Steuern zu senken und das Land so wieder attraktiv für Investitionen zu machen.

Beck wischt diese Ideen als Illusionen vom Tisch, die nur darüber hinwegtäuschen sollen, dass die Politik schon längst ihre Gestaltungsmacht verloren hat. Er entlarvt die Lebenslüge der Neoliberalen, nach deren Auffassung man die Steuern und Abgaben nur weit genug senken müsse, um wieder Wachstum und Arbeit zu schaffen. Denn wie soll ein Land in einer Welt, in der das Kapital so beweglich ist, den Wettlauf um die günstigsten Rahmenbedingungen je gewinnen? Es wird immer einen noch billigeren Produktionsstandort geben.

Gleichzeitig können immer weniger Menschen immer mehr Waren herstellen. Das Ende der Erwerbsgesellschaft kündigt sich an, in der die Arbeitskraft der Mehrheit nicht mehr gebraucht wird. Die Politik jedoch hat diesen Wandel verschlafen. Schlimmer noch: Sie verschließt weiter die Augen vor ihm. Für eine unionsgeführte Bundesregierung stellt sich, so Beck, demnach eigentlich nur noch eine Frage: „Wie steigert man scheitern?“

Becks Analyse der gegenwärtigen Lage ist nicht neu, doch in dieser Dichte ist sie beeindruckend, genauso wie die pointierte Rede, mit der er sie vorbringt. Überzeugend stellt er den Weg dar, der von der totalen Herrschaft des Kapitals über die demokratischen Gemeinwesen der Welt zur wachsenden Verarmung der Bürger und damit einer neuen Totalitarismus-Gefahr führt. Eine freiheitliche Gesellschaft, so Beck, braucht Vertrauen und Sicherheit, sonst suchen die Menschen ihr Heil wieder in den trügerischen Versprechen der Diktatur. Jedoch verbreitet er nie Pessimismus, sondern versteht es, mit seiner Begeisterung für eine kosmopolitische Zukunft Mut zur Veränderung zu verbreiten. Dass er hin und wieder eine Breitseite Ironie gegenüber der Politik einer Angela Merkel und eines Gerhard Schröder abschießt, erfrischt die Lektüre umso mehr.

Nur auf einem Weg, das macht Beck in seinem Buch deutlich, kann die Demokratie diesem Schicksal entrinnen und gleichzeitig ihre Gestaltungsmacht wiedergewinnen: durch internationale Kooperation. „Das Land braucht einen Perspektivwechsel, einen Horizontwechsel“, schreibt Beck und meint, dass die Deutschen nur vereint mit den anderen europäischen Nationen wieder ihre Handlungsfähigkeit erlangen können – dann nämlich, wenn sie durch ihre vereinte Verbraucher- und Nachfragemacht die Wirtschaft dazu zwingen, einen neuen globalen Vertrag zu unterzeichnen, mit verbindlichen Spielregeln für alle. Wie in Kafkas Märchen, so hofft Beck, werden die Deutschen diesen Blickwechsel vollziehen – zufällig und unbewusst zuerst, dann aber mit wachsendem Bewusstsein und Vertrauen. Eine andere Wahl haben sie auch nicht. Das zeigen schon die Parteien, die im Herbst zur Wahl stehen.

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