Am 10. Mai fand im Deutschen Theater von Almaty die europäische Nacht der Literatur statt. Es gab Geschichten zu hören, die wirkungsvoll die Zeit dehnten – und die Zuhörer ohne die geplante Filmvorführung nach Hause strömen ließen

Von dieser Literaturnacht blieb den meisten Gästen sicher etwas haften. Zum Beispiel der Eindruck, den der Raum beim Eintreten machte. Die Bühne nur punktuell beleuchtet, gerade so, dass die beiden Leser ihren Text sehen können. Im Hintergrund brennen Kerzen in großen Leuchtern, und auf dem Tisch liegen Bücher. Die Leser sitzen sich in altmodisch-herrschaftlichen Stühlen gegenüber. Auf dem schwarzen Bühnenboden ein Teppich, dessen Seiten große Kissen zieren.

Eine gemütliche Atmosphäre also, die Assoziationen von alten Büchern, von Leserromantik und epischen Abenteuern weckte. Dabei verlief der Auftakt alles andere als geplant. Der künstlerische Leiter des Deutschen Theaters, Bolat Atabaejw, las aus seinem Stück „Lady Milford aus Almaty». So fing die Lesung aus dem tschechischen Kinderbuch etwas verspätet an und dauerte dann auch etwas länger als geplant. Danach folgte eine kleine lyrische Einlage: Richard Künzel las Gedichte vor, und die drei Gewinnerinnen des Übersetzungswettbewerbs trugen ihre russischen Fassungen vor. Den Abschluss des ersten Teils bildete eine ebenfalls nicht programmgemäße und sehr schöne musikalische Einlage. Der zweite, der österreichischen Literatur dehnte sich allerdings in die Länge. Was zur Folge hatte, dass der für 20 Uhr geplante Überraschungsfilm nicht mehr gezeigt wurde: um halb elf wollten die Besucher nun doch nach Hause.

Schließlich hatten sie einiges zu verarbeiten. Zum Beispiel das spannende Kinderbuch, aus dem Richard Künzel und ein tschechischer Vertreter vorlasen. Es handelte von der Freundschaft zweier Jungen in Tschechien am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Künzel erklärte zwischen den einzelnen Passagen Hintergründe und weitere Entwicklungen, sein Partner verlieh dem Text durch die originale Intonation der tschechischen Wörter Nähe und Authentizität. Die beiden Jungen, ein tschechischer und ein deutscher, begannen zu leben in ihren Stimmen, als Zuhörer wollte man mehr erfahren über das Paradies der beiden am Fluss und den drohenden Krieg.

Von der Erwartung und Erfahrung von Veränderungen handelten auch die Texte der DDR-Bands Karussel, Pankow und Keimzeit, die Dirk Grossmann kurz vorstellte und gekonnt mit Gitarre vortrug. Die Stimmung, diese Mischung aus Glück und Verzweiflung, Veränderungen und dem Wunsch, zu leben, alles laufen zu lassen, ungehindert, wurde sehr deutlich. Angetan und vielleicht etwas nachdenklich strömten die Besucher in die Pause, um sich zu unterhalten und an der Bar Getränke abzuholen.

Vielleicht war es die schon fortgeschrittene Stunde, vielleicht die Mehrzahl, Art und Länge der Texte oder das zum Ermüden einladende Dunkel im Zuhörerraum – der zweite Teil der Lesung zog sich, wurde ein wenig aufgemuntert durch Frieds Liebesgedichte, dehnte mit weiteren Prosatexten die Zeit und kam mit ansprechender Lyrik in Wiener Mundart zu Ende. Der Abend war zur Nacht geworden, einer Nacht der Literatur, des Lesens und Zuhörens. Was nicht mehr blieb, war die Energie für eine filmische Fortsetzung der angebrochenen Nacht. Vielleicht werden es nächstes Mal mehrere Nächte sein, die die Europäer der Literatur widmen, kürzere Nächte.

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