Du oder Sie? Eine Entscheidung, die bei jeder neuen Begegnung getroffen werden muss. In vielen Sprachen – so auch im Deutschen und Russischen – gibt es zwei Anredeformen. Das „Du“ vermittelt Nähe, das „Sie“ Distanz, aber auch Professionalität und Respekt. Die Hauptkriterien für die Entscheidung bleiben dennoch dieselben: Kultur, Rangordnung und Zeitgeist.

Bis etwa zur Volljährigkeit ist in Deutschland alles einfach: Jung siezt Alt, Alt duzt Jung. Aber was tun, wenn man auf einmal selbst ein Erwachsener ist und damit den anderen Erwachsenen auf Augenhöhe begegnet? Noch dazu bewegt man sich plötzlich in vielen Kreisen: Universität, Arbeitsplatz, Sportverein und im Allgemeinen öffentlichen Raum. Die Wahl der richtigen Anrede ist nicht einfach, und kann schnell zu einer unangenehmen Situation führen, wenn man sich zu schnell mit einer Person verbunden fühlt und sie zu duzen anfängt, obwohl die gegenüberliegende Person die Verbundenheit nicht so wahrnimmt. Wobei das Duzen prinzipiell oft aus Sympathie und nicht aus Respektlosigkeit geschieht.

Dennoch gibt es durchaus grobe Regeln: Fremde Erwachsene siezen sich, egal ob sie männlich oder weiblich sind. Ältere bieten Jüngeren das Du an. Am Arbeitsplatz bieten die Ranghöheren den Rangniederen das Du an. Wenn man jemanden duzt, sollte man auch dabei bleiben. Einen Tag duzen und den nächsten siezen geht nicht. Das einseitige Duzen ist respektlos. Wenn es eine Hierarchie gibt, entscheidet der Stärkere. Manchmal wird die formelle Frage gestellt: „Wollen wir uns duzen?“, manchmal wechselt man ins Du und hofft, dass die andere Person mitzieht. So entwickelt man durchaus nach einiger Zeit ein Gefühl dafür.

Aber wie ist es in anderen Ländern? In Kasachstan siezt man weitaus öfter und länger als in Deutschland. So ist es normal, dass sich zwei junge Menschen, Mitte 20, in einem Hostel in Almaty begegnen und sich zwar mit dem Vornamen vorstellen, dennoch komplett durchsiezen. Auch, wenn man sich einem neuen Sportverein anschließt und die Generation dieselbe scheint, bleibt man vorerst beim höflichen Sie – noch kennt man die Menschen ja nicht. Außerdem ist es nicht unüblich, bei einer neuen Bekanntschaft in der Diskothek erstmal beim Sie zu bleiben. „Die Tradition, andere zu respektieren, ist der Hauptwert der Kasachen und der anderen Völker Zentralasiens. Unsere Eltern vermitteln uns bereits von klein auf, Respekt gegenüber den Älteren zu zeigen.“ Auf der anderen Seite siezen ältere Menschen in Kasachstan junge Menschen auch schon früh. „Senioren respektieren die Jüngeren und wollen das auch zeigen.“

„Ausländer siezen wir eigentlich prinzipiell immer“, erzählen zwei gebürtige Almatyner. „In unserem Land ist es üblich, wenig bekannte Personen und Gäste aus anderen Ländern zu siezen, und dabei Respekt, gleichzeitig aber auch Gastfreundschaft zu zeigen. Man siezt bis genügend Zeit verstrichen ist und man sich besser kennt. Wir wollen vor allen Dingen unseren Gästen aus dem Ausland mit dem richtigen Respekt begegnen, gleichgültig wie alt sie sind.“ Dennoch, so schließt ein Almatyner ab, sei die Kommunikation mit den Menschen über das „Sie“ eine individuelle Entscheidung, und es sei nicht erforderlich, diese Formalität immer beizubehalten. Schlussendlich bleibt es eine Ermessenssache, die Menschen sowohl in Deutschland als auch in Kasachstan und auf der ganzen Welt erfühlen müssen.

Sabine Koch

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