Leo Trotzki ist wohl das prominenteste Opfer von Stalins Säuberungen. Die Geschichte seiner Ermordung im mexikanischen Exil ist weithin bekannt. Weniger bekannt ist dagegen die einjährige Episode seiner Verbannung nach Alma-Ata, wo er wieder zu schreiben begann und sich mit den Theorien des Marxismus-Leninismus beschäftigte.

Es ist wahrlich kein besonders schmuckes Gebäude, welches sich in der Gogol-Straße unter der Hausnummer 45 befindet. Ein Schild am Eingang des zweistöckigen Eckbaus verrät, dass hier das „Zentrum für sanitäre und epidemiologische Expertise des Medeu-Stadtbezirks“ ansässig ist. Was sich heutzutage in diesen Räumlichkeiten hinter einer schlichten Metalltüre abspielt, ist für den Spaziergänger, der mehr über die Stadt Almaty erfahren will, vermutlich ebenso unverständlich wie uninteressant. Wer sich allerdings für die Geschichte der Sowjetunion interessiert, der wird nicht drum herumkommen, diesem geschichtsträchtigen Ort zumindest einen kurzen Besuch abzustatten.

In den 1920er Jahren befanden sich in ebenjenem Holzhaus die sogenannten „Zhetysu“-Gästezimmer. Die Stadt Werny bekam 1867 die Stadtrechte verliehen, gleichzeitig wurde sie zur Hauptstadt des Zhetysu-Gebietes erklärt, des Siebenstromlandes. Das Haus, dessen ursprüngliche, hölzerne Fassade zu jener Zeit noch offen lag, gilt als das erste Hotel der Stadt. Der berühmteste Gast der ehemaligen „Zhetysu“-Zimmer war ein gewisser Lew Dawidowitsch Bronstein mit seiner zweiten Ehefrau Natalja Iwanowa Sedowa und deren ältesten Sohn Lew, welche dort zwischen 1928 und 1929 beherbergt wurden. Bronstein, besser bekannt unter seinem Kampfnamen Leo Trotzki, kam allerdings nicht freiwillig nach Alma-Ata.

Erste Anzeichen der Stalinschen Säuberungen

Den Namen Trotzki nahm der noch junge Revolutionär bereits 1902 an, als er zum ersten Mal mit gefälschten Dokumenten aus der Verbannung in Sibirien nach London floh und bei Wladimir Lenin einzog. Die Stunde Leo Trotzkis kam im Herbst 1917, als er an der Seite von Lenin maßgeblich die Oktoberrevolution in Petrograd und somit den Sturz des Zarenreiches organisierte. Als Lenin 1924 starb, brach ein offener Machtkampf zwischen Leo Trotzki und dem Dritten im Bunde, Josef Stalin, aus, bei dem es auch um die ideologischen Grundlagen in der Sowjetunion ging.

Während Trotzki die Weltrevolution nach dem Motto „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ anstrebte, begann Stalin, mit Gewalt den „Sozialismus in einem Land“ durchzusetzen. Trotzki verlor diesen Machtkampf, musste ab 1925 alle politischen Ämter aufgeben und wurde 1927 aus der KPdSU ausgeschlossen. Am 17. Januar 1928 wurde er nach Zentralasien verbannt: nach Alma-Ata. Es waren die ersten Anzeichen der Stalinschen Säuberungen und des Großen Terrors der späten 1930er Jahre.

Das Andenken an Leo Trotzki wird aus der Öffentlichkeit getilgt

Es muss für die Familie Trotzki ein schlimmer erster Eindruck nach ihrer Ankunft gewesen sein. Trotzkis Frau Natalja hielt ihre Beobachtungen jener Tage in Tagebucheinträgen fest: „Um drei Uhr morgens hielt das Auto in völliger Dunkelheit an. Wir sind angekommen. Wo? Es stellte sich heraus, in der Gogol-Straße, im Zhetysu-Hotel, die möblierten Zimmer waren wirklich wie zu Gogols Zeiten. Man stellte uns zwei Kämmerchen zur Verfügung.“

Leo Trotzki begann in der Verbannung wieder zu schreiben und sich mit den Theorien des Marxismus-Leninismus zu beschäftigen. Die Hoffnung auf eine politische Zukunft in der Sowjetunion zerschlug sich aber endgültig im Januar 1929. Leo Trotzki wurde aus der Sowjetunion ausgewiesen und kehrte nie wieder zurück. Die Fotografien, die Texte und der Name des Wegbereiters der Oktoberrevolution wurden vollständig aus der Öffentlichkeit getilgt.

Freiwild für Sowjet-Agenten

Nach einer mehrjährigen Odyssee durch halb Europa erhielt Trotzki ab 1937 politisches Asyl in Mexiko. Zwischenzeitlich verurteilte ihn ein Moskauer Gericht in Abwesenheit zum Tode. Auch seine sowjetische Staatsbürgerschaft wurde annulliert. Hiermit war er Freiwild für die Agenten des sowjetischen Geheimdienstes. Der sowjetische Agent Ramón Mercader erschlug Leo Trotzki in seinem Haus im mexikanischen Coyoacán am 20. August 1940 kurz nach 17 Uhr.

Die ehemaligen Zhetysu-Zimmer in der Gogol-Straße genügten bereits seinerzeit den Ansprüchen der Übernachtungsgäste nicht. Leo Trotzki, der ein Jahr seiner langjährigen Verbannung dort lebte, bleibt wohl der einzige namentlich bekannte Gast dieses Hauses. Viele Jahre später wurde die historische Holzfassade hinter dickem Putz versteckt und Amtsstuben zogen dort ein. Obwohl das Gebäude noch immer an Ort und Stelle steht, deutet heute so gut wie nichts an dieser Adresse mehr auf den einstigen berühmten Gast und sein tragisches Leben hin.

Philipp Dippl

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