Arbeitslosigkeit, Melancholie, unerfüllte Erwartungen – seit Ende der neunziger Jahre sind mehr als 15.000 Personen der zuvor nach Deutschland Ausgewanderten in ihre postsowjetischen Herkunftsländer zurückgekehrt. Diese Menschen sind nur ein Bruchteil der etwa drei Millionen (Spät-)Aussiedler, die ab Mitte der Achtziger aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, aus Polen, Rumänien sowie anderen Ländern Mittel- und Osteuropas in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind. Ihnen wurde als „Statusdeutsche“ unmittelbar die deutsche Staatsangehörigkeit zuerkannt. Ein wesentliches Merkmal, welches sie von anderen Einwanderungsgruppen unterscheidet. Doch warum kehren diese Personen in ihre Herkunftsländer zurück?

Rückkehrmotive: Gescheitertes „Migrationsprojekt Deutschland“?

Die Soziologen Michael Schönhuth und Markus Kaiser nennen ökonomische, psychische aber auch soziokulturelle Gründe für die sogenannte Remigration und zeigen in ihrer Forschungsarbeit, dass es sich bei der Rückkehr in die historische Heimat Deutschland nicht immer um eine Erfolgsgeschichte handelt. Juri Dorke ist seit anderthalb Jahren Hausmeister im Deutschen Haus in Almaty. Der gebürtige Almatyner mit deutschen Wurzeln war 2002 mit seiner Familie als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Acht Jahre verbrachte er im Land seiner Vorfahren, bis er sich schließlich aufgrund der ernüchternden Arbeitssuche entschied, in die Heimat zurückzukehren.

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Rückkehrwillige (Spät-)Aussiedler wie Dorke berichten häufig von Arbeitslosigkeit und partiellen Exklusionserfahrungen, die sie zur Rückkehr in die Heimat bewegt haben. „Das erste halbe Jahr in Stralsund fiel mir sehr schwer. Ich konnte die Sprache nicht sprechen, fand keine Arbeit. Der Anfang war wirklich nicht leicht“, erklärt der gelernte Elektriker und Bauhandwerker. Neben den genannten Gründen berichten andere von erlebten Fremdheitserfahrungen und Schwierigkeiten sich in der deutschen Gesellschaft zu integrieren. Dorke zeichnet ein anderes Bild: „Später sind wir nach Hamburg-Horn gezogen, wo wir unsere erste Wohnung in der Washingtonallee bezogen haben. Hamburg hat mir sehr gefallen. Unser Sohn ist 2004 dort geboren. Die Nachbarn waren sehr freundlich. Es waren hauptsächlich alte Deutsche, die mit uns in der Siedlung gewohnt haben. Sehr nette Menschen“.

Diese auf den ersten Blick als positiv zu wertende Erfahrung, wie sie Dorke in seiner Nachbarschaft gemacht hat, teilen jedoch nicht alle. Andere Aussiedler berichten, dass sie die Ankunft in Deutschland mit negativen Lebensgefühlen wie Einsamkeit und Depression verbunden haben. Diese wurden insbesondere durch die Sehnsucht nach der Heimat und dem freien Leben auf dem Land verstärkt. „Die Entfernung und das Heimweh haben mir zu schaffen gemacht. Meine Frau ging mit meinem Sohn 2008 nach München, aber ich bin ihr nicht gefolgt, da ich zu dem Zeitpunkt Arbeit hatte. Zwei Jahre bin ich allein in Hamburg geblieben, danach war ich weg. Die Arbeitslosigkeit am Ende und die Nostalgie haben mich nach Almaty zurückgebracht“, erinnert sich der Hausmeister. Dorkes Begründung spricht dabei einen wesentlichen Aspekt an: Nach einer erhobenen Umfrage sind psychische Belastungsmotive in jedem siebten Fall ausschlaggebend für die Rückkehr von (Spät-)Aussiedlern in ihr Herkunftsland.

Die Familie bleibt

Laut Schönhuth und Kaiser sei ein weiterer entscheidender Grund, den Wohnsitz in Deutschland aufzugeben und in das Herkunftsland zurückzukehren, die jeweilige Familiensituation. Demnach können Schicksalsschläge wie Scheidung oder das Verscheiden eines Familienmitglieds ausschlaggebend dafür sein, nach Russland oder Kasachstan zu remigrieren.

In den Einzelfällen machen sich die Auswirkungen der Übersiedlung und Remigration insbesondere in den Geschlechterverhältnissen bemerkbar. Viele der von den Forschern befragten Frauen heben die bessere Lebenssituation in Deutschland hervor und verwerfen die Vorstellung in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Auseinandersetzungen und Trennungen stehen demnach in engem Zusammenhang mit der Entscheidungsfindung endgültig zurückzukehren. Dorke sieht in der deutschen Gesetzeslage einen zentralen Faktor dafür, dass viele Ehen auseinandergehen: „In Deutschland ermöglicht das System, dass sich Frauen emanzipieren. Das Sozialamt stellt Leistungen zu Verfügung, die dazu führen, dass Frauen unabhängig von ihren Familien leben können und nicht mehr an diese gebunden sind. Plötzlich bietet sich ein ganz neues Leben, das in Kasachstan schier undenkbar wäre! Es wäre hier gar nicht möglich gewesen, einfach so wegzugehen. Diese Emanzipationsbestrebungen haben zu viel Streit geführt, ein Großteil vieler Familien ist daran zerbrochen so wie meine. Meine Frau wollte nicht zurück, deshalb bin ich 2010 allein gegangen.“ Letztendlich geht die Rückkehrinitiative überwiegend von den Ehemännern aus, die nach erfolgreicher Remigration zufriedener sind als ihre befragten Ehefrauen.

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Darüber hinaus kann eine vorhanden gebliebene soziale Netzwerkstruktur im Herkunftsgebiet ausschlaggebend sein, da sie einen wesentlichen Beitrag zu einer leichteren Rückkehr in die Heimat leistet. Aus diesem Grund lässt sich kein einheitliches Rückkehrmuster unter den (Spät-)Aussiedlern feststellen. Zu unterschiedlich sind die einzelnen Fälle der remigrierenden Deutschstämmigen, resümieren Schönhuth und Kaiser. „In Almaty leben meine Mutter und meine Schwester. Meine ganze Verwandtschaft und meine Freunde sind hier. Natürlich hatte ich Bekannte in Deutschland. Aber Bekannte sind keine Freunde. Daher fiel es mir auch nicht schwer wieder zurückzukommen“, bekennt der Almatyner Dorke.

Aufgrund von gesetzlichen Änderungen haben sich die deutschen Einreisebedingungen für (Spät-)Aussiedler seit 1996 geändert. Dementsprechend wurde die Einreise auf maximal 200.000 Personen pro Jahr begrenzt sowie vorhandene Kenntnisse der deutschen Sprache geprüft. Letzteres gilt seit 2005 auch für Familienangehörige.

Wie viele Menschen tatsächlich wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind, lässt sich nicht festmachen, da sie als Statusdeutsche ausreisen und in der Wanderungsstatistik nicht einzeln, sondern als „deutsche Auswanderer“ festgehalten werden. Vor allem Russlanddeutsche bilden mit etwa 12.000 bis 15.000 Menschen die größte Gruppe der tatsächlich remigrierenden Deutschstämmigen seit Ende der 1990er Jahre. Bevorzugte Rückkehrziele in der Russischen Föderation sind neben den großen Städten St. Petersburg und Moskau, die ehemaligen Deutschen Siedlungsgebiete wie Halbstadt (Altai Region), Asowo (Region Asow), Nowosibirsk und Omsk.

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Während sich die Einreisebedingungen in Deutschland verschärften, lässt sich eine umgekehrte Reaktion in der Russischen Föderation beobachten. In Russland eröffnet die Option der doppelten Staatsangehörigkeit vielen (Spät-)Aussiedlern die Möglichkeit, transnationale Lebensprojekte und unternehmerische Strategien zu verwirklichen. Insofern tragen Umschulungen im Aufnahmeland sowie die Beherrschung der deutschen Sprache dazu bei, dass es wirtschaftlich erfolgreiche Unternehmer unter den Rückkehrern gibt. Ein Rückkehrtyp, welcher das „Migrationsprojekt Deutschland“ nicht für gescheitert erklärt. Im Falle Kasachstans geht mit der deutschen Einbürgerung jedoch ein Verlust der kasachischen Staatsangehörigkeit einher. Für Dorke, der mit seiner Rückkehr nach Kasachstan seinen deutschen Pass wiederum abgeben musste, war dies „kein Problem“.

Die Migration nach Deutschland, die alte neue Heimat, erfüllte nicht für jeden Zuwanderer aus den ehemaligen Sowjetstaaten die eigenen Erwartungen. Integrationsprobleme, Arbeitslosigkeit und Nostalgie bestärkten einige Deutschstämmige an ihren Heimatort zurückzukehren. Vergessen werden dürfen vor diesem Hintergrund jedoch nicht die Erfolgsgeschichten all jener, die aufgrund ihrer deutschen Wurzeln und den in der Bundesrepublik gebotenen Leistungen durch Weiterbildungsmöglichkeiten einen neuen Lebensweg in ihrer Heimat einschlagen konnten.

Karina Turan

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