Die Fotografin Ira Thiessen porträtiert in einem Fotoprojekt Russlanddeutsche in Nordrhein-Westfalen und Berlin. In intimen Bildern zeigt sie die Menschen bei sich zu Hause in ihrem privaten Umfeld.

Balalaika, 2015 | Bild: Ira Thiessen

Sie stehen da wie Figuren auf alten Gemälden, wirken teilweise erstarrt in ihren Posen, inszeniert vor schweren Vorhängen. Doch sie sind modern gekleidet und hinter den Vorhängen ist ein privates Wohnzimmer oder Schlafzimmer erkennbar. Es sind intime Einblicke in das Heim und die Persönlichkeit der Porträtierten. Ira Thiessen hat Russlanddeutsche in ihren Wohnungen und Häusern besucht und diese kunstvoll zwischen der deutschen und russischen Kultur eingefangen.

Mishka, 2015 | Bild: Ira Thiessen

Für die junge Fotografie hat das einen sehr persönlichen Hintergrund: Ira ist 1983 in Frunse, dem heutigen Bischkek, Kirgisistan, geboren. Als sie sechs Jahre alt war, wanderte ihre russlanddeutsche Familie nach Deutschland aus.
Groß geworden ist Ira in Espelkamp, einem russlanddeutschen Ballungszentrum in Nordrhein-Westfalen. Als junge Frau hatte sie schnell genug von dem engen Umkreis der russlanddeutschen Kultur und hat sich davon distanziert; zuerst ist sie nach Bielefeld gezogen, dann weiter nach Berlin. Doch in ihrem Fotografiestudium holte sie das Thema wieder ein: Durch ein Porträt, das sie von ihrer Mutter machte, brachte ein Dozent sie darauf, ihre Abschlussarbeit über Russlanddeutsche zu gestalten. Sie fing an, sich stärker mit der russlanddeutschen Geschichte auseinanderzusetzen und begeisterte sich immer mehr dafür. „Der Familienzusammenhalt unter den Russlanddeutschen ist sehr stark – es ist eine gemeinsame Wanderung über Jahrhunderte, die sie zusammenschweißt“, sagt Thiessen. Sie interessiert sich vor allem für die zusammengesetzte Identität – das Festhalten an dem historischen Deutschsein und die doch russische Prägung.

Was zeichnet Russlanddeutsche speziell aus? Ira fragte sich das während ihrer Recherche und entdeckte tatsächlich einzelne Elemente in den Haushalten immer wieder, die sie als typisch sieht: Ländliche altdeutsche Motive wie die Elchstatue als Dekoration oder auch die braune fast wandfüllende Schrankwand. Das selbstverlegte Buch ist liebevoll gestaltet: Die Verpackung ist eine selbstgenähte Hülle aus dem Material einer karierten Reisetasche aus Plastik, ein typisches Produkt der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. „Damals hatten wir alle diese karierten Taschen bei der Ausreise. Sie war zu allem gut: Zum Verpacken, aber auch zum darauf schlafen.“

Telnjashka, 2015 | Bild: Ira Thiessen

Die Suche nach russlanddeutschen Protagonisten gestaltete sich nicht immer einfach: Manche fand sie über persönliche Kontakte, über russlanddeutsche Foren im Internet, Zeitungen oder speziellen Veranstaltungen. Teilweise hat die Fotografin die Leute drei, vier Mal zu Hause besucht, bis sie die richtigen Fotos hatte. Sie arbeitet mit einer analogen Kamera und einem externen Blitz. Auf manchen Fotos posieren die Abgebildeten stark und haben eine inszenierte Körperhaltung. Damit unterscheiden sich die Bilder von der klassischen Dokumentarfotografie und haben eine ganz eigene Note. Ira wollte nicht journalistisch porträtieren, sondern vor allem dem Künstlerischen genug Raum geben. In ihren Bildern vereinen sich Elemente der klassischen Malerei, des Theaters und der Pastellfotografie. Damit entsteht ein ironischer Blick auf das Leben in einer Zwischenkultur.

Der Vorhang, den die Künstlerin selber mitgebracht hat und in den Wohnungen aufgehängt hat, ist in allen Bildern ein wichtiges Element: Er ist wie ein Fremdkörper und Trennelement – erst wenn man dahinter schaut, erkennt man die eigentliche Kultur.

Kukla, 2014 | Bild: Ira Thiessen

Die Fotoserie weckte viel Aufmerksamkeit, die Süddeutsche Zeitung wie auch The Guardian berichteten über „Privet Germania“. In verschiedenen deutschen Städten, Zürich und auch in China fanden Ausstellungen statt. Viele Russlanddeutsche haben sich daraufhin bei ihr gemeldet – viele, die sich dadurch berührt fühlen. Aber nicht bei allem kam ihre überspitze Darstellungsform gut an: „Manche verstehen die Ironie der Bilder nicht ganz, dabei möchte ich niemanden bloßstellen in meinen Bildern – man muss nur auch über sich selber lachen können.“

In ihrem Geburtsland Kirgisistan war Thiessen das letzte Mal 2012, auch um verbliebene Verwandte zu suchen. Sie träumt davon, mit ihrem Projekt die Möglichkeit zu bekommen, auch in Russland und Zentralasien ausstellen zu können. Und mehr noch: Die russlanddeutsche Kultur beschäftigt sie immer noch. Gerne möchte sie in naher Zukunft Russlanddeutsche auch noch auf dem der ehemaligen Sowjetunion porträtieren. Derzeit ist sie noch auf der Suche nach Stipendien, die ihr dies ermöglichen.

Larissa Mass

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