Höhepunkt bei der Europa-Woche in Almaty war der Vortrag des Tschechen Pavel Kohout. Er nahm am Prager Frühling teil, erfuhr sowjetische Repressalien und lebte nach seiner Zwangsausbürgerung in Wien. Über das Ende des Kalten Krieges, die Werte von Demokratien und auch über sein Leben, sprach der 78-Jährige an der Nationalen Al-Farabi-Universität.

„Er ist unser prominenter Gast innerhalb der Europa-Woche.“ So begrüßte der Leiter des Goethe-Instituts Almaty, Richard Künzel, den tschechischen Schriftsteller Pavel Kohout am Abend des 15. Mai zu seinem Vortag über „Glanz und Elend von Demokratien“.

Von den mit rotem Samt überzogenen Sesseln im Hörsaal 225 der Al-Farabi-Universität fällt der Blick auf ein überlebensgroßes Plakat des kasachischen Präsidenten. Daneben mahnt er auf einem Banner die Studenten zu Fleiß und erinnert an die „Strategie Kasachstans zum Aufstieg zu den 15 führenden Industrienationen“.

Der große Raum ist kaum gefüllt, nur gut eine Hand voll Menschen haben bis hierher gefunden. Das Zifferblatt der Uhr ist genau geteilt – Zeit, um anzufangen, offiziell. Inoffiziell wird aber noch etwas gewartet. In Kasachstan ticken ja die Uhren etwas anders. Und wahrhaftig, kaum eine Viertelstunde später sind gut zwei Drittel der 150 Sitze besetzt.

Neben Offiziellen aus den Botschaften und verschiedenen Institutionen sind Studenten und Lehrkräfte der hiesigen Universitäten im Publikum. Auf dem breiten, hölzernen Podium des Hörsaals nehmen fünf Männer Platz. Genau in der Mitte sitzt Pavel Kohout. 1928 in Prag geboren, ist er als Dramatiker und Schriftsteller international bekannt geworden. Als einer der Wortführer des „Prager Frühlings“ wurde er 1969 aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen und Ende der 70er Jahre zwangsausgebürgert. Heute lebt Kohout in Prag und Wien.

Der kleine Mann geht fast unter zwischen dem Leiter des Goethe-Instituts, Richard Künzel, und dem jugendlichen, groß gewachsenen tschechischen Botschafter Milan Sedlaèek. Künzel beschreibt in seiner Eröffnungsrede Kohout als eine „schillernde Persönlichkeit unserer Zeitgeschichte, der bedeutend zu entscheidenden Prozessen beigetragen hat, um Europa zu dem zu machen, was es heute ist.“ Er gibt einen Abriss aus Kohouts Leben, auf den der unscheinbare Mann antwortet: „Diese Biografie klingt eher wie eine Grabrede oder ein Nachruf. Es ist schon erstaunlich, dass der Träger dieser Lebensgeschichte hier sitzen darf.“

Vom Teufel zum Belzebub

Pavel Kohout beginnt seinen Vortrag „Vom Glanz und Elend von Demokratien“ mit einem Zitat von Winston Churchill: „Die Demokratie ist von allen Staatsformen die Beste.“ Das ist sein Standpunkt, sein Leben, könnte man meinen, denn der Sinn dieses Satzes zieht sich durch die gesamte Rede: „Ich will eines der weltgrößten Probleme ansprechen. Eines, dass ich selbst mitverfolgt und auch miterlebt habe, dabei geht es mir nicht darum, dass ich Fragen beantworte, viel mehr geht es um den gemeinsamen Austausch.“

Wer eine politische Analyse der Entwicklung dieser vor allem westlichen Gesellschaftsform erwartete, wurde enttäuscht. Es war eine Hommage für die Freiheit, auch für Europa.

Kohout spricht von der Zeit, als die Sowjetunion die Macht in den osteuropäischen Staaten übernimmt, als dem „Weg vom Teufel zum Belzebub.“ Offen erzählt er von den Repressalien, die er am eigenen Leibe spürte, nachdem er sich aktiv am Prager Frühling beteiligt hatte. Als Schriftsteller, Romancier und Essayist gab er der Opposition eine Stimme. 1979 wurde er dafür bestraft und durfte nach einem Besuch in Wien nicht in sein Heimatland Tschechien zurückkehren. Ihm wurde die Staatsbürgerschaft entzogen und verboten in dem ehemals kommunistischen Staat zu publizieren. 1989 hob die damalige Regierung dieses Verbot auf und behandelte ihn so, „als wäre nichts gewesen“, erzählt Pavel Kohout. „Das Jahr ´89 war voller Glück. Die günstige politische Konstellation mit Gorbatschow, Thatcher und Kohl ermöglichte eine Einmaligkeit in der Geschichte – nämlich, das Rad der Zeit zurückzudrehen, zurück zur Demokratie.“ Seitdem lebt Kohout mit seiner Frau Jelena sowohl in Prag als auch in Wien und hält Vorträge in der ganzen Welt. „Für die Europa-Woche haben mich die tschechische Botschaft und das Goethe-Institut in Almaty eingeladen. Sie stehen in gutem Kontakt und arbeiten eng zusammen, was mich persönlich sehr freut“, erklärt der agile Herr.

Ein unerfüllter Traum für alle Unterdrückten

Pavel Kohout spricht in Bildern, die knappe halbe Stunde ist lebendig und bewegend. So untermalt er seine Auffassungen mit kleinen Anekdoten und stellt Fragen. Eine, die immer wiederkehrt, ist die Suche nach der Antwort darauf, „warum der Glanz der Demokratien, trotz der vielen historischen Erfolge, immer wieder erlischt.“ In ruhigem Ton redet der kleine Mann mit dem mittlerweile fast weißen Haar weiter und findet selbst die Antwort: „Die Demokratie ist für alle Unterdrückten ein unerfüllter Traum. Doch wird sie vom Himmel erhört und breitet ihre Flügel aus, beginnt das Jammertal. Unverständnis kehrt ein, Erwartungen werden nicht erfüllt. Es ist so, wie wenn man eine fremde Sprache nicht versteht.“ Er vergleicht die Entwicklung von Demokratie mit dem Wachstum eines Baumes. Beides bedürfe einer langen Zeit, bis man die Krone sehe. „Demokratie kann man nicht implantieren, sie muss aus sich selbst hervorgehen, sich selbst entwickeln und dann wachsen.“ Dabei mahnt er zur Geduld und zum Kampf, „das zu erhalten, was wir nach 3.000 Jahren der Menschheitsgeschichte geschafft haben, und geduldig in alle Richtungen positive Signale zu senden.“ Pavel Kohout ist ruhig und besonnen. Es ist beeindruckend, wie präzise der 78-Jährige auf die Fragen der Zuhörer eingeht. Auf den Vorwurf eines Mannes aus dem Publikum, dass das Engagement der USA im Irak sicher kein Zeichen der Demokratie sei, antwortet er gelassen, doch bestimmt: „Ich setze den momentanen amerikanischen Präsidenten nicht gleich mit dem amerikanischen Verständnis von Demokratie und vertraue darauf, dass sich der politische Kurs der USA in den nächsten Jahren ändern wird. Fakt ist jedoch, dass die Vereinigten Staaten schon drei Mal die Menschheit vor einer Katastrophe gerettet haben. Während des Ersten und des Zweiten Weltkrieges, und im Kalten Krieg. Und dieses Engagement beruht auf den Werten von Demokratie.“

Von Natascha Heinrich

19/05/06

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