Unsere Autorin stammt aus Kasachstan und lebt seit einigen Monaten in Deutschland. In ihrem Beitrag schreibt sie, wie sie den Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte wahrnimmt.

„Wir müssen an die Geschichte erinnern, um die Fehler aus ihr nicht zu wiederholen.“ Dieser Aussage stimmt die große Mehrheit der Menschen in Deutschland zu – besonders, wenn es um den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust geht. In Deutschland gibt es viele Denkmäler für die Opfer von Krieg und Genozid sowie Museen. Letztere empfangen stets eine große Anzahl von interessierten Besuchern. Ehemalige Konzentrationslager in Deutschland wurden – wie auch auf dem Gebiet anderer Länder – nicht zerstört, sondern als Gedenkorte gestaltet und für Besucher aus der ganzen Welt geöffnet.

In Berlin habe ich den berühmten Erinnerungsort „Topographie des Terrors“ selbst besucht. Während des „Dritten Reichs“ befanden sich dort die Zentralen der SS, der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamts. Am Tag meines Besuchs war das Dokumentationszentrum voll. Die Menschen konnten sich dort unter anderem die zahlreichen Unterlagen über das nationalsozialistische Regime anschauen.

Die Informationen wurden zumeist in Form von historischen Fotos und Erläuterungen dazu wiedergegeben; dazu wurde ein Audioguide in mehreren Sprachen angeboten. Das Museum verwendet die besten Technikgeräte und Technologien für seine Arbeit mit den Menschen. Die Informationen sind so authentisch aufbereitet, dass viele Besucher ein bedrückendes Gefühl und Trauer ereilten. Manch einer war so bewegt, dass er den Ort nach kurzer Zeit wieder verließ.

Vergangenheit untrennbar mit der Gegenwart verbunden

Tiefe Berührtheit erfahre auch ich immer wieder während der Gespräche mit Deutschen über das Thema Erinnerungskultur. Es war für mich überraschend, dass während meiner Reisen nach Deutschland immer mehr Menschen von selbst auf das Thema des Zweiten Weltkriegs zu sprechen kamen. Es war für mich unerwartet, mich mit ihnen über dieses schwere Thema zu unterhalten. Aber der traurigste Abschnitt deutscher Geschichte und die Gegenwart sind nun einmal untrennbar miteinander verbunden.

In den Fußgängerzonen der Städte stößt man auf Messingplättchen. Dort sind die Namen von früheren Stadtbewohnern eingraviert, die durch das nationalsozialistische Regime ermordet wurden. Im Bundestag, dem Haus der deutschen Demokratie, können die Besucher noch die Wandfragmente mit den Schreiben von sowjetischen Soldaten aus dem Jahr 1945 anschauen. Am 8. Mai feiern die Deutschen den 75. Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus. Das ist aus meiner Sicht etwas Großartiges.

Im Gespräch mit Passanten und Menschen im eigenen Bekanntenkreis zeigt sich, dass die große Mehrheit diese Einschätzung teilt. Vereinzelt finden sich jedoch Stimmen, die die Vergangenheitsbewältigung für übertrieben halten.

Andreas B., Hessen, 50 Jahre

„Ich weiß nicht, wie es andere empfinden, aber in meinem Umfeld ist man genervt, sobald man etwas über die Zeit des Zweiten Weltkrieges hört. (…) Die Erinnerungskultur ist immer ein großes Thema in Deutschland. Solange ich mich daran erinnern kann, das heißt, schon seit meiner Kindheit vor 40 Jahren, kommen immer wieder die Kriegsfilme und Dokus über den Zweiten Weltkrieg.“

Die meisten von meinen Bekannten in Deutschland empfinden die oben genannten Erinnerungselemente aber als einen untrennbaren Teil der deutschen Kultur. Man beleuchtet die Rolle der damaligen Generation kritisch und stellt sich selbst der Verantwortung, die sich für die heutige Generation daraus ergibt.

Andreas O., Berlin (stammt ursprünglich aus Bozen), 39 Jahre

„Die Befreiung vom Nationalsozialismus am 8. Mai war damals das größte Glück, das Deutschland widerfahren konnte. Die Bedeutung dieses Tages ist auch nach 80 Jahren nicht hoch genug einzu-schätzen.“

Zur Rolle der Sowjetunion:

„Natürlich hat auch die Sowjetunion sehr aktiv daran mitgewirkt, dass wir befreit wurden. Sie hatte einen großen Anteil daran, und dafür muss man dankbar sein. Aber die Systeme, die danach im Osten entstanden, hatten stark autokratische Züge. Deswegen konnte Deutschland froh sein, dass der Osten schließlich daraus gelöst wurde, dieses System 1989 sein Ende fand und sich die Demokratie frei entfalten konnte.“

Viktor W., Augsburg, 49 Jahre, Kasachstandeutscher:

„Wegen unserer negativen Erfahrungen mit dem Kommunismus haben meine Eltern in den 1990er Jahren beschlossen, nach Deutschland umzuziehen. Ich habe hier die Schule besucht und das Studium absolviert, trotzdem sehen andere Deutsche die Spätaussiedler nicht als Deutsche, sondern als Russen.

Aber was die Erinnerungskultur anbelangt, schäme ich mich als Angehöriger der jüngeren deutschen Generation für die damaligen Verbrechen. Die Deutschen erinnern sich an das, was ihre Urgroßeltern getan haben. Sie schämen sich für deren Fehler, und dieselben Gefühle habe ich auch. Ich bin überzeugt, dass die Deutschen die richtigen Schlussfolgerungen aus dem Zweiten Weltkrieg ziehen. Dass sie sich ständig an die Vergangenheit erinnern. Ich habe das ehemalige Konzentrationslager in Dachau besichtigt. Es ist nicht vorstellbar, dass intelligente Menschen so etwas organisieren konnten. (…)

Heute wissen die Menschen das alles. Sie schätzen die Denkmäler, machen aus den Konzentrationslagern Gedenkorte und eröffnen Museen, damit sich die traurige Vergangenheit nicht wiederholt.“

Helena Garkawa

Dieser Beitrag ist Teil eines Projekts, das vom Institut für Auslandsbeziehungen e. V. aus Mitteln des Auswärtigen Amtes gefördert wird.
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