Jeder steht mal vor einem moralischen Problem. Doch wie gehen Menschen damit um? Wie das aussehen kann, zeigt der Film „The Wounded Angel“, der auf der Berlinale Premiere feierte. Eine Filmkritik.

Zharas muss arbeiten, weil sein Vater keinen Job findet. Anfangs hat Balapan eine wunderschöne Stimme, doch dann verliert er sie. Anstatt Freunde zu finden, sucht Zhaba lieber nach Metallresten, um diese zu verkaufen. Aslan ist ein Musterschüler, doch dann wird seine Freundin schwanger. Vier Geschichten, vier Schicksale und nur eine Frage: Wie geht es weiter?

„The Wounded Angel“ erzählt die Geschichte von vier Jungen, die in einem kleinen Dorf in Kasachstan leben. Armut, Mobbing, fehlende Auftstiegsmöglichkeiten, ein Mangel an Elektrizität und Ruinen gehören zum Alltag. Es sind die Neunziger – eine Zeit der ökonomischen Krise und steigender Kriminalität. Und die Zeit des Zusammenbruchs der Sowjetunion.

Reden ist Silber, Schweigen ist Gold

Filmstill „The Wounded Angel“ | © Berlinale

Emir Baigazin zeigt nach seinem Spielfilmdebüt „Harmony Lessons“ im zweiten Teil seiner Trilogie einen melancholischen Film über alltägliche Probleme und moralische Dilemmata. Wie ernähre ich als Schüler meine Familie? Was mache ich, wenn meine Karriere, die noch nicht einmal richtig begonnen hat, schon wieder vorbei ist? Wie gehe ich mit Mobbing um? In vier inhaltlich voneinander getrennten Teilen verfolgt der Zuschauer das Leben der Jungen und wie sie mit ihrer Situation umgehen. Verbunden werden die Geschichten vor allem durch eine Referenz auf ein Gemälde von Hugo Simberg. Der „Verwundete Engel“ ist dabei nicht nur titelgebend, sondern taucht auch zwischen den einzelnen Kapiteln auf.

Dass der kasachische Regisseur im gesamten Film ohne Action auskommt, ist wunderbar. So streifen die Protagonisten durch das Dorf und gehen ihren alltäglichen Aufgaben nach. Große Unterhaltung gibt es für sie so oder so nicht. Damit liegt der Schwerpunkt eindeutig auf der Frage nach den moralischen Dilemmata und dem Umgang damit. Überraschenderweise enthält der Film dennoch wenig Dialog. Sie tauchen vor allem dann auf, wenn Erwachsene intervenieren. Und dennoch sind sie hilflos. Schade ist, dass der Film vielleicht genau dadurch eine gewisse psychologische Ebene vorenthält. Denn die Taten der Charaktere wirken manchmal ein wenig wie Übersprungshandlungen. Und so kann der Zuschauer nur erahnen, welche Gründe es dafür gibt.

Vom Glück verlassen?

Verlassene Gebäude, karg ausgestattete Häuser und viele, meist kaputte Fenster: Einfache und klare Bilder unterstützen diese ruhige Erzählweise. Und so wird der Zuschauer durch die zurückhaltende Ästhetik der Bilder nicht vom Inhalt abgelenkt. Fenster stellen die Protagonisten sogar immer wieder in den Mittelpunkt. Protagonisten stehen häufig davor und werden so eingerahmt. Lange Kameraeinstellungen unterstützen dies. Und dennoch wird der Film dadurch nicht langweilig. Denn bis zum Schluss bleibt offen, ob die vier Jungen jemals wirklich glücklich werden.

Auch wenn „The Wounded Angel“ vordergründig nach einem Portrait einer verlassenen Jugend aussieht, so ist der Film viel mehr als das: Er beschreibt insbesondere, wie Menschen mit moralischen Werten umgehen und sich Problemen stellen. Damit ist der Film eine interessante Studie über existenzielle Krisen und die Beharrlichkeit des Lebens. Mal gucken, was der letzte Teil der Trilogie bringt.

Christina Heuschen

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