Heinrich Zertik stammt aus dem Bezirk Almaty. Sein Einzug in den Bundestag als Vertreter der Spätaussiedler ist eine kleine Sensation.

Mit dem Russlanddeutschen Heinrich Zertik ist es erstmals einem Vertreter der größten deutschen Migrantengruppe gelungen, einen Platz im Deutschen Bundestag zu bekommen. Heinrich Zertik wurde über die Landesliste der CDU in Nordrhein-Westfalen, wo er den Listenplatz Nr. 48 innehatte, als zweitletzter dieser Liste in den Bundestag gewählt. Seine Wahl war eine Überraschung, weil kaum jemand damit gerechnet hatte, dass so vielen Kandidaten der Landesliste der Einzug in den Bundestag gelingen würde. Allein die große Anzahl der erfolgreichen Direktkandidaten der CDU in NRW, die über die Landesliste abgesichert waren, erlaubte den historischen erstmaligen Einzug eines Vertreters der Russlanddeutschen in den Deutschen Bundestag.

Stimme der Russlanddeutschen

1989 war Heinrich Zertik aus Kasachstan in die Bundesrepublik ausgesiedelt und hatte sich seitdem auf verschiedenen Ebenen für seine Landsleute eingesetzt. Stammt aus Kastek, einer Siedlung, 86 Kilometer von Almaty entfernt, nahe der kirgisistanischen Grenze.

Zertik, der nicht in einem Wahlkreis kandidierte, will sich in der Hauptstadt auch für die Belange der Russlanddeutschen einsetzen.

Eines der ersten Gespräche will er mit dem Beauftragten für Aussiedlerfragen der Bundesregierung Dr. Christoph Bergner führen. Bergner hatte es im Vorfeld der vorletzten Bundestagswahl in einem „Spiegel“- Interview bedauert, dass es trotz der großen Anzahl von Wahlberechtigten keinen Vertreter der Russlanddeutschen im Bundestag gebe.

Er hatte dabei auch seine eigene Partei kritisiert, die es versäumt habe, Vertreter dieser doch zu großen Teilen konservativ wählenden Bevölkerungsgruppe über sichere Listenplätze abzusichern. Zertik hatte diesmal zwar keinen sicheren Listenplatz, aber immerhin schaffte er es dank des guten Wahlergebnisses der Union in den Bundestag. Das ist eine kleine Sensation, denn niemand hatte geglaubt, dass die Landesliste soweit zieht.

„Ich habe mich sehr darüber gefreut. Es war nicht immer leicht Politik zu machen und sich das Vertrauen der Wähler in den Ortsverbbänden aufzubauen“, erzählt Heinrich Zertik der DAZ. Als er vor 24 Jahren nach Deutschland kam, sah er in der politischen Arbeit bei der CDU die beste Möglichkeit, sich in die Gesellschaft zu integrieren und dabei die Politik mitzugestalten.
Zertik ist von Beruf Psychologe und seit 2004 CDU-Ratsmitglied in Schieder-Schwalenberg bei Lippe. Außerdem ist er seit 2002 Beauftragter für Aussiedlerfragen und Mitglied des Bundesarbeitskreises für Aussiedlerfragen. Bereits zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012 hatte Heinrich Zertik eine Direktkandidatur im Landtagswahlkreis Lippe III angestrebt, war aber in der parteiinternen Auswahl einem anderen CDU-Kandidaten unterlegen.
In den vergangenen Tagen fanden die ersten konstituierenden Sitzungen im Bundestag statt. Heinrich Zertik will sich auch in Berlin politisch treu bleiben. Für ihn ist noch alles ganz neu, denn er muss nun öfters zwischen dem nordrhein-westfälischen Schwieder-Schwalenberg und Berlin pendeln. „Natürlich helfen mir meine persönlichen Erfahrungen mit meiner Familie, die ich einbringen kann, wenn es zum Beispiel um Themen wie Familienzusammenführung geht“, sagt Zertik und fügt hinzu: „gleich nach meiner Ankunft in Deutschland habe ich mir das Ziel gesetzt, die bestehende Problematik nicht nur den zuständigen Stellen zu überlassen, sondern Informationsarbeit über die Wichtigkeit der Integration zu leisten und mich auch aktiv für die Interessen der Aussiedler und Migranten einzusetzen“.

Bislang hatte es noch kein einziger Vertreter der Russlanddeutschen in den Bundestag geschafft. Lediglich in den Hamburger Senat schafften es mit Nikolaus Haufler und in den sächsischen Landtag mit Adolf Braun (CDU) zwei Russlanddeutsche; Braun war später auch eine Zeitlang Vorsitzender der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V. Der CSU-Politiker Arthur Bechert aus Tomsk in Sibirien belegte bei der Bundestagswahl 2009 Platz 55 der Landesliste seiner Partei und hatte keine Aussicht auf einen Einzug in den Bundestag.

Siebenbürger hat auch einen Platz

Bis in die 1990er Jahre waren die Aussiedler aus dem Osten ein verlässliches Stimmenreservoir für die Union. Zwischen 1987 und 1992 hatte die Regierung Kohl weit über eine Million Aussiedler aus der Sowjetunion aus Polen und Rumänien ins Land geholt. In dieser Zeit entstand auch das Amt des Aussiedlerbeauftragten der Bundesregierung, der erste war Staatssekretär Horst Waffenschmidt. Seine Visitenkarte besaßen Deutschstämmige selbst in den abgelegenen Siedlungen in der russischen Taiga oder in Kirgisistan, so unermüdlich hatte er diese lange vergessenen und politisch totgeschwiegenen Deutschen in der ehemaligen Sowjetunion besucht, und ihnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft gemacht.

Doch Mitte der 1990ziger Jahre löste der Aussiedlerstrom aus Osteuropa auch bei vielen Unionspolitikern Unbehagen aus. So begrenzten auch folgende CDU-Regierungen den Zuzug der Deutschstämmigen durch bürokratische Hürden wie die Einführung von Sprachtests. Zerrissene Familien waren die Folgen. Viele Deutsche aus Russland kehrten daraufhin der Union den Rücken.

Erst im Juni dieses Jahres wurde das Vertriebenengesetz zur Erleichterung von Familienzusammenführungen in Hinblick auf die deutschen Sprachkenntnisse wieder abgeschwächt. Künftig ist es im Härtefall möglich, den Ehegatten oder Abkömmling in den Aufnahmebescheid eines Spätaussiedlers noch nachträglich einzubeziehen und in gewissen Fällen müssen auch deutsche Sprachkenntnisse nicht nachgewiesen werden. Diese Härtefallregelung hilft somit, dauerhafte Familientrennungen zu vermeiden.

Ob es jetzt zu einer Versöhnung der Union mit den russlanddeutschen Aussiedlern kommt, ist fraglich, denn die Gesetzesänderung wurde von allen im alten Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der „Linken“ gebilligt.

Infolge dieser Gesetzesänderung dürften nach Auskunft des zuständigen Innenministeriums die Aussiedlerzahlen aus der ehemaligen Sowjetunion in den nächsten Jahren wieder steigen und sich von heute 2000 auf 6000 pro Jahr einpendeln.

Mit Bernd Fabritius (CSU) hat es erstmals auch ein Aussiedler aus Rumänien in den deutschen Bundestag geschafft.

Anders als Zertik ist der aus Agnetheln, Siebenbürgen, stammende Jurist Fabritius nicht nur parteipolitisch, sondern auch verbandlich für seine Landsleute tätig. Seit 2007 war er Bundesvorsitzender des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland e. V. und Präsident der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen. Auch seine Wahl war eine Überraschung, denn er erreichte auf Platz 37 der bayerischen Landesliste den Bundestag, die Liste zog bis 40. Beide Aussiedler im neuen Deutschen Bundestag haben deshalb ihren Einzug auch der Vergrößerung der Abgeordnetenzahl des Bundestages infolge der Gesetzesänderung zum Ausgleich der Überhangmandate zu verdanken, welche während der letzten Wahlperiode verabschiedet wurde.

Von Bodo Bost und Dominik Vorhölter

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