Mit der Ausstellung „Die Zeit der Merowinger – Europa ohne Grenzen“ gelangen nach 62 Jahren verschollen geglaubte Kunstgüter erstmals wieder an die Öffentlichkeit und werden gemeinsam mit Kunstwerken aus Deutschland ausgestellt.

„Nach Golde drängt, am Golde hängt doch alles“, klagt Gretchen in Goethes „Faust“. Des Goldes wegen zog es unlängst auch eine deutsche Delegation von Museumsleuten und Politikern nach Moskau. Der Grund: eine Ausstellung, die russische und deutsche Wissenschaftler gemeinsam auf die Beine gestellt hatten. „Die Zeit der Merowinger – Europa ohne Grenzen“ ist eine Sensation. Darin waren sich beide Seiten einig. Unter den 1.300 Exponaten im Puschkin-Museum der Schönen  Künste befinden sich 700 Beutestücke, die 1945 aus Deutschland entwendet wurden. Zum ersten Mal seit 62 Jahren sind sie zu sehen. Bevor die Rote Armee die Schätze in die damalige Sowjetunion brachte, gehörten sie zum Bestand des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte.

Weil sie nach deutscher Ansicht nach wie vor den Berlinern zustehen, ist der Umgang mit dem Goldschmuck der Merowinger auch ein Gradmesser der deutsch-russischen Kulturbeziehungen. Das Politikum Beutekunst wird derzeit pragmatisch angegangen. Wer zur Eröffnung der Ausstellung in den Weißen Saal des Puschkin-Museums gekommen war, wurde Zeuge eines diplomatischen Eiertanzes: Erbitten ohne einzufordern, loben ohne zu verharmlosen, lautete die Devise der Deutschen.

Die „kriegsbedingt verlagerten“ Exponate, wie es im Katalog heißt, bewegen die Gemüter in Deutschland und Russland. Darüber schrieben auch die vier teilnehmenden Museumsdirektoren. Ihre Behandlung bedürfe deshalb „einer besonderen Sensibilität“. Schon manchem Journalisten fiel es schwer, die nötige Distanz zu wahren. Warum er denn überhaupt an dieser „schmerzhaften Veranstaltung“ teilnehme, fragte etwa eine deutsche Journalistin den Kulturstaatsminister Neumann.

Die russische Seite gab sich selbstgenügsam. „Wir haben uns für einen vernünftigen und pragmatischen Weg entschieden“, sagte Michail Schwyd-koi, der Leiter der russischen Kulturbehörde. In Russland gelte eben die russische Gesetzgebung, in Deutschland die deutsche, so Schwydkoi, aber das solle die beiden Länder nicht daran hindern, die Kulturbeziehungen auszubauen. „Ich glaube, die Ausstellung ist ein Sieg der Vernunft.“

Sokolow, der russische Minister für Kultur und Massenkommunikation, sah die Ausstellung als „ein eindrucksvolles Beispiel fruchtbarer Zusammenarbeit“. Doch all die schönen Worte konnten nicht über den Graben unterschiedlicher Gesinnung hinwegtäuschen. Die glänzenden Kunstschätze der Merowinger werfen nicht nur Licht auf eine der fundärmsten Epochen der Geschichte, sondern auch auf dunkle Momente in den bilateralen Beziehungen. „Die Ausstellung führt die absurde Zerrissenheit der Sammlung vor Augen“, meinte Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. „Sie ruft ins Bewusstsein, wie bedeutsam es für unser kulturelles Erbe ist, dass wir weiterhin die Rückführung unserer alten Bestände einfordern.“ Viel zu lange seien Schätze in geheimen Depots verborgen und somit der wissenschaftlichen sowie öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion entzogen worden. Er selbst verspüre Gefühle von Glück und Trauer beim Gang durch die goldene Pracht, bekannte Lehmann vor Journalisten.

Auch Staatsminister Neumann machte keinen Hehl aus der deutschen Position: „Wir müssen erreichen, dass Objekte, die zum Weltkulturerbe gehören, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das ändert aber nichts an der rechtlichen Situation in Russland und Deutschland.“

Die Bundesregierung sieht das umstrittene Merowinger-Gold als ihr Eigentum und beruft sich dabei auf die Haager Landkriegsordnung von 1907. Diese verbietet es, im Krieg kulturelle Beute zu machen. Darüber hinaus hatten sich beide Länder im deutsch-sowjetischen Nachbarschaftsvertrag vom 9. November 1990 und im deutsch-russischen Kulturabkommen vom 16. Dezember 1992 darauf geeinigt, dass verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kunstschätze und Kulturgüter an den Eigentümer zurückgegeben werden. Doch 1998 erließ die Duma ein Gesetz, das sämtliche nach dem Zweiten Weltkrieg aus Deutschland nach Russland verbrachte Kulturgüter zum Eigentum des russischen Staates erklärte.

Nach wie vor befinden sich unzählige Kunstschätze aus Deutschland in der russischen Föderation, etwa der „Schatz von Eberswalde“, der größte frühzeitliche Goldfund Mitteleuropas. Entdeckt wurde der knapp 3.000 Jahre alte Schatz 1913, doch kein Fachmann hat ihn bislang unter die Lupe nehmen dürfen. Darüber hinaus fehlen bis heute Kunstschätze wie die germanischen Fibeln aus Almandin, Fürstengeschmeide aus der Bronzezeit oder das Schliemann-Gold. Dieses wurde 1996 aus den Depots geholt und in der Ausstellung „Schliemanns Trojanische Schätze“ im Puschkin-Museum präsentiert. „Sehr erfreuliche Entwicklungen“ gebe es laut Neumann in Bezug auf die noch in Russland befindlichen mittelalterlichen Marienfenster aus Frankfurt an der Oder, ein Teil wurde bereits 2002 zurückgegeben.

Bajuwarisches Silber

Irina Antonowa, der 85-jährigen Direktorin des Puschkin-Museums, stand zur Eröffnung nicht der Sinn nach Gesprächen über den zukünftigen Standort der Merowinger-Schätze. Auf Anfrage einer Journalistin, warum bajuwarisches Silber oder Schmuck aus thüringischen Gräbern für die Russen so wichtig seien, konterte die Herrin der Goldringe und vieler anderer Kostbarkeiten: „Diese Frage hat keinen Bezug zur Ausstellung.“ Über deren Schicksal könne man heute nicht entscheiden.

Doch auch wenn viele Fragen offen bleiben, man sei „einen großen Schritt weiter“, meinte Lehmann. Dass die einschlägigen Exponate in der Ausstellung als verlagert gekennzeichnet und die Positionen der deutschen Seite im Katalog ausformuliert sind, wertet man in Berlin zu Recht als Erfolg. Doch die Zukunft der Beutestücke bleibt ungewiss. Nach der Ausstellung im Puschkin-Museum Mitte Mai reist das Gold weiter nach St. Petersburg. In Deutschland werden die Merowinger-Schätze nicht zu bestaunen sein. Da die Funde völkerrechtswidrig entwendet wurden, hätte die deutsche Polizei eine klare Aufgabe: sie sofort zu beschlagnahmen. (n-ost)

Von Carmen Eller

30/03/2007

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