Mehmet Kurtuluş hat als Kommissar das Konzept des TATORTs Hamburg auf den Kopf gestellt. Dennoch kennt man ihn vor allem als den ersten „türkischen“ Kommissar. Der 38-Jährige war im Rahmen des Filmfestivals „KINOgerMANIJA“ des Goethe Instituts in Almaty. Im Gespräch mit der DAZ erzählte er von aufgebrachten Theaterzuschauern und seinem Weg aus einer Industriestadt ohne Theater bis in die deutsche Film- und Fernsehwelt.

/Bild: ALLFILM. ‚Wandlungsfähig: Kurtuluş als der Tschetschene Artur in der estnischen Produktion „VASHA“.’/

Schauspieler Mehmet Kurtuluş in Almaty.

Herr Kurtuluş, finden Sie es eigenartig, dass die deutsche Presse Sie meist eher als „schauspielernden Türken“ sieht denn als einen Schauspieler, der eben auch eine türkische Identität hat?

Ja durchaus. Als ich zum neuen Kommissar im Hamburger TATORT wurde ging eigentlich völlig unter, dass wir das Format revolutioniert haben. Man sprach die ganze Zeit nur vom ersten türkischen Kommissar der TATORT-Geschichte aber nicht davon, wie wir das Konzept dieser Krimi-Serie auf den Kopf gestellt haben. Das entlarvt Deutschland, wenn man bedenkt, dass die Türken in Deutschland nächstes Jahr ihr 60-Jähriges feiern.

Ist das für Deutschland symptomatisch?

Irgendwie schon. Neben meinem Namen, der ja eindeutig nicht deutsch ist, steht häufig noch, dass ich türkischer Abstammung bin. Hier passiert immer noch eine Abgrenzung nach dem Motto: „Er ist Schauspieler, ABER…“ Man sollte sich hier terminologisch entspannen und nicht durch die Accessoirisierung „Türke“ ausgrenzen; denn der Mischmasch ist schließlich die Zukunft.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie Ihren Ansichten in Ihrer Arbeit Gehör verschaffen möchten. Wie machen Sie das?

Durch meine Rollenwahl. Beispielsweise hieß es 1995 noch häufig: „Tut mir leid, in dem Film spielt kein Türke mit.“ Ich blieb aber hartnäckig, habe einige Rollen abgelehnt, oder nachgehakt, ob ich nicht wenigstens einen Taxifahrer spielen könne. Andere Rollen, wie im Film „Der Tunnel“ habe ich angenommen, was damals eigentlich eine unerwartete Besetzung war. Ich möchte ein Zeichen an den Zuschauer senden: Hier geht es ausschließlich ums Schauspiel, nicht um ethnische Wurzeln.

Sie bezeichnen Evelyn Hamann als Ihre Entdeckerin. Wo sähen Sie sich heute ohne diese Entdeckung?

Wäre ich nicht Schauspieler geworden, dann vermutlich Meeresbiologe. Ich hatte ein naturwissenschaftliches Gymnasium in der Industriestadt Salzgitter besucht, die nicht mal ein Theater hat. Damals ging ich tauchen und hatte großen Spaß am Biologieunterricht. Ich denke aber, dass ich irgendwie in die Schauspielerei reingerutscht wäre, weil es keinen klassischen Weg dorthin gibt. Es ist wie eine Lotterie: vielleicht entdeckt dich jemand, vielleicht kriegst du eine große Rolle – oder eben nicht. Evelyn Hamann zu treffen und bei ihrer Schauspiellehrerin Unterricht nehmen zu dürfen war dann quasi der Jackpot.

Wie ging die Familie des jungen Mehmet Kurtuluş mit seinen Schauspielträumen um?

Mein Vater hat mir mit seinem Vertrauen damals das größte Geschenk gemacht, was man einem Kind machen kann. Er sagte: „Auch wenn mir die Welt völlig fremd ist, in die du gehen willst, geh!“ Nach dem Abi ging ich dann auch, und zwar nach Hamburg. Dort habe ich dann Fatih Akın kennenglernt. Sein Film „Kurz und Schmerzlos“ war dann unser aller Sprungbrett.

Sie kennen Theaterbühnen aber auch Filmsets. Was macht den Reiz aus, in einem Theaterstück mitzuspielen, was ist das Tolle, vor einer Kamera zu stehen?

Die Kamera ist extrem intim, sie schaut dir in die Seele. Denn die Leinwand ist größer als das Leben. Das Theater lebt vom Live-Moment; davon, dass man den Herzschlag eines Zuschauers zu hören scheint oder damit klarkommen muss, dass Leute laut aufstehen und nach draußen stolpern.

Das Peinlichste, was Ihnen auf der Bühne passiert ist war…

…eigentlich nichts. Einmal habe ich in einem sehr kritischen Theaterstück mitgewirkt, in welchem ein paar Zuschauer demonstrativ aufstanden, aus dem Saal gingen und die Türe hinter sich zuschlugen. Das war schon heftig.

Wie stellt man als Schauspieler Gefühle dar? Gibt es irgendwelche Tricks?

Es gibt verschiedene Techniken, Gefühle abzurufen. Man kann sich beispielswiese etwas Trauriges vorstellen. Um sie sichtbar zu machen, muss man sie aber nicht durchleben. Ich kann an mein kaputtes Auto denken und dabei verliebt in die Augen meiner Schauspielkollegin schauen. Es ist nur wichtig, dass man etwas ausstrahlt. Den Rest erledigt der Zuschauer durch seine Phantasie meist selbst. Das ist ja das Tolle: man muss als Schauspieler dem Publikum nicht alles vorkauen.

Sie haben „Gegen die Wand“ koproduziert. Produziert man als gelernter Schauspieler anders?

Als Schauspieler kommt man von der Geschichte her. Es könnte also sein, dass ich daher als Produzent kompromissloser die Geschichte fördere. Wenn beispielsweise eine Figur statt eines Mercedes auf einem Rad in einer Szene vorfahren soll, damit man Filmkosten spart, es aber nicht zu ihrem Charakter passt, Fahrrad zu fahren, dann würde ich vielleicht den Euro mehr ausgeben, damit der Charakter auch das Auto bekommt.

Werden Sie auch weiterhin der Tätigkeit des Produzierens nachgehen?

Ich arbeite gerade an zwei Projekten. Da wir auch – da spricht jetzt der Produzent – auf dem internationalen Markt ankommen möchten, überlegen wir, einen Film auf Englisch zu machen. Denn die Amerikaner mögen typischerweise keine Synchronisation.

Was ist noch typisch für die amerikanische Filmindustrie?

Sie arbeiten in viel größeren Teams – in manchen Serien sogar mit mehreren Regisseuren. Es gibt zum Beispiel einen, der ausschließlich für die Statisten zuständig ist. Man sieht richtig, dass sich im Hintergrund kleine Mikrokosmen bilden. Das macht das Bild lebendiger. Das ist ganz anders als in einigen deutschen Produktionen, in denen die Polizisten auf der Wache wie Zombies ihre Akten steif durch die Gänge tragen – das wirkt nicht echt.

Nun eine Abschlussfrage, die nicht so viel mit Schauspielerei zu tun hat: Sie haben von der Polizei Hamburg eine Auszeichnung für die „Bundesweite Werbung für die Stadt Hamburg“ erhalten. Sie sagen, Sie würden wieder für die Hansestadt werden. Aber gibt es für sie noch eine andere Stadt?

International würde ich natürlich sagen Istanbul. Dort herrscht eine Art Goldgräberstimmung, das Durchschnittsalter liegt bei 26 Jahren. Daher gibt es mehr frische Ideen, mehr Risikobereitschaft als im alteingefahrenen Europa.

Interview von Vinzenz Greiner

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