Die deutsche Filmproduzentin Anna Vilgelmi, beweist interkulturelle Kompetenz bei internationalen Filmproduktionen und ist eng mit Kasachstan und dem kasachischen Film verbunden. Sie findet, dass Leute wie sie, die sich in mehrere Kulturkreise einfühlen können, unabdingbar für fruchtbare Beziehungsverhältnisse in schwächer entwickelten Filmmärkten sind. Darin sieht sie auch ihre Mission. Sie möchte Regisseure unterstützen, die keinen direkten Zugang zum europäischen Filmmarkt haben. „Kasachstan ist mein Neuland“, sagt sie. Und die Kunde von diesem Filmneuland und den talentierten Filmemachern verbreitet sie gern auf internationalen Filmmärkten. Die Wurzeln ihrer beruflichen und privaten Offenheit und Flexibilität sieht sie in ihrer russisch-deutschen Sozialisation.

Mit Emir Baigazins „Wounded Angel“ hatte sie ihre erste Erfahrung, ein nichteuropäisches Land innerhalb Deutschlands zu vertreten. Und es hat funktioniert. Der Film feierte auf der Berlinale Premiere, lief erfolgreich auf zahlreichen Festivals und kam in den Verleih. Besonders der europäische Filmvorreiter Frankreich schien erneut angetan von dem Zweitwerk des kasachischen Arthouse-Regisseurs.

Kasachstanische Filmemacher mit großer Zukunft

Anna Vilgelmi | Foto: privat

Der nächste Schritt ist, andere talentierte Regisseure und Regisseurinnen aus Kasachstan zu fördern und mit ihnen zu arbeiten. Das sind alles Künstler, deren Werk sie auch privat anspricht. „Die Arbeit mit ihnen bereichert mich auch persönlich und trägt dazu bei, meine eigenen künstlerischen Ansprüche zu verwirklichen.“ Kasachstan ist für die Filmschaffende besonders spannend aufgrund seines multikulturellen Reichtums. Es bietet unendliche Geschichten. „Im künstlerischen Bereich sehe ich eine große Zukunft für Kasachstan.“

Die Macht der Überzeugung

Anna hat ihren Platz gefunden. Die Arbeit als Produzentin liegt ihr, und sie fühlt sich wohl mit den dazugehörigen Aufgaben. Die Aufgaben drehen sich größtenteils um strategisches Entscheiden, Management und vor allem um die Kommunikation zwischen dem Regisseur und der Außenwelt sowie die Fähigkeit, die Beteiligten aller Seiten zu überzeugen.
Dabei muss die Produzentin immer darauf achten, wen sie wofür überzeugt. „Nicht jeder würde Kasachstan nachvollziehen können.“ Die Herausforderung liegt darin, sich in die jeweiligen nationalen Filmbranchen einzufühlen, die alle unterschiedliche Filmsprache und Arbeitsstrukturen aufweisen. „Französische Filmschaffende, zum Beispiel, kennen viele Baigazin und schätzen seine Arbeit.“ Deutsche Produktionsfirmen können wieder andere Schwerpunkte aufzeigen. Der Drahtseilakt bestehe darin, zwischen den verschiedenen Parteien zu verhandeln. Da sich die Arbeitsrealitäten in Europa und in Kasachstan teils gravierend unterscheiden, liegt eine ihrer Hauptaufgaben im Ausloten gegenseitiger Erwartungshaltungen. „Diese diplomatischen ‚Übersetzungsmomente‘ sind das, was mir besonders gut liegt.“

Mediatorin zwischen Kinowelten
Dass diese Feinfühligkeit ihrer Mediatorenfunktion zwischen Ost und West dem russlanddeutschen Hintergrund zuzurechnen ist, bezweifelt die junge Frau nicht. Verallgemeinern möchte Anna dennoch nicht. „Viele Menschen gleichen Hintergrunds sind sich ihrer Vorteile gar nicht bewusst und nutzen diese nicht.“ Eine Frage der persönlichen Motivation – so meint sie. Für viele sei der radikale Wechsel von Kulturkreisen immer noch ein Trauma, das man unterschiedlich verarbeite.

Von der Wolga an die Kama

„Es ist so, als sei man zwei“, reflektiert Anna, wenn sie über ihre Interkulturalität nachdenkt. In Deutschland lebt sie seit 1997. Damals war sie 17. Sie machte ihr Abitur und studierte in Deutschland. Russland besuchte sie zwischenzeitlich immer wieder. Sie fand es schon immer bereichernd und schön, sagen zu können, dass sie zwar in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt hat, aber einst in Russland aufwuchs und auch später in ihrem Studium in das Land ihrer Geburt zurückkehrte. Nur ihr Großvater Rudolf ist deutschstämmig, er kam aus der Wolgaregion. Sein Vater Heinrich wiederum war Publizist, Lehrer, Musiker und Künstler und setzte sich für die deutsche Sprache in der Wolgarepublik ein. Er soll ein kurzes, aber intensives Leben gelebt haben. Seine Gemälde sind im Besitz des Kunstmuseums in Saratow. Sein Sohn Rudolf wurde Schiffsbauingenieur. Mit der Deportation der Deutschen, kam er in eine Kohlemine. Als Ingenieur durfte er oft über Tage arbeiten und wurde nur bei Kontrollen runtergeschickt. Danach kam er nach Perm, wo später auch Annas Vater geboren wurde.
„Sie haben so viele Schwierigkeiten hinter sich und sind trotzdem menschlich geblieben und haben eine wunderbare Familie gegründet.“ Anna liebt ihre Großeltern, die in ihrer Kindheit sehr präsent waren – sie sind ihr Vorbild. Sehr spannend findet sie auch ihren Urgroßvater. In ihm sieht sie die parallele künstlerische Ader. „Er muss ein so vielseitiger Mensch gewesen sein. Und er war auch Linkshänder wie ich.“

Die Welt aller

Fasziniert von ihrer Familiengeschichte, steht sie den Ideen heutiger deutscher Landsmannschaften jedoch fern. Der Begriff „Historische Heimat“, den Spätaussiedler oft für Deutschland verwenden, sei in der heutigen globalisierten Welt weitestgehend überholt. Im besten Fall ist in heutigen Ballungszentren jeder Träger gleich mehrerer Kulturen.“ Ein Tribut der Globalisierung, der uns bereichere, stärker mache und auch zeitgemäßer, meint Anna. „Je mehr Kulturen man in sich vereint, desto offener ist man.“ Das kann die Basis für eine verständnisvollere und friedliche Welt sein.
Davor hatte sich Anna bei ihrer Rückkehr nach Perm eher immer wie in einer irrealen Erinnerungswelt gefühlt, mit Familie und alten Bekannten. Mittlerweile sieht sie es anders. Seit sie dort Gast eines Dokumentarfilmfestivals war, fusionierte ihre heutige berufliche Realität mit der Stadt ihrer Kindheit und verlieh ihr eine neue Aktualität und Lebendigkeit. So schließen sich Migrationskreise. Wieder durch globale Phänomene, wie ein internationales Filmfestival.

Julia Boxler

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