Wie tickte der europäische Adel vor der Französischen Revolution und wie, welcher Art war Beziehung der Sophie Dorothee von Württemberg zu Goethe? Einblicke in das Leben der späteren Zarin Maria Feodorowna sollen die Memoiren der Baronin von Oberkirch geben, die dank einer spendenfreudigen Internetgemeinschaft nun ins Deutsche übersetzt werden.

Die Memoiren der Baronin von Oberkirch gelten unter Historikern längst als einzigartige Quelle für das Leben am französischen Hof vor der Französischen Revolution 1789. Dass sie auch über den Hof der Württemberg im linksrheinischen Montbéliard (dt. Mömpelgard) und über die Jugend der Sophie Dorothee von Württemberg, spätere Zarin Maria Feodorowna, ausführlich berichten, wird meistens schlicht übersehen.

Die Memoiren wurden jedenfalls noch nie ins Deutsche übersetzt. Dank der erfolgreichen Finanzierung auf der Crowdfunding Platform StartNext.de wird die Übersetzung durchgeführt und ab Dezember 2014 in den Bücherregalen stehen.

Henriette Louise von Waldner von Freundstein, später Baronin von Oberkirch, wurde 1754 bei Thann im Elsass in einer Adelsfamilie geboren. Sie war mit Sophie Dorothee von Württemberg, der späteren Zarin Maria Feodorowna, befreundet, pflegte eine Brieffreundschaft mit Goethe und wirkte als Bindeglied zwischen dem französischen und dem russischen Hof. Ihre Memoiren geben Einblick in die Denkweise des europäischen Adels vor der Französischen Revolution und vor den napoleonischen Kriegen. „Eine deutsche Version der Memoiren wird sicherlich ihr Publikum finden,“ vermutet André Bouvard, Historiker aus Montbéliard, der selber die Memoiren für seine Recherchen verwendet hat.

Die Memoiren umfassen über 700 Seiten. Fokus des Projekts ist eine verkürzte Version der Memoiren. Es geht dabei insbesondere um das Leben am Hof der linksrheinischen württembergischen Exklave Montbéliard, um Goethe, sowie um die Studienreise der Baronin mit dem Grafen und der Gräfin Severny (Paul von Russland und Maria Feodorowna) durch Frankreich, Baden und Württemberg. Die Übersetzung soll mindestens 70 bis 125 Seiten umfassen. Jeder Unterstützer bekommt im Dezember 2014 ein Exemplar der Memoiren – je nach Förderung in elektronischer Form oder als Taschenbuch – und wird darüber hinaus im Buch als Sponsor der Übersetzung namentlich erwähnt.

Das Projekt wurde von Francois Vigneron initiiert, der aus Montbéliard stammt und sich in Baden-Württemberg niedergelassen hat. „Bei der Ausstellung Im Glanz der Zaren – die Romanows, Württemberg und Europa im Landesmuseum Stuttgart in diesem Winter habe ich gesehen welch immenses Interesse an Sophie Dorothee von Württemberg besteht“, erklärt Vigneron. „Ihre Jugend in Montbéliard wurde aber eher vernachlässigt. Ich habe auch festgestellt, dass die Memoiren ihrer elsässischen Freundin, der Baronin von Oberkirch, in Deutschland zwar oft zitiert werden, aber auf Deutsch nur fragmentarisch vorhanden sind. Wenn ich mit Deutschen spreche, ist mir aufgefallen, dass die linksrheinischen Gebiete zwar oft bekannt sind, aber auch dass damit wenig Konkretes verbunden wird. Das alles hat mich dazu bewegt, dieses Projekt zu starten“, erklärt Vigneron.

Das Projekt hat viele Phasen. Zuerst muss der französische Text gekürzt werden und somit auch für Frankophone zugänglicher gemacht werden. Diese Phase hat bereits begonnen. Das Projektteam plant, hier einen eingetragenen Literaturübersetzer als Hauptübersetzer ab Mitte Juli zu beauftragen.

Parallel können sich freiwillige für die Übersetzung anmelden. Im Oktober wird das Korrekturlesen beginnen. Mitte November soll der Text für die Druckerei freigegeben werden. Zum Team gehören bereits zwei freiwillige Übersetzer und acht Korrekturleser. 70 Seiten sind sicher finanziert. Es wäre super, wenn bis zum 14. Juli ein paar weitere Übersetzer oder Korrekturleser dazustoßen könnten, so Vigneron“.

Das Werk der Baronin ist reich an Anekdoten. Unterstützer können Textfragmente für die Übersetzung auswählen, die sie besonders interessieren. „Eine interessante Vorgehensweise“, findet Hans Herth, Präsident der Föderation der deutsch-französischen Vereine. „Diese Memoiren zu übersetzen und somit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, wird eine außergewöhnliche deutsch-französische Freundschaft wieder in Erinnerung rufen.“

Die Crowd-finanizerte Übersetzung wird 70 Monate nach Erstauflage in die Gemeinfreiheit entlassen und auf der Homepage www.baronin-von-oberkirch.de kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Somit wird die Übersetzung für kommerzielle und nicht kommerzielle Nutzung jedem zur Verfügung stehen.

Von Francois Vigneron

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