Wintersport im beliebten Skigebiet Shymbulak – da denken sowohl Ski- als auch Snowboardfahrer in erster Linie an ungetrübte Winterfreuden auf der Skipiste und den herrlichen Ausblick auf die Stadt Almaty. An Risiken und Gefahren durch Lawinen möchte man da eher nicht erinnert werden. Peter Weber vom Team „Snow-Control“ kennt sich mit der Lawinengefahr in den Bergen bestens aus. Seit November 2011 ist er als Berg- und Skiführer im Lawinenschutzprojekt auf Shymbulak tätig.

/Peter Weber auf dem Talgar-Pass oberhalb von Shymbulak./

DAZ: Peter, Sie sind seit 15 Jahren Berg- und Skiführer. Warum haben Sie sich gerade für Kasachstan und Shymbulak entschieden?

Peter Weber: Es gab in der Tat mehrere Optionen für mich, unter anderem ein Projekt im Rhotang-Gebirge in Indien. Die Entscheidung fiel für mich, als sich das Skiresort Shymbulak bei uns meldete und anfragte, ob wir deren Mitarbeiter im Lawinenschutz ausbilden wollen. Da ich ein wenig Russisch kann und außerdem in Russland (Kaukasus) und der Ukraine tätig war, entschied ich mich für Shymbulak. Ich bin das erste Mal hier in Kasachstan und kann sagen, dass ich das Land sehr mag. Ich lernte die „Snow-Patroler“ – das einheimische Personal vor Ort kennen, die Mitarbeiter vom Management sowie Menschen aus Almaty. Von der Mentalität der Einheimischen bin ich sehr beeindruckt. Die ist eine ganz andere als in Europa: Alles wird mit einer Ruhe angegangen, es geht sehr gemütlich zu. Auch die Zeitvorstellung ist sehr unterschiedlich: da können aus kurzen fünf Minuten schon mal 20 Minuten oder mehr werden. Es ist spannend, diese kulturellen Unterschiede zu erleben.

Die Firma „Snow Control“ GmbH steht für temporären Lawinenschutz. Was bedeutet das?

Temporärer Lawinenschutz heißt, dass ein Expertenteam zum richtigen Zeitpunkt in einer kritischen Situation die richtigen Maßnahmen trifft, um Schaden durch eine Lawine abzuwenden.

Dazu gehört, dass das verantwortliche Personal zunächst kritische Situationen mit Lawinengefahr erkennt. Wenn es notwendig ist, eine Lawine auszulösen, muss frühzeitig alarmiert werden. Temporärer Lawinenschutz ist deshalb immer zeitlich bedingt, weil eine kritische Lawinensituation unter anderem vom Niederschlag abhängt. Bei hoher Niederschlagsmenge muss unser Team schnell reagieren, z.B. mit einer Lawinensprengung. Wir sind in der Lage, vom Hubschrauber aus mit Sprengstoff, aber auch mit fest installierten Vorrichtungen Lawinen zu lösen. Diese Systeme werden von Fachkräften bedient und dienen dem Zweck, dass durch die Sprengung größere Schadlawinen verhindert werden.

Eine andere Möglichkeit ist, den Betrieb bei Lawinengefahr völlig stillzulegen, wenn eine weitere Arbeit ohne Gefahr für das eigene Leben nicht mehr gegeben ist.
Unser Team von der Firma „Snow Control“ ist für die Ausbildung der freien Mitarbeiter in Sachen Lawinenschutz zuständig.

Das aktuelle Lawinenschutzprojekt ist durch eine Kooperation mit „Shymbulak“ Skiresort zustande gekommen. Das Skiresort hatte früher Probleme mit der Schneesituation vor Ort und war gezwungen, in Gefahrensituationen den Skilift zu schließen. Das neue Management von „Shymbulak“ unter Leitung von Lucas Marchand wollte dem entgegenwirken, indem das Personal von unseren Fachkräften geschult wird. Dazu gehört die Ausbildung zur Beurteilung von Lawinengefahr und zur Betreuung der technischen Anlagen.

Peter, Sie selbst sind ausgebildeter Bergführer: welche Ausbildung braucht man im Team bei „Snow Control“?

Wer im Team von „Snow Control“ mitarbeiten möchte, der braucht in erster Linie die Ausbildung zum Berg- und Skiführer. In einer nächsten Stufe wird dann die komplette Ausbildung zum Sprengmeister und danach zum Lawinensprengmeister durchlaufen. Das Sprengen vom Hubschrauber aus ist eine zusätzliche Ausbildung.

Alle drei Ausbildungsstufen sind hierarchisch gegliedert. Hat man diese Ausbildungen alle erfolgreich absolviert, kann man als Teamleader bei der Firma „Snow Control“ anfangen.

Wie sieht Ihr regulärer Tagesablauf aus und was ist Ihre Aufgabe im Team der „Snow Controller“?

Unser oberstes Ziel hier auf Shymbulak ist stets, dass der Skilift geöffnet werden kann. Der Betrieb startet um 9 Uhr. Das bedeutet, wir treffen uns eine Stunde vor Öffnungszeit um 8 Uhr und besprechen die Beurteilung aus dem Gelände und die Testergebnisse. Unser Team besteht aus acht Mitarbeitern, einschließlich einer Ärztin, die uns auf den Touren stets begleitet.

Unsere Aufgabe ist es, im Gelände ein Schneeprofil zu erstellen und zu beurteilen, wie die gesamte Schneeschicht vom Boden bis zur Schneedecke beschaffen ist. Zur Beurteilung der Schneesituation ist es wichtig, Veränderungen zum Vortag festzustellen: Gab es z.B. Windeinfluss oder hat sich in den Zwischenschichten etwas verändert? Nachdem wir dann die Temperatur der Schneeschichten genommen haben, beurteilen wir die Beschaffenheit und den Aufbau der Schneekristalle bzw. der Schneedecke. Die Temperatur wird stets vom Boden bis zur Schneedecke genommen.

Danach führen wir einen Stabilitätstest durch. Das funktioniert zum einem mit dem Schaufeltest, indem man einen Schneeblock von 30 x 30 cm aushebt. Dieser Schneeblock wird jetzt drei verschiedenen Belastungen ausgesetzt: vom mehrmaligen Aufklopfen mit dem Handgelenk auf das Schaufelblatt, dann aus dem Ellbogen und zum Schluss aus der Schulter.

Oder man hebt einen Rutschblock von ca. 1,5 m Tiefe und 2 m Breite aus und prüft wiederum die Stabilität dieses Blockes. Wenn eine Person mit Skiern auf den Block steigt und dieser standhält, wird die Stabilitätsstufe 2 festgelegt. Springt eine Person auf den Block, ist das Stufe 4. Die letzte Stufe 7 ist der Sprung von außen in den Schneeblock ohne Ski. Diese Untersuchung kann und wird nicht auf den ganzen Hang umgelegt. Dabei wird nur der Schneedeckenaufbau und die Stabilität am Testort erkundet.

Nach einer Skala messen wir im Anschluss die Stabilität: Stufe 1-2 ist instabil, die Stufen 5-7 gelten als stabil.

Welche Gefahren und Risiken gibt es als Bergführer und im Rahmen des Lawinenschutzes?

Zunächst unterscheiden wir zwischen objektiven und subjektiven Gefahren. Alles, was draußen stattfindet und nicht beeinflussbar ist, sind objektive Gefahren. Das kann ein Steinschlag, eine Lawine oder einfach Schlechtwetter sein. Daneben darf man die subjektiven Gefahren, wie individuelle Fähigkeiten und die Tagesform nicht vergessen.

Man kann generell nie ausschließen, dass draußen im Gelände etwas passiert. Die Materie Schnee ist nie vorhersehbar. Allein die Schneephysik wird schon seit über 100 Jahren untersucht und beobachtet. Bisher ist es noch nicht möglich vorherzubestimmen, dass an einem bestimmten Ort zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Lawine abgeht. Das heißt, wir leben immer mit einem bestimmten Risiko.

Wenn allerdings etwas passiert, dann sollten sich die verantwortlichen Personen auch im Retten und Bergen auskennen. Geschieht ein Lawinenunfall, unterscheiden wir zwischen der Kameradenrettung und der organisierten Rettung. Die Kameradenrettung ist eine Soforthilfe durch anwesende Teammitglieder, wenn es einen von uns betrifft. Oberster Grundsatz ist, dass wir nie allein ins Gelände gehen, sondern immer zu zweit oder zu dritt.

Sind Touristen in den Bergen verunglückt, reden wir von einer organisierten Rettung. Dann ist es notwendig, eine organisierte Rettungskette herzustellen. Das Problem dabei ist, dass Personen, die im Skigebiet unterwegs sind, meist keine sogenannten Lawinenverschütteten-Suchgeräte („LVS“) bei sich tragen. Die Suche nach Verletzten würde durch ein LVS-Gerät erheblich vereinfacht werden. Es kommt dann ein anderes Suchgerät zum Einsatz, um die Personen zu bergen. Die Patroler, das Bergrettungsteam, verfügen über ein sogenanntes Recco-Gerät zur Aufspürung der Verunglückten. Das Gerät gibt ein Signal ab, das von elektronischen Teilen bzw. Transmitterstreifen in der Kleidung reflektiert wird. Durch diese Methode kann man die Personen relativ gut finden. Denselben Effekt erreicht man auch durch die Elektroden von Mobilfunktelefonen.

Was ist das Worst-Case-Szenario für das Skigebiet Shymbulak aufgrund der hiesigen Gegebenheiten und der Witterungsbedingungen? Was könnte schlimmstenfalls passieren?

Shymbulak hatte seinen Worst-Case-Fall bereits im Jahre 2009 erlebt, als es relativ viel Niederschlag gegeben hat. Durch die Schneemenge stieg die Lawinengefahr extrem an, so dass sogar Soldaten zur Unterstützung eingesetzt werden mussten. Man ließ sich damals einfach zu lange Zeit, um adäquate Maßnahmen zu ergreifen und hat viele Grundsätze nicht
beachtet.

So wurde beispielsweise mit der Sprengung ganz oben auf dem Berg begonnen, anstatt von unten nach oben zu sprengen. Der Sprengeffekt setzte sich sukzessive weiter fort, so dass sich der ganze Hang gelöst hat. Durch diese Lawine wurde letztendlich der Skilift zerstört, was für das Skiresort schon den „worst case“ darstellt. Der Ort Shymbulak selbst war nicht betroffen. Der Skilift allerdings steht an exponierter Stelle und war äußerst gefährdet.
Unser Team von „Snow Control“ versucht den Fachkräften vor Ort zu helfen, indem wir erklären, wie man in einem solchen Falle sprengt. Wir zeigen dem Personal von „Shymbulak“, wo sich die kritischen Stellen befinden und am ehesten Lawinen ausgelöst werden können.
Die derzeitige Situation im Skigebiet ist aber sehr positiv zu bewerten.

Wie lange sind Sie durchschnittlich mit Ihrem Team im Einsatz?

Das ist ganz unterschiedlich. Die Gesamtlänge eines Einsatzes im Ausland wird meist für den ganzen Winter geplant. Das bedeutet, von Winterbeginn bis Winterende. Der tagtägliche Einsatz im Gelände hängt vom jeweiligen Monat, den Witterungsbedingungen und der spezifischen Situation ab. Meist sind wir schon sehr früh am Tag unterwegs, zwischen drei und halb vier Uhr in der Früh. Wir versuchen dann so lang wie möglich, unsere Aufgaben und Maßnahmen im Gelände durchzuführen. Das hängt von der Sonneneinstrahlung und der tageszeitlichen Erwärmung ab. Es kommt vor, dass wir – bedingt durch die Erwärmung -manchmal schon am späten Vormittag den Betrieb einstellen müssen.
Ansonsten starten wir im Hochwinter von Dezember bis Februar gegen 7 Uhr. Je nachdem, wo unsere Tour hinführt, müssen wir schon sehr früh los, gerade wenn ein langer Zustieg zu bewältigen ist und wir mit Tourenski unterwegs sind.

Welche Projekte planen Sie und Snow Control für die Zukunft?

Momentan stehen drei Projekte in Aussicht: im Rhotang-Gebirge in Indien, die Olympiade in Sotschi und im Platzertal, Tirol.

Bezüglich der Olympiade in Sotschi befinden wir uns von der Firma Snow Control gerade mit den Verantwortlichen vor Ort in Verhandlungen.

Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin alles Gute!

Interview: Malina Weindl

Weitere Informationen: www.snow-control.at, www.shymbulak.com.

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