In der Geschichte des Russischen Zarenreiches gab es drei wichtige Persönlichkeiten, die den Namen Nikolaus trugen. Zum einen ist dies der Heilige Nikolaus von Myra, der bereits vor rund 1.700 Jahren in der Region Lykien in der heutigen Türkei als Bischof des kleinen Ortes Myra tätig war. Die Legende besagt, dass er während der Christenverfolgung gefangen genommen und gefoltert wurde. Sein Vermögen verteilte er unter den Armen.

Seither widmet ihm die katholische Kirche alljährlich am 6. Dezember einen Feiertag. Noch größere Bedeutung besitzt der Heilige Nikolaus jedoch für die orthodoxen Ostkirchen. In der russisch-orthodoxen Kirche ist Nikolaus von Myra – neben Christus und Maria mit Kind – die dritte große Ikone auf der Ikonostase, der Ikonenwand orthodoxer Gotteshäuser, gewidmet.

Daneben trugen zwei Zaren des Russischen Reiches, Abkömmlinge des Herrschergeschlechts Romanow-Holstein-Gottorp, den Namen Nikolaus. Nikolaus I. regierte Russland zwischen 1825 und 1855 mit überaus harter und brutaler Hand. Sein Nachfahre Nikolaus II. allerdings, der zwischen 1896 und 1917 an der Spitze Russlands stand, war ein bemerkenswert schwacher Charakter. Bei dessen Krönungsfeierlichkeiten auf dem Moskauer Chodynkafeld im Jahr 1896 kam es bei der Verteilung von Geschenken an das Volk zu einer Massenpanik, bei der 1.389 Menschen zu Tode kamen. Ein furchtbares Omen für die Zukunft des glücklosen Regenten. Der russische Poet Konstantin Balmont schrieb in einem Gedicht 1908 über Zar Nikolaus: „Wer seine Herrschaft mit Chodynka begann, wird auf dem Schafott enden.“

Nikolaus II. und der Krieg gegen Japan: Anfang vom Ende

Als Japan im Februar 1904 den russischen Flottenstützpunkt Port Arthur angriff und das Russische Reich in den russisch-japanischen Krieg stürzte, fiel dem ehrfürchtigen Zaren nichts Besseres ein, als zu Gott zu beten. In Werny muss es im selben Jahr geradezu beschaulich zugegangen sein. Die Bewohner des südwestlichen Teils der Stadt, die ebenso gottgläubig wie ihr Zar waren, baten in diesem Jahr den Bischof von Turkestan und Taschkent um Erlaubnis, Spendengelder für eine Kirche sammeln zu dürfen. Der Bischof stimmte diesem Vorhaben zu.

Nikolaus II. war wahrlich kein Militärstratege, doch er vertraute auf die Weisungen Gottes und schickte die baltische Flotte ins Japanische Meer, um in dem lästigen Krieg am östlichen Ende der Welt endlich die Oberhand zu erlangen. Die Schiffe waren acht Monate lang unterwegs, legten 18.000 Seemeilen zurück, umrundeten Afrika und wurden direkt bei ihrer Ankunft von den Japanern praktisch vollständig zerstört. Der Krieg war verloren.

Innenpolitisch sah es für Nikolaus nicht besser aus. Nach dem verlorenen Krieg brodelte es in der Bevölkerung Sankt Petersburgs. Der Zar musste nach der Russischen Revolution von 1905 einen Großteil seiner Macht abtreten, das erste Parlament des Russischen Reiches, die Duma, wurde gegründet.

Das religiöse Leben in Werny ging bis in die 1930er Jahre weiter

Die Bewohner von Werny bekamen derweil ihre Kirche. Am 14. Dezember 1908 wurde die neue Kathedrale, ein prächtiger Holzbau im neurussischen Stil, mit Glockenturm und sieben goldenen Zwiebeltürmchen, dem Nikolaus von Myra geweiht. Die Nikolaus-Kathedrale wurde für kurze Zeit zu einer der am stärksten besuchten der nun 16 Kirchen in Werny.

Während auch später in Werny das religiöse Leben seinen gewohnten Gang nahm, hatte für Zar Nikolaus II. das letzte Stündlein geschlagen. Mit der Oktoberrevolution 1917 kamen die Bolschewiken an die Macht. Der Zar wurde mitsamt seiner gesamten Familie 1918 ermordet, das böse Omen seiner Krönungsfeier sollte sich also bewahrheiten. Unzählige Menschen, insbesondere Geistliche und Ordensleute, wurden im Zuge der Wirren nach der Oktoberrevolution nach Zentralasien verbannt.

In Werny stemmten sie sich gegen die Verfolgung religiöser Aktivitäten und feierten noch bis Mitte der 1930er Jahre Gottesdienste in der Nikolaus-Kathedrale, inzwischen eines der beiden letzten verbliebenen Kirchenhäuser der Stadt. Eparch Alexander wurde im Februar 1936 verhaftet, und die Kathedrale musste ihre Türen schließen.

Kathedrale überlebt wie durch ein Wunder

Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Gotteshaus vom Militär als Pferdestall benutzt und verfiel vollkommen. Nach Kriegsende waren die Kuppeln schwer beschädigt und der Glockenturm abgerissen worden. Die Ikonostase mit den Ikonen waren nicht mehr erhalten. Doch beinahe einem göttlichen Wunder gleich wurde die Kathedrale bereits 1946 an die Orthodoxe Kirche zurückgegeben, und es begannen umgehend Renovierungsarbeiten. Bereits im Frühjahr desselben Jahres wurde der Altar geweiht und die Nikolaus-Kathedrale wieder zum Sitz der Eparchie von Alma-Ata.

Religiöses Leben war erst nach dem Ende der Sowjetunion wieder im größeren Stile möglich. Erst 1995 wurde auch die im Zentrum von Almaty gelegene Christi-Himmelfahrt-Kathedrale wieder an die Orthodoxe Kirche zurückgegeben und der Sitz der Eparchie dorthin verlegt. Die Nikolaus-Kathedrale erhielt im selben Jahr ein Kreuz, welches heute an die Opfer der Repressionen erinnert.

Ebenfalls erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde das bis dahin geheim gehaltene Schicksal der letzten Zarenfamilie gelüftet. Zar Nikolaus II. wurde mit seiner Familie im Jahr 1918 in einem Keller im heutigen Jekaterinburg erschossen und in einem Wäldchen nahe des Bergwerkes Ganina Jama verscharrt. Die Gebeine der Zarenfamilie wurden am 13. Juli 1991 geborgen und 1998, auf den Tag genau 80 Jahre nach ihrer Ermordung, in der Peter-und-Paul-Kathedrale in St. Petersburg beigesetzt. Zar Nikolaus II. und seine Familie wurden am 20. August 2000 von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochen.

Philipp Dippl

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